Gisela Schmalz – Das kleine Buch der großen Fragen (Buch)


Gisela Schmalz, Das kleine Buch der großen Fragen (Cover © Goldmann)Kann man sich die Jedes-Kind-Weisheit aus der Straße namens „Sesam“ angesichts der erwachsen gewordenen ErstrezipientInnen nicht mittlerweile klemmen? Und kreisen wir nicht sowieso schon viel zu sehr um unser jeweiliges „Ich-Selbst“? Geht es nach Gisela Schmalz, lautet die Antwort zwei Mal eindeutig: „Nein!“ Von beidem kann es nicht genug geben, wenn es denn richtig angestellt wird. „Das kleine Buch der großen Fragen“ enthält 2000 Fragen, die als Angebot gedacht sind, zunächst sich selbst und dann die eigene Positionierung in der sozialen Welt zu erforschen. So einfach und veraltet das Konzept auch klingen mag, so effektiv und eindrucksvoll vermittelt selbst (oder gerade) die simpelste Frage die Kraft des Fragezeichens. Konsequenterweise muss dann aber auch die Frage nach der Aufmachung des Buches gestellt werden.

Hinter dem Buch steht Gisela Schmalz, die gar nicht so einfach zu greifen ist. Im Hauptberuf versteht sie sich als Professorin für Strategisches Management und Wirtschaftsethik an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Schmalz ist aber auch in der Medienwelt umtriebig unterwegs, ist unter anderem Schauspielerin und Filmkritikerin. Seit 1995 veröffentlicht sie regelmäßig Artikel, Beiträge zur Fachliteratur und vor allem Sachbücher. Aus der Synthese von Autorin und Professorin, Wirtschaftswissenschaften und Philosophie entstanden Werke über nachhaltiges Wirtschaften in Zeiten des Internets und anderer Netzwerke.

„Das kleine Buch der großen Fragen“ wirkt dazwischen wie ein Herzensprojekt einer Philosophin, die noch immer an den Menschen glaubt, wenn er denn nur aufgeklärt ist. In einem knappen Prolog führt Schmalz ohne Fußnoten durch die Geschichte des Fragens, die ihren philosophischen Ursprung im Konstrukt der Frage selbst findet. Über die antiken Anfänge rund um Sokrates und dem gesellschaftlichen Trend des Fragebogens in Zeiten von Marcel Proust kommt die Autorin zu der Ansicht, dass ihre Idee zwar keine neue ist, dass das Fragen aber heutzutage stark unterschätzt würde. Ergo bietet sie im Folgenden eine Sammlung von 2000 Fragen, mit denen sich auf verschiedenste Weise auseinandergesetzt werden kann.

Schmalz schlägt mehrere Modi im Umgang mit dem Buch vor, vom Durcharbeiten bis zu spielerischen Formen zu zweit oder mehr. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit (wie auch?), enthält jedoch Stoff für unendliche Stunden der Selbsterfahrung. Man könnte meinen, dass die Reise zum Selbst in heutigen Zeiten der Reflexivität, Ironie und Selbstdarstellung unnötig geworden ist, doch zu häufig kommt der Eindruck auf, dass es an einem ausgeprägten Selbstbewusstsein im ursprünglichen Wortsinn mangelt. Der moderne Mensch scheint zu viel mit sich selbst beschäftigt zu sein, dabei macht er sich gar nicht so viele profunde Gedanken über sein Verhältnis zur Welt. Im Sinne von: Nach der nächsten Bingewatching-Phase sollte im eigenen Werturteil mehr verhandelt werden als nur die schauspielerischen Leistungen und die Aspekte der Spannung.

Schmalz formuliert das positiver und sieht im Fragen die Chance auf ein erfüllteres Leben. Beginnen sollte der Lesende jedenfalls bei sich selbst. Geschickt sind die Fragen so gestellt, als würde das Buch einen nach der Antwort fragen. „Ich“ kommt hier nicht vor, obwohl es die gesamte Zeit um das Selbst geht. Für Schmalz ist das aber erst der Anfang auf einem Weg zu einem positiven Gesellschaftsbild. Nur wer gewillt ist, sich selbst kennenzulernen, wird mit diesem Mindset der Welt offen begegnen können. Der Dreischritt aus „Du-Sein“, „Du und die Welt“ und „Du und die anderen“ soll Brücken bauen und zu „richtig guten Gesprächen“ führen, die Perspektivwechsel zulassen und Überraschendes zu Tage fördern.

Deswegen erfordert das Fragenstellen und vor allem das Beantworten auch Mut, da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, auf etwas zu stoßen, das einem nicht gefällt. Auch hier bleibt Schmalz positiv und sieht darin den kindlichen, aber allzu menschlichen Forscherdrang, die Neugier, die auch etwas mit Gier zu tun hat, wie sie selbst in einer Frage andeutet. Die Idee, das Buch als Grundlage für ein Spiel zu sehen, sich also gemeinsam spielerisch dem Selbst zu nähern, ist nachvollziehbar, anderes wirkt viel offensichtlicher anbiedernd an eine mögliche Zielgruppe.

