Auf einer Nachtfahrt lädt Privatdetektiv Mike Hammer eine barfüßige, junge Frau auf, die ihm beinahe in den Wagen gerannt wäre. Wie sich bald in einer Polizeisperre herausstellt, scheint Christina Bailey aus der Psychiatrie entflohen zu sein. Hammer schert das nicht, er hat Mitleid mit der verwirrten Frau und schützt sie vor dem Zugriff. Leider ist nicht nur die Gesetzesmacht hinter Bailey her wie Mike bald feststellen muss. Sein Wagen wird unsanft gestoppt, und er selbst niedergeschlagen. Kurz darauf ist Christina Bailey tot und der Privatdetektiv liegt schwerverletzt im Krankenhaus.
Kaum genesen begibt er sich, angefeuert durch einen kurzen Brief Christinas auf die Jagd nach ihren Mördern. Es wird ein harter Ritt mit dunklen Mächten, der mit einem Atompilz am kalifornischen Strand endet. Eine kleine Apocalypse Now, die Mike Hammer und seine geliebte Sekretärin Velda nur knapp überstehen.
“Kiss me Deadly” (das deutsche “Rattennest” ist eher unterschnittig) basiert auf dem gleichnamigen Roman Mickey Spillanes, wobei Regisseur Robert Aldrich in einem Interview bekundete, “er habe nur den Titel übernommen und den Rest des Buches weggeschmissen”. Er und sein Drehbuchautor A.I. Bezzerides haben sich zumindest grob an die Rahmenhandlung gehalten, um ihr dann spielentscheidende Kicks in andere Richtung zu geben. Spillanes Roman erzählt eine typische Hardboiled-/Rachestory, in der sich der harte Hund Mike Hammer mit Mitgliedern der Mafia anlegt, um seine nächtliche Straßenbekanntschaft zu rächen. Natürlich darf auch die Spillane eigene Misogynie am Ende nicht fehlen.
In Aldrichs Film existieren zwar auch Gangster, doch sind die Teil einer Verschwörung, die um einen rätselhaften Koffer kreist, der sich am Ende als atomare Büchse der Pandora entpuppt. Der leuchtende Koffer wird Filmgeschichte schreiben, nicht nur “Pulp Fiction” spielt recht offensichtlich darauf an.
“Rattennenst” erschien in der Spätzeit des Film Noir. Es gibt Stimmen, die halten den Film für den ersten “Neo Noir” und Kritiker Steven Scheuer sieht in ihm die “Apotheose” der “Schwarzen Serie”. Kann man beides gelten lassen.
Aldrich bewegt sich hart am Rand zum Meta-Film. Sein Lichtspiel ist ausgefeilt, arbeitet mit starken Kontrasten, während Ernest Laszlo für eigenwillige Kameraeinstellungen sorgt. Gleich zu Beginn durchbrechen die Scheinwerfer von Mike Hammers Cabrio die dunkle Nacht und können doch nicht verhindern, dass der Detektiv die flüchtende Christina beinahe über den Haufen fährt. So stellt Licht keine Erleichterung, geschweige denn Erlösung dar, nichts, was Hoffnung am Ende des Tunnels erwarten lässt. Im Gegenteil, Aldrich stellt das Prinzip auf den Kopf, bei ihm ist gleißende Helligkeit die letzte, tödlichste Bedrohung.
Seine Figuren sind Chiffren, archetypische Wesenheiten, die dank der starken Darsteller nicht zu stereotypen Funktionsträgern werden. Gangster sind perfide und brutal, der Wissenschaftler hängt am seidenen Faden des Wahnsinns, die Blondine schmeißt sich Mike ansatzlos an den Hals, die Damsel ist so richtig in Distress, Mike Hammers ewige Muse Velda verhält sich loyal und Mike selbst ist die fleischgewordene Aktion. Robert Aldrich zieht an den Genre-Stellschrauben bis sie fast zur Parodie durchstoßen. Dass dies nicht passiert, ist große Kunst. Im Gegenteil, “Rattennest” ist durchaus spannend und auf unangenehme Weise brutal, ohne dass Gewalttätigkeiten allzu graphisch umgesetzt und zelebriert werden. Die zappelnden Beine der gefolterten Christina im Fokus der Kamera reichen für fieses Magengrimmen. Dass “Rattennest” immer noch mit einem fetten “Ab 18 Jahre” versehen ist, ist allerdings recht ulkig.
