Das verlorene Wochenende (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


Zu den Meisterwerken des Billy Wilder zählt auch „Das verlorene Wochenende“, das nun in Deutschland in Blu-ray-HD-Qualität erhältlich wird. Das neue Label Vocomo Movies nimmt sich in diesem Fall dem in den Augen der Kritiker*innen wichtigsten Trinker-Film an und füllt damit eine Marktlücke. Der später gerne mit komödiantischen Elementen experimentierende Wilder adaptierte 1945 den gleichnamigen Roman von Charles R. Jackson mit erstaunlicher Ernsthaftigkeit und schafft durch die Übertragung ins Film noir-Genre einen erstaunlich realitätsnahen Beitrag zum Suchtverhalten des Trinkertums. Obwohl der Film die Entertainment-Maschine Hollywood auf diese Weise herausforderte, wurde „Das verlorene Wochenende“ seinerzeit großzügig mit Oscars bedacht und übt bis heute großen Einfluss auf Filme mit dem Sujet „Sucht“ aus und hat zur Öffnung des gesellschaftlichen Diskurses beigetragen.

Bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller und bestes adaptiertes Drehbuch heißen die Kategorien, in denen „Das verlorene Wochenende“ bei den Academy Awards 1946 ausgezeichnet wurde und zum großen Abräumer des Abends avancierte. Vielleicht war etwas Glück dabei, dass Hitchcock mit „Spellbound“ in diesem Jahr kein Meisterwerk einreichte, aber das heißt nicht, dass Billy Wilder kein Geniestreich gelang. Im Roman „The Lost Weekend“ von Charles R. Jackson, der 1944 erschien, sah der Regisseur das Potenzial, gleich den Film als massentaugliches Medium miteinzubeziehen, um das Suchtthema zu verbreiten. Ein durchaus mutiges Unterfangen, nachdem Wilder gerade erst mit „Frau ohne Gewissen“ seinen Durchbruch feierte und Hollywood angesichts des Zweiten Weltkriegs eher auf Ablenkung als Maßstab setzte.

„Das verlorene Wochenende“ überzeugte aber nicht nur die Kritiker*innen, sondern entwickelte sich zu einem waschechten Kassenschlager. Irgendeinen Nerv musste die Geschichte des Don Birnam (Ray Milland) getroffen haben, ist doch am Schicksal der tragischen Figur zunächst nichts erbaulich. Vergleichsweise harmlos beginnt der Film: Don und sein Bruder Wick (Phillip Terry) packen für einen langen Wochenendausflug aufs Land. Doch irgendetwas sträubt sich in Don gegen den Kurzurlaub, er wirkt nervös und in einem kurzen unbeobachteten Moment versucht er sein Versteck zu erleichtern. Wenigstens eine Flasche muss er mitnehmen, um nicht gänzlich in den Entzug gehen zu müssen. Nachdem seine Freundin Helen (Jane Wyman) die Wohnung betritt, will sich der Trinker noch etwas Zeit verschaffen und überredet sie, mit Wick ins Theater zu gehen. Doch zufällig fliegt das Versteck auf und das mühsam aufgebaute Vertrauen in Don ist in einem Moment zerstört.

Diese ersten Minuten stehen beispielhaft für das, was in den vergangenen sechs Jahren passiert ist und das folgende Wochenende folgen wird. Als sein Bruder entnervt alleine die Reise antritt, weil Don in der Kneipe versackt ist statt den Abfahrtszeitpunkt einzuhalten, fällt ein wichtiges Regulativ weg, das Don in seinem Suchtverhalten noch in gewisse Bahnen zu leiten wusste. Das folgende Wochenende gerät zu einer Achterbahnfahrt zwischen betrunkenen Glücks- und nüchternen Schuldgefühlen, wobei die Richtung des metaphorischen Fahrgeschäfts, das weiß der Film eindrücklich zu vermitteln, eigentlich immer weiter nach unten zeigt.

