Stephen Crane – Die rote Tapferkeitsmedaille (Buch)


Ist der Roman interessanter als der Autor oder umgekehrt?

Der Bürgerkrieg hält an und für die Union scheint es gut zu laufen. Die Zeitungen berichten über spektakuläre Siege. Auch der junge Henry Fleming, noch ein Schüler, der auf der elterlichen Farm lebt, träumt von großen Schlachten, wenngleich ihm klar ist, dass es so heroisch wie bei den alten Griechen wohl nicht mehr zugehen wird. Zum Verdruss seiner Mutter verpflichtet sich Henry und findet sich wenig später am Ufer des Rappahannock wieder, wo die Blauröcke ihr Lager aufgeschlagen haben. Hier heißt es warten und warten, Drill über Drill. Plötzlich geht es los, es wird marschiert, leichte Schutzwälle errichtet, wenig später weitermarschiert; allein vom Feind ist nichts zu sehen. In seiner Einheit, aus jungen Rekruten bestehend und daher als Frischlings-Regiment verspottet, macht sich Frust breit, schließlich wollen die Jungen ihren Teil zum Erfolg beitragen und endlich kämpfen. Zeigen, dass sie ein Mann sind. Doch schon beim ersten leichten Scharmützel, das reichlich Opfer fordern wird, nehmen die ersten Rekruten die Beine in die Hand, darunter auch Henry. Über Umwege schafft er es zurück zu seiner Einheit, ohne gekämpft zu haben. Da ihm auf dem Weg ins Lager ein Soldat seinen Gewehrkolben gegen die Stirn schlägt, kann Henry immerhin eine Verletzung aufweisen, welche als Streifschuss ausgelegt wird. Als es dann tatsächlich zum großen Kampf gegen die Rebellen, die Konföderierten, kommt, stürmt Henry wie unter Trance nach vorne und wird am Ende zum Held. Irgendwie halt…

Der Sezessionskrieg (Amerikanische Bürgerkrieg) endete am 9. April 1865. Gut sechseinhalb Jahre später, am 1. November 1871, wird Stephen Crane als vierzehntes Kind einer religiösen Familie geboren. Obwohl er selber den Krieg nicht erlebt hat, nicht einmal Ahnung vom Soldatenleben hat, gelingt ihm im Alter von gerade einmal 22 Jahren ein literarisches Meisterwerk, welches in Amerika noch heute Pflichtliteratur an vielen Schulen ist. Denn als “Die rote Tapferkeitsmedaille” 1895 erstmals erschien, revolutionierte der Roman die bisherige Kriegsberichterstattung. Bisher schrieben am Kampf beteiligte Offiziere oder Gebildete der Oberschicht und setzten die Schwerpunkte auf das “große Ganze”. Strategie und Taktik waren die beherrschenden Themen und natürlich die Klugheit der Generalität. Was nicht vorkam, war die Rolle und das Empfinden des einfachen Soldaten, des Kanonenfutters, welches man nach Belieben in die Schlacht werfen vulgo verheizen konnte.

Stephen Crane setzt genau hier an: Beim einfachen Soldaten. Henry Fleming, später überwiegend “der Junge” genannt, da seine Person gegen unzählige andere beliebig austauschbar ist, bestimmt die Handlung. Wobei die Handlung, also der Krieg selbst, kaum eine Rolle spielt, denn nur amerikanische Leser, die den Sezessionskrieg aus dem Schulunterricht kennen, können zumindest erahnen, dass die (fiktive) Handlung dort spielt. An einer bezeichnenden Stelle, als mal wieder Abwarten angesagt ist, vermutet Henry, dass die Zeitungen vermelden werden “Am Rappahannock nichts Neues”. Wer jetzt an den gut vier Jahrzehnte später erschienen Klassiker von Erich Maria Remarque denkt, liegt hier richtig (beide Titel wurden auch schon mal in einem Buch veröffentlicht; allerdings nur auf englisch).

In “Die rote Tapferkeitsmedaille” geht es um die inneren Befindlichkeiten und Widersprüche der Soldaten. Sie träumen vom großen Ruhm und erkennen wohl, dass sie nur ein Spielball der Generäle sind, die im Hintergrund nicht immer nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Der Ausruf “Es ist ja nur eine Armee” kommt einem in Erinnerung. Gleichzeitig wollen die Soldaten überleben, aber ohne Schande (Flucht vor dem Feind) mitzubringen. Eine “rote Tapferkeitsmedaille” (eine Wunde) ist das Mindeste. Nationales Pathos, Ergriffenheit vor dem Monster des Krieges, Selbstreflexion und große Zweifel werfen einen neuen Blick auf die Geschehnisse. Seit “Die rote Tapferkeitsmedaille” wird über Kriege reflektierter berichtet. Stephen Crane gilt als einer der größten Erzähler Amerikas, aufgrund seines Widerspruchsgeistes verglich ihn seine Biografin einst mit Elvis. Auch seine Erzählungen sorgten für Aufsehen, fehlen bis heute in kaum einer Klassikersammlung. Wohlgemerkt in Amerika. Außerhalb Amerikas geriet der gefeierte Autor bald in Vergessenheit, dabei mag man sich gar nicht vorstellen, wie er die literarische Welt noch hätte beeinflussen können, wäre er – sagen wir – siebzig oder achtzig Jahre alt geworden. Stephen Crane starb im Alter von 28 Jahren.

Im Anschluss an die Hauptgeschichte gibt es noch die Erzählung “Der Veteran”, in der es ein Wiedersehen mit Henry Fleming als alten Mann gibt. In dem lesenswerten Nachwort wird die literarische Bedeutung des Werkes eingeordnet und in dem abschließenden Portrait, welches 68 Seiten umfasst, wird der Lebensweg von Stephen Crane ebenso kurzweilig wie informativ aufgezeigt.

Cover © Pendragon Verlag

  • Autor: Stephen Crane
  • Titel: Die rote Tapferkeitsmedaille
  • Originaltitel: The Red Badge of Courage (1895)
  •  Übersetzer: Bernd Gockel
  • Verlag: Pendragon Verlag
  • Erschienen: 09.2020
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 318
  • ISBN: 978-3-86532-686-7
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeit

Wertung: 13/15 dpt


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