Das Morden in Three Pines geht weiter
In Kanada, der Heimat von Louise Penny, gilt die Armand-Gamache-Reihe seit vielen Jahren als Erfolgsreihe. Der fünfte Fall „Wenn die Blätter sich rot färben“ erschien im Original bereits 2009. Umso schöner, dass der Kampa Verlag mit Sitz in Zürich sich dieser Reihe angenommen hat. Bei der Veröffentlichung der Werke ist allerdings die Reihenfolge zu beachten, denn erschienen sind bislang die ersten sechs Bände sowie die Bände dreizehn und vierzehn; die Bände sieben und acht sollen 2021 folgen. Nun ja. Wichtiger und auch ein kleiner Spoiler ist allerdings folgender Hinweis, denn im sechsten Fall „Heimliche Fährten“ wird Chief Inspector Gamache den fünften Fall neu aufrollen, wenngleich dieser eine mögliche Auflösung bietet.
Ausgerechnet im Bistro von Olivier und Gabri wird eine Leiche gefunden. Doch in dem verschlafenen Three Pines, wohin sich Fremde nur sehr selten verirren, kennt keiner den Toten. Die Ermittler um Chief Inspector Armand Gamache stehen bezüglich der Identität des Opfers vor einem Rätsel. Doch dann überschlagen sich geradezu die Ereignisse. Der Tote wurde offenbar von Marc Gilbert im Bistro abgelegt, der – neu im Dorf – mit seiner Frau ein Wellnesshotel eröffnen möchte. Dies wäre womöglich der Todesstoß für die Pension von Olivier und Gabri, so dass es unter anderem deswegen zu einem ordentlichen Krach zwischen Marc und Olivier kam. Allerdings wurde das Opfer in einer kleinen, im Wald versteckten Hütte ermordet, wo der Fremde wie ein Eremit zurückgezogen lebte. Doch diese Hütte kannte Marc nicht. Bald wird Gamache klar, dass zumindest ein Dorfbewohner den Toten gekannt haben muss und diesen mit Lebensmitteln versorgte. Nicht das einzige Geheimnis, welches die traute Dorfgemeinschaft tief erschüttert…
Ein sensationeller Fund mitten in der Québecer Wildnis
Louise Penny verdankt den großen Erfolg ihrer Serie vermutlich vor allem zwei Faktoren. Einerseits gibt sie den zahlreichen Bewohnern von Three Pines viel Zeit und schafft damit lebensechte Figuren, mit denen die Leser warm werden. Ob dies die schwarze Myrna ist, der die örtliche Buchhandlung gehört, dass Künstlerpaar Clara und Peter, die Gilberts oder die durchgeknallte Dichterin Ruth, die mit ihrer Ente Rosa durch das Dorf spaziert; sie alle werden sehr intensiv gezeichnet. Wer so etwas mag, findet hier eine (fast) heile Welt, abseits des Trubels irgendwo im Nirgendwo. Andererseits ist dies eine gutgelegte Finte, denn hinter der scheinbar glänzenden Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit zeigen sich menschliche Abgründe. Neid und Missgunst, Habgier und Geltungsdrang, sind einige der Geheimnisse in Three Pines. Erst nach und nach blickt man hinter die einzelnen Köpfe, nicht nur Olivier macht sich besonders verdächtig. Dass dieser den Eremiten kannte, weiß der Leser lange vor Gamache, was aber der Spannung nicht abträglich ist. Denn wäre diese Lösung nicht zu offensichtlich?
„Ich will lieber gar nicht wissen, was Gamache von uns denkt. Jedes Mal wenn er hierherkommt, gibt’s eine Leiche.“
„Jedes Dorf in Québec hat seine Berufung. Manche machen Käse, manche Wein, manche Töpfe. Wir produzieren Leichen.“
Der Eremit seinerseits birgt ebenfalls viele Geheimnisse. Wer war der geheimnisvolle Mann, der völlig zurückgezogen, gleichwohl aber gepflegt und mit unvorstellbaren Wertgegenständen in seiner Hütte lebte? Louise Penny spinnt hier ein feines Garn, was stellenweise allerdings etwas weit hergeholt erscheint. Zudem gibt es eine Geschichte in der Geschichte, die zur allgemeinen Verwirrung beiträgt.
Wer gerne in eine vielschichtige Welt von handelnden Personen in ihrer für sich abgeschotteten Umgebung eintauchen möchte, der wird sich in Three Pines wohlfühlen; trotz und wegen der menschlichen Makel. Wer hingegen einen reinen Krimiplot sucht, dem wird auch der fünfte Fall der Gamache-Reihe zu viele Längen haben. So oder so, sollte man aber die „Fortsetzung“ nicht verpassen. Hier dürften weitere Überraschungen aufwarten.
Buchcover © Kampa Verlag
Wertung: 11/15 dpt
- Autor: Louise Penny
- Titel: Wenn die Blätter sich rot färben
- Originaltitel: The Brutal Telling
- Übersetzer: Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck
- Verlag: Kampa
- Umfang: 538 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2020
- ISBN: 978-3-311-12019-3
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