Natürlich denkt man direkt an den legendären Film “Das Boot” und den gleichnamigen Bestseller von Lothar-Günther Buchheim, wenn es um das Thema U-Boot-Krieg geht. Dennoch bietet Kevin Major mit seinem Roman “Caribou” einen anderen Ansatz, denn vor dem Hintergrund wahrer Ereignisse werden die Folgen des Seekrieges auf beiden Seiten erlebbar.
“Caribou” berichtet abwechselnd aus zwei Perspektiven. Da ist der Ich-Erzähler und U-Boot-Kommandant der U 69, Ulrich Gräf, und auf der anderen Seite, in Dritter Person erzählt, der (fiktive) Steward John Gilbert auf der Fähre Caribou. In der beklemmenden Atmosphäre des U 69 macht sich im September 1942 Langeweile breit, denn es sind keine feindlichen Schiffe zu erkennen. Doch dann biegt man auf die Cabotstraße ein und entdeckt eine Fähre. Endlich ein Ziel vor Augen, befiehlt Gräf den direkten Angriff. Währenddessen ging auf der Caribou kurz zuvor ein entspannter Abend zu Ende. Man spielte Musik, tanzte und sang, trank das eine oder andere Gläschen.
Doch auf den Mann, der die Gewässer der Cabotstraße besser kennt als jeder andere, wollen sie natürlich nicht hören. Sicher, die S.S. Caribou ist ein ziviles Passagierschiff, aber über die Hälfte der 191 Passagiere sind Soldaten, die nach ihrem Heimaturlaub zurück an ihre Stützpunkte in Neufundland fahren. Und Taverner hat nicht den leisesten Zweifel, dass der deutsche Geheimdienst bestens darüber informiert ist.
Die Caribou wurde ohne Vorwarnung am 14. Oktober 1942 torpediert. Unmittelbar nach dem Einschlag explodierte der Dampfkessel, die Mannschaft im Maschinenraum starb sofort. Insgesamt befanden sich 237 Menschen an Bord, nur hundert überlebten. Die Caribou befand sich auf der Fahrt von North Sydney (Nova Scotia/Kanada) auf dem Weg nach Port aux Basquets (Neufundland). Unter den Überlebenden befindet sich John Gilbert, dessen Wunsch, Soldat zu werden, durch den Untergang der Fähre verstärkt wird. Zunächst muss er sich von seinen schweren Verletzungen auf Neufundland erholen, 1943 wird er auf einem Rettungsschiff arbeiten und ein Wiedersehen mit der U 69 erleben. Ulrich Gräf verbringt nach dem Abschuss der Caribou und seiner Rückkehr in das französische Lorient ein paar Tage mit seiner großen Liebe Elise, bevor er an Weihnachten zu seinen Eltern nach Dresden fährt. Wurde er bei der Marine in Lorient noch bestens versorgt, erlebt er zuhause den deutschen Alltag. Die Heizung nahezu abgestellt, kaum Lebensmittel, stattdessen Essensmarken und vor allem; kaum noch Juden in der Stadt. Der Vater erträgt es stoisch im blinden Führergehorsam, die Mutter wirkt zunehmend verbittert. Wenig später ist Gräf wieder an Bord seines Schiffes und erlebt eine ereignislose Fahrt. Dann, auf der Rückkehr, passiert es. Ein Rettungsschiff in Begleitung eines Zerstörers soll versenkt werden, doch hat sich die Situation längst gewendet; dank moderner Funkpeilung und der Entschlüsselung von Enigma.
U 69 ist eine Zigarrenröhre, in die 47 Leute gequetscht werden. Jeder atmet die gleiche Luft, jeder isst den gleichen Fraß, der mit jedem Tag abgestandener und monotoner wird, jeder verrichtet seine Notdurft an einem Ort, wo zehn Minuten zuvor ein anderer Mann gesessen hat.
Im ersten Teil des Romans geht es um das Schicksal der Caribou, im zweiten um jenes der U 69. Dazwischen wird den handelnden Personen auf beiden Seiten viel Platz eingeräumt. Der kanadische Autor Kevin Major enthält sich moralisierender Bewertungen, stellt vielmehr die Menschen mit Empathie vor. Major versetzt sich unvoreingenommen in deren Wertvorstellungen und Gedanken und schafft so ein lebendiges Bild. Wurde in frühen Romanen – hier kommt die eingangs erwähnte Neuerung – das kriegerische Geschehen als Tathergang “berichtet”, so werden hier konkret die Folgen auf beiden Seiten aufgezeigt. Früher wurde ein Schiff versenkt, der Erfolg heroisiert und das Ergebnis in Bruttoregistertonnen addiert. Auf die Toten, Überlebenden oder gar deren Angehörige auf der gegnerischen Seite wurde hingegen kaum eingegangen. Deren Leid wurde ausgeblendet, was der Leserschaft die Lektüre erträglicher machte. In “Caribou” werden die Folgen beiderseits dargestellt, wobei die ständigen Perspektivwechsel die Ereignisse noch eindringlicher machen. Bedingungslose Pflichterfüllung bestimmt das Handeln fast aller Beteiligten. So werden aus realen wie fiktiven Figuren lebhafte Charaktere, die nicht in klassische Schwarz-Weiß-Muster passen. Zudem bietet der Roman, losgelöst von den (bekannten) Schicksalen der Caribou und der U 69, einen intensiven Einblick in das Leben an Bord eines U-Boots sowie den Seekrieg des Zweiten Weltkrieges. Das ebenfalls sehr lesenswerte Nachwort von Christian Adam soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Fazit: Spannende Geschichtsstunde!
Cover © Pendragon Verlag
- Autor: Kevin Major
- Titel: Caribou
- Originaltitel: Gone ‘Til November
- Übersetzer: Bernd Gockel
Nachwort von Christian Adam - Verlag: Pendragon Verlag
- Erschienen: 08.2019
- Einband: Gebunden mit Schutzumschlag
- Seiten: 344
- ISBN: 978-3-86532-683-6
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Wertung: 13/15 versenkte dpt