Joachim B. Schmidt – Kalmann (Buch)

Der etwas andere Krimi

Im Nordosten Islands liegt Raufarhöfn, ein kleines Nest, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Man lebte einst vom Fischfang, jetzt gibt es nur noch eine Fangquote, die Róbert McKenzie gehört, genauso wie das einzige Hotel im Ort. Allein die Gäste sind schon lange verschwunden und nun wird auch der “König von Raufarhöfn”, jener Róbert McKenzie eben, vermisst. Kein geringerer als Kalmann, der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, andere würden ihn als den Dorftrottel bezeichnen, hat bei der Jagd auf einen Polarfuchs am Artic Henge Monument eine große Blutlache gefunden. Kalmann informiert die Schuldirektorin, die wiederum die Polizei. Birna, Polizistin aus Reykjavik, übernimmt den Fall und steht bald vor einem Rätsel. Eine Blutprobe ergibt, dass es sich um McKenzies Blut handelt, doch er selbst bleibt unauffindbar. Für Kalmann wird es bald ungemütlich, denn er braucht dank seines Downsyndroms vor allem klare Strukturen in seinem Leben. Stattdessen stolpert er durch den größten Fall, den der Ort je erlebt hat und landet eher unfreiwillig in den Fernsehnachrichten. Plötzlich ist von der litauischen Mafia die Rede und Kalmann gerät um ein Haar in eine Schießerei mit Spezialeinstzkräften. Doch so vergesslich Kalmann manchmal auch sein mag, er ist die Zuverlässigkeit in Person und ein großer Held wider Willen.

“Detektiv mit Behinderung” stimmt nicht ganz

Man kann “Kalmann” als Kriminalroman lesen (in der KrimiBestenliste der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und von Deutschlandradio Kultur kletterte “Kalmann” im November 2020 sogar auf Platz 4), denn zu Beginn findet sich die besagte Blutlache, ein Mann verschwindet spurlos und erst in einem atemberaubenden Finale löst sich der Fall auf. Dazwischen passiert “kriminalistisch” eher weniger, denn auch wenn der 33-jährige Protagonist dank seines amerikanischen Vaters über eine Mauserpistole, einen Sheriffstern und einen Cowboyhut verfügt, so ist er doch nicht in der Lage, der Polizei zu helfen; von eigenen Ermittlungen ganz zu schweigen. Erst am Schluss wird sich dies ändern, dann aber mit Karacho.

“Es tut mir leid, dass du zwischen die Fronten geraten bist, Kalmann. Immer zur falschen Zeit am falschen Ort! Wie machst du das nur?”

Den Helden mit Downsyndrom muss man in sein Herz schließen, wenngleich er natürlich ein paar Böcke schießt, die seiner Krankheit geschuldet sind. So rastet er einmal beinahe aus, als in einer Tankstelle “sein Tisch” besetzt ist, an dem er immer seinen Hamburger isst. Auch verletzt er sich mitunter selber, wenn er mit einer Situation überfordert ist. Kalmann lebt allein, seine Mutter im entfernten Akureyri und ist nur gelegentlich zu Besuch. Seine wichtigsten Bezugspersonen sind ohnehin Noi, ein junger Computernerd, und vor allem sein Großvater, der in Husavik in einem Pflegeheim lebt und Kalmann nicht immer bei dessen samstäglichen Besuchen erkennt. Kalmann ist nicht nur der von allen geduldete Sheriff des Ortes, sondern in erster Linie Haifischfänger, ein Job, den er vom Großvater einst lernte. Inzwischen macht er den zweitbesten Gammelhai Islands, wozu er regelmäßig Grönlandhaie jagt. In der Natur kennt er sich aus wie kein Zweiter, so ist es nicht überraschend, dass ausgerechnet er die Blutlache findet. Wie sich dann die Geschichte weiterentwickelt muss man gelesen haben; die naive Erzählweise Kalmanns ist dabei ein vergnügliches Erlebnis, das einen gelegentlich zum Schmunzeln bringt.

Als ich beim Häuschen angekommen war, wurde mir schlecht, und ich kotzte neben den Eingang. Kurz und heftig. Dann rettete ich mich mit letzter Kraft hinein. Ich glaube, auch Filmhelden würden blöd dastehen, wenn sie von der Spezialeinheit überrumpelt und zu Boden gedrückt worden wären, entsicherte halbautomatische Schnellfeuerwaffen im Nacken und alles. Die in Hollywood wissen aber gar nicht, wie das richtige Leben ist. Nämlich genau so: zum Kotzen.

Allein sein Hauptziel, die Suche nach der Frau seines Lebens, will er nicht erreichen. Frauen sind in Raufarhöfn ohnehin rar und die schöne Nadia ist schon vergeben, womit wir bei der bereits erwähnten Mafia wären. Wer einen packenden Krimi im herkömmlichen Sinn erwartet, könnte enttäuscht werden. Denn zwischen dem blutigen Auftakt und dem furiosen Finale passiert wenig, dafür verfolgt man den Lebensalltag des außergewöhnlichen Protagonisten mit all seinen Hindernissen. Die Landschaft Islands, der Haifischfang, die teils kauzigen Bewohner des Ortes entschädigen für die zeitweise fehlende Spannung, die nur punktuell, dafür aber fein erzeugt wird.

Cover © Diogenes

Wertung: 13/15 dpt

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