Der Klappentext bedient das verbreitete Narrativ einer immer komplexer und schneller werdenden Welt, die Aufmachung des Buchs verbreitet den Charme einer kitschigen Wohlfühl-Geschenkidee. Schmalz als Strategieberaterin wird sich ihre Gedanken gemacht haben, wie sie auch Zielgruppen erreichen kann, die sich von philosophischen Ideen eher abschrecken lassen. „Das kleine Buch der großen Fragen“ ist deswegen vielleicht eine Mogelpackung, aber eine, die sich eher zu einer überraschend positiven Erfahrung entwickelt. Das Buch ist kein offensichtlicher, verkrampft formulierter Ratgeber und doch könnte es mehr bewirken als manch ein überteuerter Quacksalberband.

Trotzdem hätten die Fragen eine etwas liebevollere Verpackung verdient, die andere Zielgruppen nicht abgeschreckt hätten. Aber möglicherweise sieht Schmalz als verkraftbar an, bereits überzeugte HobbyphilosophInnen nicht noch weiter überzeugen zu müssen. Von Banalem bis zu Tiefschürfendem reicht die Bandbreite der 2000 Fragen, doch hinter fast jeder kann sich – je nachdem, wer sich mit ihr konfrontiert sieht – ein ganzes Universum entfalten. Allein aus der ersten Reaktion lässt sich vieles aus der jeweiligen Person herauslesen, aus dem Phänomen Mensch, das sich aus Erfahrungen konstruiert und sich in einem stetigen Identitätsprozess befindet. Schmalz‘ Sammlung deckt eine große thematische Bandbreite ab und ist eben alles andere als ein Wohlfühlprogramm.

Scheinbar simple Fragen nach den eigenen Lieblingsdingen wechseln sich mit Kategorien wie Tod und Krieg ab, aber selbst Offensichtliches wie Liebe kann durch die richtige Frage zu einer erschütternden Erfahrung werden. Schmalz bedient sich ihrer eigenen Überlegungen, baut manchmal aber auch leicht zu identifizierende philosophische Konzepte ein. Gedankenexperimente und Dilemmata eignen sich besonders gut als offene Fragen, weil sie keine „richtige“ Antworten implizieren. Bei anderen Fragen wird jedoch klar, worauf Schmalz hinaus möchte, was mitunter belehrend wirken kann. Wenn es jedoch dazu beiträgt, die FragebogenausfüllerInnen auf etwas zu stoßen und ihnen einen Einstieg zur Verfügung zu stellen, ist es ein legitimes Mittel. Nicht umsonst werden zum Schluss Fragen über das Fragen gestellt, die eine Metaebene bedienen, die nach „mehr“ aus sind.

In einer genauen Analyse könnte man hinterfragen, welche Fragen überflüssig oder schlecht konstruiert sind, ob sie alle trennscharf in die richtigen Kategorien eingeordnet wurden und viele Kleinigkeiten mehr. Wahrscheinlich kann man viel über die Autorin herausfinden, die mit ihrer Auswahl und Konstruktion der Fragen etwas von sich preisgibt, aber um all das geht es nicht. „Das kleine Buch der großen Fragen“ ist als Angebot zu verstehen, sich mit sich und der Welt auseinanderzusetzen und das ist ein nobles Unterfangen, das es zu unterstützten gilt. Manchmal reicht schon das kleine Wort „warum”, um den Small Talk zu überwinden. In der Regel schließen sich schnell automatisch weitere Fragen an und so ist es auch mit dem vorliegenden Buch. Der Fragebogen kann ergänzt und modifiziert werden, denn am Ende geht es darum, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und seine Grenzen zu erforschen, um aus sich selbst schöpfen zu können und gemeinsam mit anderen die Welt zu gestalten. Und wer in der Lage ist, sich selbst aufrüttelnde Fragen zu stellen, hat eine Menge verstanden. Eine kleine Utopie, die sich in simplen Fragen spiegelt.

Fazit: „Don’t judge a book by its cover“ war selten so passend wie bei „Das kleine Buch der großen Fragen“. Die Aufmachung biedert sich an Zielgruppen an, die mit Vorliebe zu Kitsch greifen, könnte aber gerade dadurch ein Einfallstor finden, das sonst verschlossen bliebe – für andere aber wiederum ebenjenes schließt. Nach einem kurzen, selektiven Ritt durch die Philosophie des Fragens besteht das Buch ausschließlich aus 2000 Fragen, die es nicht zu unterschätzen gilt. Oftmals fehlt nämlich schon die einfache Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen und Selbstverständlichen, was sich negativ auf die Mündigkeit der Menschen auswirkt. Schmalz liegt viel an der Aufklärung der potenziellen Leserschaft, sie verzichtet dabei aber auf Hochtrabendes und vertraut auf die Kraft der simplen Frage. Das Buch dient als Motivation, sich selbst zu erkennen, danach gemeinsam mit anderen eine Gemeinschaft zu bilden und schließlich die Welt zu verändern. Keine neue Idee und auch kein perfektes Buch, aber ein zutiefst menschliches Projekt!

Cover © Goldmann

  • Autor: Gisela Schmalz
  • Titel: Das kleine Buch der großen Fragen – Die perfekte Inspiration für richtig gute Gespräche
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 10/2018
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 336
  • ISBN: 978-3442159710
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

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