Ralph Meeker gibt einen überzeugenden Mike Hammer, der zwischen Prügelknaben und stoischem Rächer fungiert. Fast wie eine ironische Kriegserklärung an Autor Mickey Spillane wirkt es, dass Hammer den ganzen Film über ohne Schusswaffe auskommen muss. Aber er weiß sich auch so zur Wehr zur setzen. Herausragend die Szene, in der sich Hammer aus den Fängen dreier Gangster befreit, die ausgeübte Gewalt dabei fast ausschließlich im Off stattfindet, während im Radio die Übertragung eines Boxkampfs läuft. Der passgenau das Geschehen vor Ort kommentiert. Die Auswirkung der brutalen Aktionen zeigt sich an den Reaktionen der Anwesenden, hier in Gestalt eines schlanken, jungen Jack Elam – anderthalb Jahrzehnte bevor er auf einem einsamen Bahnhof erst mit einer Fliege anbändelte, bevor er von Charles Bronson über den Haufen geschossen wurde. Hier meint das Schicksal es gnädiger mit ihm.
Sehr gut gefällt auch Gaby Rodgers in einem ihrer seltenen Leinwandauftritte als Femme Fatale. Ihre psychotische Freundlichkeit ist erschreckender als direkte Bösartigkeit. Mit ihrer modischen Kurzhaarfrisur verweist sie direkt auf Jean Seeberg und die Nouvelle Vague.
“Kiss Me Deadly” wurde bei Erscheinen verhalten aufgenommen, Regisseur und Drehbuchautor gerieten ins Visier des McCarthy-Apparats. Ein Treppenwitz der Filmgeschichte, dass die Verfilmung eines Romans des Kommunistenfressers Mickey Spillane seine Hersteller in den Ruf brachte, dem Kommunismus nahe zu sein.
Mittlerweile gilt Robert Aldrichs Film zu Recht als Genre-Highlight, das filmsprachlich weit in die Moderne reicht und nicht ohne Einfluss blieb. Ein sarkastischer, exzellent gefilmter Noir, der auch heute noch gefällt und seine Wirkung nicht verfehlt. Der Transfer auf Blu ray ist sehr respektabel gelungen. Das Bild ist scharf, ohne ins Aseptische zu reichen.
Auch wenn die Auswirkung der Atombombe am Schluss ein klein bisschen zu übersichtlich und harmlos bleibt, um als Kritik an den verheerenden Wirkungskreisen des Atomzeitalter durchzugehen. Aber alleine die kritische Absicht dahinter ist ehrenhaft und rührend.
Cover & Szenenfotos © Koch Media
- Titel: Rattennest
- Originaltitel: Kiss Me Deadly
- Produktionsland und -jahr: USA, 1955
- Genre: Krimi, Thriller, Noir
- Erschienen: 13.02.2020
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
ca. 101 Minuten auf DVD
ca. 106 Minuten auf Blu-Ray - Darsteller:
Ralph Meeker
Albert Dekker
Cloris Leachman
Gaby Rodgers
Fortunio Bonanova
Jack Elam,
Jack Lambert
Juano Hernandez
Marian Carr
Nat King Cole
Strother Martin - Regie:
Robert Aldrich
- Drehbuch:
A.I. Bezzerides
- Kamera:
Ernest Laszlo - Musik:
Frank DeVol
- Extras:
Teaser OmeU; Character Teaser 1 OmdU / Deutsch; Character Teaser 2 OmdU / Deutsch; Trailer OmdU / Deutsch; Koreanischer Trailer OmdU u.v.m. - Technische Details (DVD)
Video: 1.85:1 (16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch, Dolby Digital, Mono 2.0
Untertitel: Deutsch, Englisch
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1920x1080p (1.66:1) @23,976 Hz, MPEG-4/AVC
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch DTS-HD MA 2.0 (Mono)
Untertitel: Deutsch, Englisch
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
Produktlink Blu-Ray
Wertung: 12/15 dpt