Relativ früh im Film stellt Dons Freundin die entscheidende Frage, die heute noch immer nicht ganz durchgesetzt zu haben scheint: Ist Alkoholsucht nicht eine Krankheit und sollten wir Don dann nicht dementsprechend behandeln? Darin ist eine Kritik an den Handlungen Wicks implementiert, der seinem Bruder erst durch die Verschleierung der Sucht und der finanziellen Unterstützung, nun durch den Einbezug der umliegenden Geschäfte, die er zum Boykott Dons aufruft, schadet. Wick hat das beste im Sinn, bloß sind seine Versuche dermaßen unbeholfen, dass er seinen Bruder und auch sich selbst in Misskredit bringt. Im Grunde steht er für die amerikanische Gesellschaft dieser Zeit, die aufgrund bestimmter Annahmen praktische Schlüsse zog, die sich als mindestens naiv herausstellen sollten. Sicherlich liegt dies zum Teil in der Prohibition begründet, die zwischen 1920 und 1933 die Staaten versuchsweise komplett trockenzulegen gedachte.

Gebracht hat dieses großzügig als „ehrenhaftes Experiment“ betitelte Projekt bekanntermaßen herzlich wenig, wurde der Alkoholkonsum doch dermaßen kriminalisiert, dass sich gegenteilige Effekte einstellten: Missbrauch im Geheimen statt einem gesunden Austausch über den gemäßigten Gebrauch. Wick versteht Dons Verhalten als das eines Tunichtguts, eines Nichtstuers, eines Faulenzers und die wahre Tragik besteht darin, dass Don diese These verinnerlicht hat. Mit über 30 versucht er sich weiterhin als Schriftsteller, obwohl sich kein Erfolg einstellen mag. Das mangelnde Vertrauen in ihn übernimmt er als fehlendes Selbstvertrauen, er isoliert sich zunehmend und befeuert dadurch das Gefühl, dass ihn andere ablehnen. Sein Alkoholmissbrauch erklärt sich aber nicht einfach aus dieser Tatsache, wie der „Das verlorene Wochenende“-Stoff eindrucksvoll nachzeichnet.

Wenn Don trinkt, wirkt er wie ein anderer Mensch. Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein paart sich mit gefühltem Ideenreichtum zu einem Hochgefühl, das er aus seinem Alltag nicht kennt. Er erntet dann Zuspruch, eine weitere Frau, Gloria (Doris Dowling), interessiert sich für ihn, er fühlt sich auf einer Ebene mit den großen Denkern. Doch es bleibt nicht bei einem kleinen Rausch, sein Konsum orientiert sich an den Maßen der Flasche. Da er kein Geld hat und sein Bruder ihn an diesem Wochenende nicht aushelfen kann, vollzieht Don immer häufiger und mit steigender Intensität kriminelle Handlung. Mal belügt er die Putzfrau und bringt sie um ihren Lohn, dann verwüstet er die Wohnung seines Bruders auf der Suche nach einer Flasche und später stiehlt er aus der Handtasche einer Frau ein paar Dollar. Nach letzterem Vorfall beteuert Don, er sei kein Dieb und obwohl das im Eifer des Skandals in einer Bar keinen von seiner Verurteilung abhält, so spricht er etwas Wahres aus: Er ist kein Dieb, sondern ein Kranker, der stiehlt.

Seine Freundin Helen, mit Nachnamen nicht umsonst St. James, erkennt das und bleibt jahrelang bei ihm. Für Don ist unverständlich, was die hübsche Dame aus gutem Hause an ihn bindet, den Verlierer, der nicht auf eigenen Füßen steht. Und vor allem, das wird durch eine Rückblende deutlich, trinkt Don auch diesbezüglich gegen ein Schuldgefühl an, denn ihr Kennenlernen ist für ihn unmittelbar mit einer Lüge verbunden. Ebenso komplex ist um seine Profession als Schriftsteller bestellt, bei der eine Schreibblockade und seine Schreibmaschine eine große und rührende Rolle der Sehnsucht spielt. Charles R. Jackson webt in seinem Roman Facetten ein, die das Mitleid mit dem Ekel ermöglicht, das sein gesamtes Umfeld verletzt, weil es sich an den Erwartungen und seinen Ambitionen misst und schlussendlich an sich selbst zerbricht.

