Seinen Ruf als enfant terrible Hollywoods hat Brian De Palma zuletzt nur noch deswegen aufrecht erhalten können, weil er sich strikt weigert, relevante Filme zu drehen. Mit „Mission: Impossible“ konnte er in den 1990ern zumindest ein erfolgreiches Action-Franchise etablieren, an seine Erfolge vor allem der 1980er-Jahre konnte der talentierte Filmemacher aber nicht mehr anknüpfen. Zwischen (kommerziellen) Hits wie „Scarface“, „Blow Out“ und „The Untouchables“ fällt bei der Frage nach De Palmas bestem Film auch immer wieder ein Titel: „Dressed To Kill“. Vom Für und Wider der Debatte kann sich nun durch die nicht wirklich neue, aber günstigere Uncut-Blu-ray-Version der Amaray-Reihe aus dem Hause FilmConfect ein Bild gemacht werden.
„Dressed To Kill“ läutete die 1980er mit einem Knall ein. Brian De Palma hatte sich vier Jahre zuvor mit „Carrie“ in Position gebracht, um dem Horror-Genre seinen Stempel aufzudrücken und verband seine Ambition mit „suspense“ à la Hitchcock. Heraus kam „Dressed To Kill“, ein Erotikthriller mit Horror-Elementen, der es nur unter massiven Auflagen durch die US-Zensurstelle schaffte. In Europa gab es kaum Widerstand und heute geht er wahrscheinlich aufgrund der allzu graphisch-überzogenen Gewaltexzesse und die Softporno-Qualitäten der Sexszenen sogar (großzügig) als FSK 16 durch.
Für die (nach außen hin) prüden Amis fiel die multiple Grenzauslotung De Palmas seinerzeit aber eine Nummer zu heftig aus. Gleich zu Beginn masturbiert Kate Miller (Angie Dickinson) ausgiebig in der Dusche, bevor die Szene plötzlich in eine Vergewaltigung übergeht. Schon hier zwangen die Sittenwächter De Palma zum Ansetzen der Schere und kürzten die Sequenz auf ein Minimum runter: Kein schamhaarbedeckter Intimbereich, wenig nackte Haut, ein kurzer Gewaltausbruch. Der Vergleich zwischen der „Rated R-“ und der „Uncut“-Version im Bonus Material zeigt, dass die Änderungen „Dressed To Kill“ in den Staaten zu einem anderen Film werden ließen.
Die Vergewaltigung ist nur ein Alptraum, doch der sich anschließende morgendliche Sex ist von nicht minder schauderhafter Qualität. Kate verzehrt sich nach sexueller Erfüllung und erörtert dies ganz offen mit ihrem Psychologen Dr. Elliott (Michael Caine). Sie flirtet mit ihm, doch er bleibt seinen Prinzipien treu, verweist auf Beruf und Ehe. Sie solle mit ihrem Mann darüber sprechen, Kommunikation sei schließlich alles. Kate ignoriert den Rat und spielt bei einem herausragenden fotografierten Besuch in einem New Yorker Museum bei einem anregenden Balz-Schauspiel mit dem Feuer. Als der Akt vollzogen ist, spielt De Palma alle Schuldgefühle aus, die in Kates Kopf herumschwirren: Familie, Geschlechtskrankheiten, das potenzielle Auffliegen der Affäre. Doch die untreue Frau erlebt das alles nicht mehr, sie findet ihr brutales, blutiges Ende im Fahrstuhl.
Der Zuschauende erfährt, dass die Mörderin eine transsexuelle Frau ist, die sich ebenfalls bei Dr. Elliott in Behandlung befindet. Jetzt ist spätestens klar: Brian De Palma verneigt sich ganz tief vor Hitchcock und vor allem vor „Psycho“. Seinerzeit flog ihm dies als Vorwurf um die Ohren, er würde unverschämt beim übergroßen Hitch bedienen. Daran hat der Regisseur bis heute zu knacken, verteidigt sich immer wieder mit dem Einwand, dass Hitchcock im Thriller-Genre schon alles gemacht habe und sieht „Dressed To Kill“ und seine anderen Frühwerke als auf diesen Umstand bezogenes Lob. Von den Vorwürfen gänzlich befreien kann sich De Palma nicht, zumal es nicht das einzige Vorbild ist, an dem er sich allzu offensichtlich orientierte. Trashige Horror-Elemente à la John Carpenter werden nicht nur zitiert, sondern werden einfach übernommen und sind kaum zu übersehen.
