Geht es um die Frage nach dem besten David Lynch-Film, wird in guter Regelmäßigkeit auch „Eraserhead“ in den Ring geworfen. Gleich mit seinem Debüt-Langfilm kreierte der legendäre Regisseur einen surrealen Stil, der heute untrennbar mit seinem Namen verbunden ist. Den Film umgibt eine faszinierende Aura, die einen bei all dem evozierten Ekel und der düsteren Sperrigkeit zu bannen vermag. In der nun erscheinenden Remastered-Version von Arthaus wird zudem deutlich, dass hinter dem minimalistischen Kammerspiel-Ergebnis ein Mammutprojekt steht, das über Jahre seine audiovisuelle Wucht entwickeln durfte.
Die ersten Wurzeln von „Eraserhead“ lassen sich bereits 1970 lokalisieren. In der ausführlichen Dokumentation aus dem Jahr 2001, die das Bonusmaterial umfasst, wird der langjährige Prozess vom ersten Drehbuchentwurf (zu einer anderen Filmidee) bis zur Fertigstellung 1977 nachgezeichnet. Lynch hatte sich nach seinen Anfängen als bildender Künstler (siehe „The Art Life“) zunehmend für die Filmkunst interessiert und sich schließlich 1970 für einen Studienplatz am American Film Institute beworben. Dort angenommen erwiesen sich die Professoren als äußerst großzügig und ermöglichten Lynch, seine ersten Dreherfahrungen mit einem Langfilm in den geschützten Räumen des Instituts einzig unter den Einschränkungen des Budgets zu machen.
Der fast 90-minütige Blick in die Lynchs Erinnerungen an die Geschehnisse hinter den Kulissen macht klar, warum Lynch noch heute von der Arbeit an „Eraserhead“ schwärmt. Manch eine Anekdote hätte man sicher rauskürzen können – auch wenn die Geschichte rund um einen holländischen Apfelkuchen Gold wert ist –, doch in der jahrelangen, aufreibenden und absurden Produktion dieser kleinen, von ihm selbst geschaffenen Welt fühlte sich Lynch pudelwohl. Der künftige Filmemacher hat hier genügend Inspiration mitbekommen und Erfahrungen sammeln dürfen, um seinen Weg zu finden. Das Ergebnis und die darauf aufbauende Karriere sprechen jedenfalls für die Methode.
So viel Spaß und Leidenschaft hinter der Kamera vorhanden waren, so viel Mühe muss auf der anderen Seite der Konsument der Produktion aufbringen. „Eraserhead“ ist ein bizarrer, ekelerregender, tonnenschwerer und pechschwarzer Brocken, der dem Zuschauenden einiges abverlangt. Es ist ausnahmsweise verständlich, dass der Film Jahrzehnte brauchte, um ein angemessenes Maß an Anerkennung zu erlangen. Der Plot rund um einen Vater wider Willen (Jack Nance) könnte als Rückgrat des Films dienen, wenn denn nur eine Identifizierung jedweder Eindeutigkeiten möglich wäre. Schon hier lautete die Moral: Man ist besser beraten, wenn die Atmosphäre in den Vordergrund des eigenen Sehvergnügens gerückt wird.
Ebendiese ist zweifelsfrei grandios! Lynch hatte genug Zeit, um das Maximum aus den Rahmenbedingungen herausholen können, was bei der vorliegenden Remastered-Version besonders eindrucksvoll zur Geltung kommt. „Eraserhead“ kann mit einer Bildgewalt aufwarten, die es locker mit seinen späteren Werken aufnehmen kann. Es sind Szenen, die ihren Ursprung im Surrealismus haben, wie er von Buñuel, Tarkovsky und Bergman geprägt wurde und doch ist der Lynch’sche Ansatz völlig eigenständig. Selbst dem schnöden Schwarz/Weiß weiß der Regisseur scheinbar ein ekliges Grün zu entlocken.
Bemerkenswerterweise fällt schnell das außergewöhnliche Sounddesign auf, das den gezeigten industriellen Brutalismus (Jim Jarmusch wird genau hingeschaut haben), der die Figuren zu Statisten degradiert, eindrucksvoller, weil aufreibend unterstreicht. Anstelle eines musikalischen Soundtracks quietscht, röhrt, dampft, bollert, rauscht, pfeift, stampft es und mittendrin muss die verängstigte Seele Henry ihr geknechtetes, eingepferchtes Dasein fristen. Der turmfrisierte Jack Nance spielt fast durchgängig mit aufgerissenen Augen und gekräuselter Stirn im Stil der Stummfilmklassiker und bringt damit das verstörte und ängstliche Misstrauen gegenüber der Welt auf die Leinwand. Traum und Trauma liegen in dieser dystopischen Vision nah beieinander, verwischen an den Grenzen und vermischen sich gänzlich. Menschen begegnen sich argwöhnisch und gehen auf Distanz zueinander, auch in emotionaler Hinsicht. Die Entmenschlichung durch das Diktum der industriellen Maschinen-Arbeit, so ein Interpretationsstrang, hat sich bereits tief in die nervöse, aufgekratzte Psyche der Figuren gegraben.