Billy Wilder übersetzte dies in ein düsteres Film noir-Setting, das die Verurteilung des Alkoholikers zum Kriminellen in den Vordergrund stellt. Don ist von der Gesellschaft bereits als Trinker abgestempelt, die Leute auf der Straße tuscheln, obwohl es kein Geheimnis mehr ist. Das bestätigt zwar einen gewissen Verfolgungswahn, der Don befällt, doch den Fehler bei den anderen zu suchen, bringt ihm ohne den Rückbezug zu sich selbst recht wenig. An diesem Wochenende landet er ein weiteres Mal in der gut gefüllten Ausnüchterungszelle, einem Ort zwischen Psychiatrie und Gefängnis, das mit Horrorelementen inszeniert einen Alptraum-Raum darstellt, der Don als Warnung vor der Unwiederbringlichkeit seines Gesundheitszustands warnt. Mehrere Behandlungen hat er schon hinter sich, jedes Mal ist er rückfällig geworden, selbst das zwischenzeitliche Hoch der Liebe zu Helen hielt ihn lediglich wenige Wochen vom Trinken ab. Der zynische Ton des Film noir bezieht sich hier auf den fehlenden Umgang der gesellschaftlichen Institutionen mit dem Phänomen der Sucht durch das Verschieben in das Generalisierende des Kriminellen. Dabei kann Don nur geholfen werden und er sich selbst helfen, wenn er sich an die Verarbeitung der Grundkonflikte begibt, die ihn und seine Psyche quälen.

Heute mag „Das verlorene Wochenende“ mit seiner schrittweisen, fast dokumentarischen (aber auch durch verspielte Einstellungen und pompöser Musik von Miklós Rózsa und Giuseppe Verdi dramatischen) Beleuchtung des Suchtverhaltens nichts wirklich Neues vermitteln, aber daran wird der große Einfluss des Werks auf die Filmgeschichte deutlich. Ebenso sind klinische Erkenntnisse mittlerweile Teil des Alltagswissen geworden, wonach sowohl die Abwärtsspirale der Sucht als auch ihre Bekämpfung als bekannt vorausgesetzt werden könnten, was den Suchtkranken unserer Tage helfen würde. Das stimmt bis zu einem gewissen Grad, dennoch herrscht gerade in der Verbindung von Sucht mit Armut noch immer die Bewertung als „Asoziale“ vor, den Unbelehrbaren, Faulen und Dreckigen. Dass auch hinter ihrer Erkrankung tragische Ereignisse stehen, die sicher nicht alles rechtfertigen, aber zumindest ein gewisses Empathiegefühl hervorbringen können, wird allzu häufig vernachlässigt. „Das verlorene Wochenende“ steht zusammen mit den Trinker-Romanen am Anfang eines wichtigen Prozesses der Aufarbeitung und weiß heute noch immer zu überzeugen.

Fazit: Schritt für Schritt arbeitet „Das verlorene Wochenende“ die Suchtgeschichte des Don Birnam auf und dreht an der Ansicht, dass es sich bei ihm nicht um einen Kriminellen, sondern um einen Kranken handelt. Durch die Beleuchtung seiner Hintergrundgeschichte wird er nicht völlig entlastet, aber doch fügt sich das Bild eines Menschen, der nicht von Natur aus böse oder faul ist. Die Menschen in seinem Umfeld kämpfen täglich mit den Verletzungen, die ihnen Don beibringt, doch (mal auch unbeholfen) wird es als kranker Mann gesehen, der sich selbst am meisten Schaden zufügt. Billy Wilder inszeniert die Vorlage selbstbewusst, düster und realitätsnah und trug dazu bei, Wissen über Suchtverhalten in die Breite zu tragen.

Szenebilder © 1945 Paramount Pictures, Inc. Renewed 1972 EMKA, division of Universal Studios. All rights reserved.

Cover © Vocomo Movies

  • Titel: Das verlorene Wochenende
  • Originaltitel: The Lost Weekend
  • Produktionsland und -jahr: USA, 1945
  • Genre:
    Film noir
    Drama
  • Erschienen: 14.06.2019
  • Label: Vocomo Movies
  • Spielzeit:
    ca. 96 Minuten auf 1 DVD
    ca. 101 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    u.a.
    Ray Milland
    Jane Wyman
    Phillip Terry
    Howard Da Silva
  • Regie: Billy Wilder
  • Drehbuch: 
    Charles Brackett
    Billy Wilder
    Charles R. Jackson (Buchvorlage)
  • Kamera: John F. Seitz
  • Musik: Miklós Rózsa
  • Extras:
     Trailer (engl.), Bildergalerie mit seltenem Werbematerial
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1,37:1 (16:9)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video: 1,37:1 (16:9) (1080p/HD)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
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