Das kann der Autor eines Kriminalromans doch nicht machen! Oder gerade doch? Wenn der Rezensent seinen stärksten Kritikpunkt nennen würde, dann würde er gleichzeitig die Konstruktion des Kriminalfalls verraten und so schon die Lösung präsentieren. Doch das hat kaum ein Autor verdient. Wie also lässt sich diese Falle umschiffen? Schwierig. Aber eventuell hilft es dem Verfasser dieser Zeilen, wenn er gleich zu Beginn feststellt, dass der Fall an sich und dessen Lösung nicht wirklich den Mittelpunkt dieses Romans, darstellen, und die Kritik daran – das kann Markaris doch wirklich nicht ernst gemeint haben! – damit obsolet wäre. Wir sprechen übrigens von ‘Drei Grazien’ des griechischen Autors Petros Markaris.
Worum geht es eigentlich? In kriminalistischer Hinsicht geht es in ‘Drei Grazien’ darum, dass Kostas Charitos’ Vorgesetzter in den Ruhestand versetzt wird, und Charitos an seine Stelle rückt, zumindest bis jemand gefunden wurde, der geeigneter für diesen Posten erscheint. Just in diesem Moment geschieht ein erster Mord an einem Staatssekretär, der eigentlich Universitätsprofessor ist und in der neuen Regierung Griechenlands eine neue berufliche Heimat gefunden hat. Ein zweiter und dritter Mord, ebenfalls an Universitätsprofessoren, die in die Politik wechselten beziehungsweise wieder zurück auf ihren alten Universitätsposten gingen, folgen, jeweils begleitet von Bekennerschreiben, in denen genau dieses Vorgehen, der Wechsel von der Uni in die Politik als Motiv für die jeweiligen Morde angegeben werden.
Wer am Ende diese Morde begangen hat, und wie hanebüchen die Kriminalarbeit hier beschrieben wird, ist schon fast unerheblich. Die Idee und den Diskurs, den Markaris in diesem Roman aufwirft, ist dagegen durchaus substanziell. Es geht um die Rolle von Bildungsinstitutionen, deren Wertigkeit in der Gesellschaft und die Motive, aus den zwei doch vom Grundsatz her verschiedene Welten „Politik“ und „Wissenschaft“ eine Schnittmenge zu begründen.
Markaris betreibt sicher keinen Thesenroman, doch den Finger, der er hier in die Wunde legt, der ist auch weit über Griechenland hinaus gültig. Markaris beschäftigt die Frage, wie es einem Land gelingen kann, nachdem es teilweise selbst, teilweise durch Außendarstellung so gefestigt wirkte und als Geburtsstätte und Hort der Demokratie galt – eine völlig irrsinnige und zumeist vom Rest Europas aufgepfropfte Zuschreibung, mit der seit Jahrzehnten die meisten Griechen nichts anfangen konnten – sich auch mit fremder Hilfe wieder so aufzuraffen, dass es auf einer gesunden Basis stehen kann. Der Fehler, sich selbst aufzublähen, nur um wieder schnell in sich zusammenzufallen, scheint, so Markaris’ Befürchtung, in allen Bevölkerungsschichten trotz besseres Wissens ubiquitär.
Wer die bisherigen Romane dieses Autors kennt, der weiß, dass er niemals laut polemisch wird, sondern eher einer subtilen, hintersinnigen Stilistik frönt. Vor diesem Hintergrund sind die Szenen, die sich zwischen dem Innenministerium und Charitos abspielen, gespickt mit feinen Details, die sehr viel über die ausgeprägte Neigung zu übertriebener Hysterie auch unserer Medien- und Politiklandschaft aussagen. Im Gegensatz zu den drei Vorgänger-Romanen spielt nicht nur die politische und wirtschaftliche Gegenwartsdiagnose eine tragende Rolle, sondern auch wieder vermehrt der sogenannte Blick von unten, der Blick auf den Alltag, der eine weitere Facette des sicher nicht ganz einfachen Mosaiks Griechenlands hinzufügt.
Am Ende bleibt noch festzuhalten: Es ist auch in ‘Drei Grazien’ ein zwiespältiger Luxus diesen Roman als deutscher Leser zu lesen. Denn auch hier tauchen die Deutschen auf, zunächst als durchaus respektable Personengruppe, dann aber auch reflexhaft als Sündenbock für die Mordserie. Sieht der Rezensent mal von dem „Das-kann-der-Autor-doch-nicht-ernsthaft-ernst-meinen-Bock” ab, ist ‘Drei Grazien’ ein vielschichtiger und anspielungsreicher Roman über das gegenwärtige Griechenland, dessen Lektüre durchaus Spaß macht.
- Autor: Petros Markaris
- Titel: Drei Grazien. Ein Fall für Kostas Charitos. Aus dem Neugriechischen Michaela Prinzinger
- Verlag: Diogenes Verlag
- Umfang :368 Seiten
- Einband: gebunden mit Schutzumschlag
- Erschienen: Juli 2018
- ISBN: 978-3-257-07041-5
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Wertung: 10 Dioptrien