Sympathischer Ermittler, gewöhnungsbedürftige Methoden
Massimo Capaul, dreiunddreißig Jahre jung, ist der neue Polizist im Oberengadiner Samedan. Kaum angekommen, wird er schon um Hilfe gebeten, da die Kollegen ausgelastet sind. Im Dorf Zuoz gab es einen Scheunenbrand, der Sachschaden ist gering, der betagte Besitzer Rainer Pinggera wurde nur vorsorglich ins Spital gefahren. Von einer Anzeige will er nichts wissen, so dass Capaul eigentlich nur einen kleinen Aktenvermerk, den klassischen Dreizeiler, schreiben müsste. Doch nur wenig später stirbt Pinggera unter denkwürdigen Umständen. So wird nach dem Genuss einer Flasche Rioja akutes Leberversagen attestiert, was bei einem Alkoholiker halt nicht unüblich sei. Capaul gibt der Fall, der offiziell gar keiner ist, dennoch zu denken. Als er erfährt, dass Pinggera kein Alkoholiker war und erst recht keinen Rotwein trank, ist Capauls Neugier endgültig geweckt. Aber in der kleinen Dorfgemeinschaft hält man fest zusammen und nicht viel von Einmischungen.
„Dümmer als die Polizei erlaubt“
Tim Krohn, erfolgreicher Buchautor aus der Schweiz (u. a. bekannt durch „Vrenelis Gärtli“) hat das Genre des Kriminalromans entdeckt, wo er unter dem Pseudonym Gian Maria Calonder seinen Protagonisten, den unerfahrenen Massimo Capaul, im Oberengadin ermitteln lässt. Natürlich lebt die Reihe von der herrlichen Landschaft rund um St. Moritz und selbstredend spielt der Skisport eine nicht unwesentliche Rolle. Rudi, Neffe des Verstorbenen, war einst erfolgreicher Skifahrer und träumte davon, erneut die Olympiade an Land zu ziehen. Dabei verdiente er durch Grundstücksspekulationen recht gut, nur leider wurde nichts aus dem Traum und so entstanden plötzlich Schulden. Da kommt das Grundstückserbe gerade recht; Geld war schon immer ein starkes Mordmotiv.
Mord? Davon geht nur Capaul aus, der allerdings an seine Erkenntnisse nur deshalb gelangt, indem er alles, was er in der Polizeiausbildung gelernt haben sollte, über den Haufen schmeißt. Ein grundsätzlich sympathischer Ermittler, der aber noch vor dem Antreten seines Dienstes sich als Polizist ausgibt, beim unbefugten Betreten einer Wohnung auf Beweismittel trifft und diese einsteckt, sind nur einige Punkte, die einen verwirrt die Augen reiben lassen. Hier muss man schon große Zugeständnisse machen, sieht man aber über das „eigentümliche Vorgehen“ hinweg, so ergibt sich eine kurzweilige Geschichte, die noch dazu sehr unterhaltsam erzählt wird. Natur, Figuren und Schreibstil sind angenehm, allein der Spannungsbogen ist mehr als überschaubar. Wen dies alles nicht stört, mag hier den Auftakt einer neuen Serie erleben. Bislang sind bereits vier Romane mit Massimo Capaul bei Kampa erschienen.
- Autor: Gian Maria Calonder
- Titel: Engadiner Abgründe
- Verlag: Kampa
- Umfang: 221 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: September 2018
- ISBN: 978-3-311-12003-2
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 10/15 dpt