Für einen bloßes Abklatsch gelingt De Palma jedoch viel zu viel. Nach dem Mord beginnen die Ermittlungen, die zu den Rändern der Gesellschaft führen. Das Escort-Girl Liz Blake (Nancy Allen) findet die sterbende Kate im Fahrstuhl und sieht noch die Mörderin, die sie als Frau identifiziert. Dass sie selbst zwischenzeitlich ins Visier der Fahnder gerät, macht die gesellschaftlichen Annahmen über die Menschen offensichtlich, die ein Schattendasein fristen. Prostituierte werden als Schlampen bezeichnet, psychisch Kranke als „weirdos“. Dem FIlm liegt viel am Geist der Zeit, die von Misstrauen, Überwachungstechnologien, psychischen Problemen und dem Schwinden der Privatsphäre geprägt war. De Palma können Drehbuch-Schwächen bezüglich der Logik und der schlussendlichen Message vorgeworfen werden, aber misogynistisch, homophob oder transphob ist „Dressed To Kill“ keinesfalls. Eher im Gegenteil will der Regisseur die Randständigen ins Licht ziehen und anhand ihrer Schicksale die Rolle der gesellschaftlichen Majorität hinterfragen.
„Dressed To Kill“ ist ein durchaus spannend konstruierter Erotik-Thriller mit psychologischer und gesellschaftskritischer Tiefe, dem zwar Einiges fehlt, um als unumstrittenes Meisterwerk zu gelten. Der aus heutiger Sicht coole B-Movie-Style der 1980er, die trashigen Slasher-Horror-Szenen und tatsächlich geniale Einfälle wie die Kamerafahrten durchs Museum oder der Einsatz von Split Screens lassen „Dressed To Kill“ aber in jedem Fall zu einer unterhaltsamen Angelegenheit werden. Manchmal ist dem Werk anzumerken, dass sein Schöpfer etwas zu viel wollte, doch in seinen besten Momenten zahlt sich der Wagemut aus.
Zusätzlich reizt das knapp einstündige Bonusmaterial, das den Film in den historischen Kontext einbettet und auf überraschende Hintergründe und leicht übersehbare Details im Film aufmerksam macht. Schon Ende 2016 veröffentlichte FilmConfect die Blu-ray als Special Edition, die sich mit Filmposter immer noch für Premium-Kunden richtet. Nach dem DVD-Release im März dieses Jahres gibt es „Dressed To Kill“ nun auch zu einem annehmbaren Preis als Uncut-Blu-ray-Version in der hauseigenen Amaray-Reihe. Gut für den sehenswerten, bildgewaltigen Klassiker.
Fazit: „Dressed To Kill“ läutete Brian De Palmas erfolgreichstes Jahrzehnt bunt, laut, trashig, brutal und versext ein. Für viele trieb es der Filmemacher für die Verhältnisse 1980 zu wild und drückten ihm deftige Zensurauflagen auf, die angesichts der FSK 16-Freigabe im gegenwärtigen Deutschland überzogen wirken und den Film stark veränderten. Nun kann man sich davon hierzulande zu einem erschwinglichen Preis selbst ein gestochen scharfes, ungeschnittes Bild von dem „Skandalfilm“ machen, genauso wie von den Regie-Qualitäten, der gesellschaftlichen Kritikfähigkeit und den Drehbuch-Unzulänglichkeiten Brian De Palmas. „Dressed To Kill“ mag kein Meisterwerk sein, hat aber definitiv seine Momente (und davon nicht gerade wenige) und ist ein spannender wie unterhaltsamer Erotik-Thriller mit ein wenig Tiefe.
Cover und Szenebilder © FilmConfect Home Entertainment
- Titel: Dressed To Kill
- Produktionsland und -jahr: USA, 1980
- Genre:
Erotikthriller
Horror
Mystery
- Erschienen: 14.09.2018
- Label: FilmConfect Home Entertainment
- Spielzeit:
105 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Michael Caine
Angie Dickinson
Nancy Allen
- Regie: Brian De Palma
- Drehbuch: Brian De Palma
- Kamera: Ralf Bode
- Schnitt: Jerry Greenberg
- Musik: Pino Donaggio
- Extras:
Dressed to Kill – Eine Wertschätzung von Keith Gordon (6 min.); Versionenvergleich – geschnitten vs. ungeschnitten vs. TV-Version (5 min.); Dressed to Kill – Making Of (43 min.); Verstümmelung von Dressed to Kill (10 min. - Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,78 (1080p)
Sprachen/Ton: D, FR, GB
Untertitel: D, FR, GB
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
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