Thematisch ist „Eraserhead“ seiner Zeit voraus. Eine Mutter, die ihr Kind ablehnt und zurücklässt, zwingt den Mann zu Vaterpflichten eines Alleinerziehenden. Statt diese zu übernehmen, rebelliert Henry zunehmend gegen das ihm auferlegte Gefängnis und wird immer häufiger von unterdrückten Begehrlichkeiten heimgesucht. Trotz der minimalistischen Besetzung werden genügend Ansätze geboten, um über die Figuren eine Gesellschaftskritik zu äußern, die von einer Inkorporierung von Meinungen ausgeht, die sich zu gesellschaftlichen Normen und Werten verdichten. Diese setzen Henry dermaßen zu, dass selbst die imaginierte Affäre mit der Nachbarin wie ein schauriger Alptraum aussieht.
Lynch führt einige Elemente ein, die er in der Zukunft immer wieder einbauen wird: Traumsequenzen und Realität sind bei all der Absurdität des Geschehens kaum voneinander zu unterscheiden, Bilder von Menschen auf Bühnen und abstrakten Horrorfiguren sind allgegenwärtig, Jack Nance wird als bärtige Erscheinung an verschiedenen Stellen im Lynch-Universum auftreten, alles ist elektrisch aufgeladen. In der Kategorie bizarr-komischer Horror zieht Lynch bis heute einsame Kreise, es wird gar von einem gänzlich eigenständigen Stil gesprochen, der außerhalb von Genrekategorien zu verorten ist. „Eraserhead“ funktioniere nach seiner eigenen, nicht zu entschlüsselnden Logik und legt mit auf Desorientierung ausgelegte falsche Fährten bereits zwei Jahrzehnte zuvor den Grundstein für das nach Kritikermeinung Jahrzehntmeisterwerk „Mullholland Drive“.
Am ehesten ist Lynch demnach nahe zu kommen, wenn man sein Werk auf sich wirken lässt. Wie bei der Betrachtung eines abstrakten Kunstwerks ist es der Eindruck, die Gefühle und die eigenen Gedanken, kurz die individuell angeregte Reaktion, die zählt. Wie in seiner Profession als Künstler beherrscht Lynch die Kunst (haha!), gerade so viel scheinbar Logisches einzubauen, dass es den Betrachtenden zum Nachdenken anregt. So wie in der vorliegenden Kritik-Reaktion zu lesen, wird der Zuschauenden auf sich zurückgeworfen und wird damit mehr über sich aussagen als über die Beweggründe des Regisseurs. Was hat es mit dem „Eraserhead“ und seiner Hirnkonsistenz auf sich hat, wird uns Lynch jedenfalls nie erklären – zum Glück. Denn so anstrengend das Schauen auch gewesen sein mag, so schnell wird man feststellen, dass sich der Film als audiovisuelles Erlebnis ins Hirn gefressen hat und unentwegt das Lustzentrum für einen weiteren Durchlauf stimuliert.
Fazit: „Eraserhead“ hat eine Auffrischung verdient, wie sie Arthaus nun der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Trotz des begrenzten Budgets und der minimalistischen Machart ist der Film überwältigend, sehens- wie hörenswert und ebnete als Debüt die Filmkarriere David Lynchs. Völlig zu recht gilt „Eraserhead“ als einer der besten Filme des legendären Regisseurs, weil er den typischen Lynch-Stil bereits in sich trägt und etabliert. Schon damals galt: Wirken lassen! Das Kunstwerk funktioniert nach seinen eigenen Regeln und wirft den Betrachtenden auf sich selbst zurück. Jeder Durchlauf ist eine Qual, ist „Eraserhead“ vielleicht der (im wahrsten Sinne des Wortes) dunkelste und aufreibendste Film in der Lynch’schen Filmografie, doch er lässt einen nicht los, bis schließlich der nächste Umlauf eingeleitet wird.
P.S.: Die Blu-ray-Version, die dem Verfasser nicht zu Bemusterung zur Verfügung gestellt wurde, umfasst im Bonus Material zudem die sechs Kurzfilme, die Lynch vor „Eraserhead“ produzierte und die jeder Lynch-Fan gesehen haben sollte.
Szenebilder und Cover © Arthaus
- Titel: Eraserhead
- Produktionsland und -jahr: USA, 1977
- Genre:
Mystery
Horror
Surrealismus
- Erschienen: 19.07.2018
- Label: Arthaus
- Spielzeit:
89 Minuten auf 1 DVD
89 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Jack Nance
Charlotte Stewart
Allen Joseph
Jeanne Bates
- Regie: David Lynch
- Drehbuch: David Lynch
- Kamera:
Herbert Cardwell
Frederick Elmes - Extras:
“Eraserhead Stories” (2001, ca. 85 Minuten); 6 Kurzfilme jeweils mit Einführung von David Lynch - Technische Details (DVD)
Video: 1,85:1
Sprachen/Ton: GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,85:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: GB
Untertitel: D
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite