Fitzcarraldo (Remastered) (Spielfilm, DVD)


Wie sieht abgefilmte Sinnlosigkeit aus? In der Kategorie Spielfilm erhebt „Fitzcarraldo“ gleich in mehrfacher Hinsicht berechtigten Anspruch auf den Titel. Bei der Produktion im peruanischen Urwald Anfang der 1980er-Jahre stellte sich der erstaunliche Effekt ein, dass die Kritik des Films an den Exzessen der Kolonialzeit auf das Geschehen hinter den Kulissen übertragen werden kann. Ein Projekt, das es nie hätte geben dürfen, doch paradoxer- und perverserweise genau wegen dieser Anstrengung Filmgeschichte schrieb – und fraglos eine der beeindruckendsten Kinosequenzen aller Zeiten zustande brachte.

Eine Oper im Dschungel, das kann nur die Idee eines Träumers sein. Brian Sweeney “Fitzcarraldo” Fitzgerald (Klaus Kinski) verschlug es Anfang des 20. Jahrhunderts nach Südamerika, um dort seinen Platz im vom Kautschuk-Boom geöffneten Peru zu suchen. An dem Ausgangsstoff zur Gummiherstellung ist er dabei aber kaum interessiert, vielmehr schweben ihm verrückte Ideen um eine Eisenbahnlinie, eine Eisfabrik und schließlich einer Oper mitten im gefährlichen Dickicht vor. Fitzcarraldo (den Namen könnten die „Nacktärsche“ besser aussprechen) entschließt sich in seiner Idee von unbegrenzten Möglichkeiten in der neuen Welt dazu, Geld für sein wahnwitziges Projekt zu machen, kommt dabei aber nun mal nicht am wertvollen Saft der Kautschukbäume vorbei.

Er schnorrt sich Startkapital für eine Expedition, möbelt einen alten Dampfer auf, trommelt eine Crew aus Einheimischen und Abenteurern zusammen und macht sich schließlich auf die Reise, die zur Überraschung aller den Amazonas hinauf angetreten wird. Fitzcarraldo hatte eine noch nicht vergebene Zelle Land ausfindig gemacht, die er innerhalb von ein paar Monaten bespielen muss, um die erworbenen Rechte halten zu können. Es stellt sich einzig die Frage, wie er das Stück Land erreichen will, denn es ist durch die üblichen Wasserwege unzugänglich. An der engsten Landzunge wagt die Crew das Unmögliche: Das Schiff über den Berg zwischen den beiden Flüssen zu ziehen.

Tatsächlich versuchte das reale Vorbild, der einheimische „Gummibaron“ Carlos Fermín Fitzcarrald seinerzeit Ähnliches, nur baute er das Schiff auseinander und nach dem Transport auf der anderen Seite wieder zusammen. Der in kolonialen, weißen Zwirn gekleidete Fitzcarraldo jedoch will das Schiff um jeden Preis in Gänze hinüberziehen lassen. Nach fast zwei schwerfälligen Stunden Spielzeit wird der erste Versuch gewagt und aus jeder Einstellung des langsamen Prozesses trieft der Saft der Sinnlosigkeit. Eine Schneise wird in den Urwald geschlagen, Tiere und Menschen verletzt und umgebracht, jeder Millimeter knarzt und schleift, so als würde sich die gesamte Natur gegen diesen Eingriff stöhnend zur Wehr setzen.

Selten hat man sich so sehr gewünscht, dass solche Szenen in einem Studio mit Effekten abgedreht worden wären, doch tatsächlich ist hier bis auf ein paar Miniatur-Einstellungen alles echt. Ein im wahrsten Sinne des Wortes unglaubliches Unterfangen, wirkt das Ganze doch wie aus einem Cartoon entnommen. Zum Glück würde heute niemand mehr auf solch eine Idee kommen, dafür sind alleine die computergenerierten Effekte mittlerweile von zu erstaunlicher Qualität, weswegen „Fitzcarraldo“ ein einmaliges Projekt bleiben wird. Eine Sünde, die sich eigentlich nur über ihren Authentizität verströmenden Schauwert retten kann.

Schade ist es da, dass die vorliegende DVD-Version der Remastered-Fassung, die bereits 2013 auf Blu-ray erschienen ist, lediglich einen Audiokommentar von Werner Herzog beinhaltet, der zwar auf wichtige Hintergründe eingeht. Doch die legendären wie berüchtigten Produktionsbedingungen wurden medial dermaßen ausgebreitet, dass eine Dokumentation wie auf der Blu-ray Interessantes chronologisch hätte aufarbeiten können. Genügend Anekdoten und Mythen über die kräftezehrenden wie gefährlichen Dreharbeiten, die Ausraster von Klaus Kinski, die Umwelteingriffe, den problematischen Umgang mit Eingeborenen sowie Verletzte und Tote wären jedenfalls ausreichend vorhanden.

Das wäre auch insofern wichtig, als dass es zur wichtigen Einordnung des Films beiträgt, für den Werner Herzog 1982 bei den Filmfestspielen in Cannes als bester Regisseur ausgezeichnet wurde. Ob der Filmemacher seine Botschaft mit seinem Werk rüberbringen konnte, sei angesichts der Bedingungen vor Ort jedenfalls dahingestellt. „Fitzcarraldo“ setzt sich mit dem Verhältnis der kolonialen, kindlischen Abenteuerlust und den Gegebenheiten vor Ort kritisch auseinander, indem jederzeit das ausgeprägte Verständigungsproblem zwischen den Neuen und den Alten steht. Während die einen in Saus und Braus leben, geschäftig gehetzt sind, andere prostituieren (wie Claudia Cardinales Figur) wilde Exzesse fernab der einschränkenden Autoritäten erleben und Dekadenz leben, reagieren die Einheimischen inkonsistent auf die weißen Männer, mal unterstützend, mal abweisend, mal fasziniert und so bleibt die Beziehung zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft ein großes, transzendentales Rätsel unterlegt von Popol Vuh-Musik und Caruso-Arien.

Bei der Zähmung und Nutzbarmachung der „sinnlosen Natur“ durch das Finden von Zweck und Wert stoßen die Abenteurer und Geschäftsleute regelmäßig an ihre Grenzen und schaffen durch geographische Gedankenspiele Grenzen, die sich auf die Lebensweise derjenigen auswirkt, die von außen kommen und Macht ausüben. Herzog hing sicher auch der Frage nach, welchen Wert Kunst in einer Welt spielt, die vom Geld regiert wird und will ihr auch geographisch einen Platz einräumen. Doch als die Mission scheitert und die Oper einfach aufs Schiff verlagert wird, ist das im Sinne der Völkerverständigung und Weltbürgerschaft gut gemeint, Fitzcarraldo kommt aber viel zu gut weg und darf sich als Mythos profilieren. Nach dem Motto „Practice What You Preach“ versagt der Film in diesen wahnsinnigen, aber eben auch versöhnlichen Momenten und so bleibt nur der Schauwert eines epischen Abenteuerfilms übrig, über deren Echtheit die Zuschauenden staunen können. Viel mehr als der Wahrhaftigkeit der Sinnlosigkeit werden sie sich aber nicht nähern.

Fazit: „Fitzcarraldo“ ist die Geschichte eines Wahnsinnigen, die sich auf das Set übertragen hat. Das, was Werner Herzog an der Dekadenz der Kolonialisten kritisiert, muss er sich angesichts der Ausbeutung der Natur und der mangelnden Völkerverständigung zu einem großen Teil selbst vorwerfen lassen. Klaus Kinskis Fitzcarraldo kommt schlussendlich zu gut weg, was auch die wichtige Frage nach dem Wert von Kunst in kapitalistischen Zeiten unterwandert. Einzig mit einer Feder kann er sich schmücken: Ohne die realen Zerstörungen im Zuge der Dreharbeiten wäre die Sinnlosigkeit der Kolonialzeit in ihrer Wahrhaftigkeit nicht vermittelbar gewesen. „Fitzcarraldo“ ist ein Mythos mit einem nachvollziehbaren Platz in der Filmgeschichte, der aber unbedingt angemessen eingeordnet werden muss.

Cover und Szenebilder © Arthaus

  • Titel: Fitzcarraldo
  • Produktionsland und -jahr: D, 1981
  • Genre:
    Abenteuer
    Drama
  • Erschienen: 28.02.2019
  • Label: Arthaus
  • Spielzeit:
    ca. 151 Minuten auf 1 DVD
  • Darsteller:
    u.a.
    Klaus Kinski
    Claudia Cardinale
  • Regie: Werner Herzog
  • Drehbuch: Werner Herzog
  • Kamera: Thomas Mauch
  • Schnitt: Beate Mainka-Jellinghaus
  • Musik: Popol Vuh
  • Extras:
    Audiokommentar von Werner Herzog und Laurens Straub; Werkfotos; Trailer; Wendecover;
  • Technische Details (DVD)
    Video: 1,85:1
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 12

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