Gringo (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


So ist das in (post-)postmodernen Zeiten: Alles wird so lange ironisch gebrochen, bis das ernsthafte Anliegen kaum mehr auszumachen ist. Nash Edgerton und sein bekannterer Bruder Joel werden laut Pressetext als die neuen Coen-Brüder gehandelt, doch „Gringo“ nach zu urteilen sind sie davon meilenweit entfernt. Mit der schwarzen Komödie wollen sich die beiden einen Kultstatus erspielen, indem sie einen namhaften Cast mit einem wendungsreichen Drehbuch kreuzen, doch der Plan ist zu durchschaubar und verkrampft. Vor allem jedoch verwickelt sich Nash Edgerton in einen ironisch-sarkastischen Mischmasch, der den Zuschauenden bezüglich der daraus zu ziehenden Moral ratlos zurücklässt.

Mit Action-Komödien, wie sie Guy Ritchie geprägt hat, kann man schon so seine Probleme haben, aber immerhin sind sie cool und amüsant, wenn man auf seinen Stil anspringt. Bei Nash Edgerton kann die standardmäßig fehlende Logik und die schwarzhumorige Leere aber nicht mal mit einem sonderlich fesselnden Plot aufgewogen werden. Der Stuntman, der mit „Gringo“ seinen zweiten Langfilm veröffentlicht, meint mit Humor und Scharfsinn gesegnet zu sein, übernimmt sich dabei jedoch komplett und verliert seinen Film völlig aus den Augen.

Der Beginn ist, das muss man Edgerton lassen, durchaus clever: Richard Rusk (Joel Edgerton), Chef eines riesigen Pharma-Unternehmens, und Elaine Markinson (Charlize Theron), eine höhere Angestellte, vergnügen sich gerade in Richards Büro, als sie einen Anruf von Harold Soyinka (David Oyelowo) erhalten. Dieser befindet sich auf geheimer Mission in Mexiko und ist anscheinend entführt worden. Hier greift der Film geschickt vor, um später zu enthüllen, dass Harold seinem Arschloch-Boss eins auswischen möchte und seine Entführung vortäuscht.

Harold ist nämlich der Saubermann der Firma, der in die miesen Machenschaften seines Arbeitgebers gezogen wird. Letztendlich läuft alles daraus hinaus, dass Harold zum Spielball in einem Katz- und Mausspiel zwischen Firma, Drogenmafia und Polizei wird und immer wieder auf höchst zufällige Weise zwischen die Fronten gerät, obwohl ihn keinerlei Schuld trifft. Wer diesen schwarzhumorigen Spaß nicht versteht, kann ansonsten nur an den wirklich komischen Schauspielleistungen von David Oyelowo und Charlize Theron Gefallen finden. Ansonsten ist „Gringo“ eine eher enttäuschende Angelegenheit, vor allem weil hinter dem ganzen Augenzwinkern wenig Substanz zu erkennen ist.

Einerseits positioniert sich Edgerton ganz offensichtlich gegen die perversen Auswüchse des Neoliberalismus und zieht vor allem Richard als weißen Mann in einer Führungsposition durch den Kakao. Andererseits bietet der Regisseur aber keinerlei Lösungsansätze, wie dem System beizukommen ist, weil er sich selbst von seinem moralischen Kompass verwirren lässt. Beispielhaft wird das an der Figur Elaine deutlich: Sie ist das weibliche Führungsarschloch der Firma, schläft mit dem Chef und lässt ihre Reize spielen, wenn es ums Geschäft geht. Als sie dann aber herausfindet, dass Richard sie nicht liebt, zeigt sie kurz Gefühl, nur um dann in einer Racheaktion mit dem Plan der Übernahme seiner Stelle an seinem Fall mitzuarbeiten. Da ist die Frage erlaubt, welches feministische Moment Charlize Theron in manch einer ihrer Rollen zu sehen meint.

„Gringo“ krankt aber an noch viel offensichtlicheren Mangelerscheinungen. Das komplexe Drehbuch erschlägt den Zuschauenden, der den ständigen Plottwists folgen muss, die bei Weitem nicht alle raffiniert eingefädelt werden. Bei der Einführung von Seitenplots und neuen Figuren geht Edgerton eher grobschlächtig zur Sache und funktionalisiert sie einzig für den Haupterzählstrang. Da verwundert es kaum, dass Amanda Seyfried mal wieder als naives Mädel und Sharlto Copley als bunter Vogel herhalten müssen. Mexiko bleibt ein Land in der Hand der Drogenmafia und letztlich auch der Amerikaner, die es für ihre Machenschaften ausnutzen. Einzig Paris Jackson profitiert von der Oberflächlichkeit und darf durch einen Kurzauftritt durchaus positiv auffallen.

Leider durchdenkt Edgerton aber auch seinen Hauptplot nicht aufmerksam genug. Harold ist zunächst recht interessant konstruiert, ein Schwarzer mit nigerianischen Wurzeln (unbedingt im Original schauen!), der aus dem Vorort frühmorgens ins Zentrum pendelnd dem American Dream hinterherjagt. Dass er mit einem Männlichkeitsideal und Erfolgsdenken wie aus ein Rap-Video geködert wird, verkehrt sich entgegen der Erwartungen im Laufe des Films aber leider nicht in eine fundamentale Kritik ebendieser. Wenn man denn eine konsistente Moral aus der Sache ziehen kann, so ist es die Erkenntnis, dass enttäuschtes Vertrauen und Verrat nur mit Rache begegnet werden sollte. Viel weiter von den Coen-Brüdern können sich die Edgertons damit kaum entfernen.

Nash Edgerton versucht sich krampfhaft am großen Wurf und bekommt nicht viel mehr als ein paar hübsche Bilder zustande. Die Zufälle wirken (sinnlos) konstruiert und die Charaktere hohl. Aus den verzweifelten Guten werden schnell Naivlinge, mit denen der Zuschauende genauso wenig sympathisieren kann wie mit den Bösen. Der emotionale Einbezug der Zuschauerschaft geht „Gringo“ völlig ab, weil der Film sich seiner Zielgruppe überhaupt nicht bewusst – wenn er denn wüsste, was er selbst sein will.

Nach 111 Minuten ist das überladene Ganze dann endlich vorbei und es bleibt die alte, aber nicht zu unterschätzende Frage: Und die Moral von der Geschicht? Nash Edgerton wird sagen: War doch alles nur augenzwinkernder, böser Spaß, lehnt euch zurück und lasst euch unterhalten! Damit macht es sich der Filmemacher zu einfach und unterschätzt, dass er mit der Wahl der Drehorte und der Figurenkonstellation allein Kommentare abgibt. Außerdem baut er dafür viel zu oft dramatische Szenen ein, die er ganz und gar ernst zu meinen scheint. Am Ende des Films steht dann aber doch ein „war doch alles gar nicht so schlimm“, das einem bitter aufstößt, wenn der body count und die zerstörten Leben in Betracht gezogen wird. Und das alles nur für ein wenig Spaß?

Hinter jedem Spaß sollte auch eine ernste Aussage über die vermittelten Werte stehen. Im Fall von Edgerton lautet diese allenfalls: Das System ist korrupt, aber macht einfach das Beste draus. Vielleicht sagt der Regisseur damit ungewollt mehr über sich aus, als er intendiert, so oder so macht es ihn aber nicht gerade sympathischer. Schlimmer noch: Mit dem Werkzeug des schwarzen Humors schafft der Filmemacher Räume für Witze, die in anderen Konstellationen unter der Gürtellinie wären. Wenn es ein Arschloch sagt, dann ist das schon ok, weil es seinen vordergründigen Charakterzug unterstreicht. Ob das in „Gringo“ jeden Witz rechtfertigen kann, sollte hinterfragt werden.

Fat shaming und Misogynie sind in dieser Welt natürlich an der Tagesordnung, leider aber weiß Edgerton dem nichts entgegenzuhalten, außer schlanken Frauen Rache zu ermöglichen. Noch dramatischer wird es bei der Hauptfigur Harold: Der Schwarze wird geschlagen, verfolgt, gedemütigt und in Mexiko nur aufgrund seiner Hautfarbe erkannt. Edgerton sollte dabei kein Rassismus vorgeworfen werden, doch an diesem Beispiel zeigt sich, wie schnell die Laissez-faire-Einstellung in gefährliche Fahrwasser führen kann. Edgerton sollte sich darüber klar werden, was für Filme er drehen möchte und diesen Weg konsequent gehen. Andernfalls dürfte das Urteil über den Kladderadatsch bald lauten: Wenn Stuntmänner Filme drehen…

Fazit: „Gringo“ ist so überladen und unkonzentriert, dass Regisseur Nash Edgerton völlig den Faden verliert. Die schwarze Komödie ist nur selten lustig, streckenweise viel zu ernst und schockiert höchstens mit der verkehrten, wenn nicht gar fehlenden Moral über das ganze Blutvergießen. Edgerton greift beim Ton regelmäßig daneben und scheint sich selbst nicht ganz sicher zu sein, was überhaupt sein Anliegen ist. Neben David Oyelowo, Charlize Theron und ein paar hübschen Bildern hat „Gringo“ kaum etwas zu bieten und rutscht zu allem Überfluss auch noch in moralisch zweifelhafte Gefilde. Aus lockerem Augenzwinkern wird gefährliches Larifari, dem Edgerton bei seinem nächsten Versuch ein, zwei Gedanken mehr begegnet sollte.

Cover und Szenebilder © amazon Studios & Tobis/Universum Film

  • Titel: Gringo
  • Produktionsland und -jahr: USA/AUS 2018
  • Genre:
    Comedy
    Krimi
    Thriller
  • Erschienen: 24.08.2018
  • Label: Tobis (Vertrieb Universum Film)
  • Spielzeit:
    107 Minuten auf 1 DVD
    111 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    David Oyelowo
    Charlize Theron
    Joel Edgerton
    Amanda Seyfried
    Charlto Copley
  • Regie: Nash Edgerton
  • Drehbuch:
    Anthony Tambakis

    Matthew Stone
  • Kamera: Eduard Grau
  • Schnitt:
    David Rennie
    Luke Doolan
    Tatiana S. Riegel
  • Musik: Christophe Beck
  • Extras:
    Mini Making Off, Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2,40:1 (16:9 anamorph)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    2,40:1 (1080p/24)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 3/15 dpt


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