Wind River (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


Taylor Sheridan feierte seinen Durchbruch vor drei Jahren. Er schrieb das Drehbuch zu „Sicario“ und profitierte vom Aufsehen, für das Regisseur Denis Villeneuve mit seinem Ansatz des anspruchsvollen Hollywood-Films sorgte. Seitdem ist Sheridan ein gefragter Mann, verfasste die Vorlage zu „Hell Or High Water“ und erfüllte sich vergangenes Jahr den Traum, als Hollywood-Filmemacher auf den Regiestuhl zurückzukehren. „Wind River“ heißt das Ergebnis, das abermals mit einem starken Cast aufwarten kann. Über die üblichen Schwächen der Sheridan’schen Schreibe kann der Autor selbst aber kaum hinwegtäuschen.

Jeremy Renner und Elizabeth Olsen abseits des „Avengers“-Kosmos zu sehen, ist eine wahre Freude, bekommen doch beide den Platz eingeräumt, den sie verdient haben. Es passt, dass dies gerade in einem Film geschieht, der von Unterschätzten handelt, leider auch von den Vergessenen. Sheridan bleibt seinen Grundthematiken treu, zeigt die Peripherie der amerikanischen Gesellschaft und vor allem die Menschlichkeit der Bevölkerung, die dort ihr Dasein fristet beziehungsweise fristen muss. Es sind gesetzlose Landstriche, ein ganz neuer Wilder Westen, den Sheridan kontinuierlich mit dem Genre des Anti-Westerns bearbeitet.

Dieses Mal handelt es sich um das Wind River Reservat im nahezu quadratischen Wyoming, das den Ureinwohnern als Kompensationsleistung zugesprochen wurde. Innerhalb der USA sind es größtenteils vergessene Landstriche, insgesamt sind die 326 Gebiete in etwa so groß wie Idaho. Bis heute sind die Indianer Zurückgedrängte, die kaum einen Platz im politischen Diskurs finden und immer noch massiv diskriminiert werden. Wozu eine solche Marginalisierung führen kann, soll „Wind River“ illustrieren, doch der Film macht genau dieselben Fehler, wie es die große Mehrzahl der amerikanischen Beiträge tut.

Nicht die Ureinwohner stehen im Mittelpunkt der Geschichte, sondern ein weiteres Mal die Weißen. Nun kann darüber gestritten werden, ob nicht in der bitteren Moral des Plots auch ein Kommentar über die gewaltsame Inbesitznahme durch die weiße Rasse steckt, der die Abwesenheit der Indianer braucht. Dennoch: Die Verteilung der Leinwandzeit ist von einem klaren Ungleichgewicht geprägt, in etwa so groß wie zwischen Idaho und den USA. Sheridan sollte da erst mal keine Absicht unterstellt werden, doch das Symptom deutet weiterhin auf das immer noch schwierige Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen hin. Leider bleibt das aber nicht die einzige Schieflage des Films.

Im Kern geht es um den Mord an einer jungen Frau mit indianischem Blut und die Schwierigkeiten im Zuge der Bemühungen um eine Aufklärung. Die ebenfalls junge FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) wird aus Vegas nach Wyoming geschickt, was die erschütternde Abgeschiedenheit des Reservats zeigt. Selbst mit dem Auto ist alles weit voneinander entfernt und von Eiswüsten durchzogen. Der Staat schert sich einen Dreck um die dort lebende Bevölkerung, die weder ausreichend mit medizinischer und juristischer Infrastruktur noch mit Jobs versorgt werden. Der perfekte Nährboden für Asozialität und Kriminalität jeglicher Ausprägung.

Zwar ist Banner eine fähige Agentin, doch auch sie ist völlig überfordert von den Umständen, die das unbekannte Land prägen. Ihr zur Seite springt Cory Lambert (Jeremy Renner), der im Auftrag der Naturschutzbehörde das Reservat von gefährlichen Tieren säubert. Er war mit einer Indianerin verheiratet, bis auch ihre gemeinsame Tochter auf brutale Weise ums Leben kam. Wirkt die Figur erst einmal spannend und tief, ein moderner Cowboy, der die Natur lesen kann wie kein Zweiter, weil er das Beste aus beiden Welten vereint, so nutzt sie sich umso schneller ab, da sie den Erwartungen des Zuschauenden in keiner Sekunde zuwiderläuft. Immer ist sie dem Geschehen einen Schritt voraus und wird zum Helden, dessen dunkle Seiten gegenüber den strahlend hellen untergehen. Und vor allem ist er der weiße Mann, der den Indianer rächt und die Frau rettet. Das alles ist kaum so fortschrittlich, wie es Sheridan zum Ausdruck bringen möchte und vielleicht deswegen ein weiteres Indiz für den momentanen Stillstand im Lager der US-amerikanischen Liberalen.

Was die Message des Films allerdings gar unerträglich macht, ist der Kommentar auf das Rechtssystem. Dieser ist nämlich allzu simpel: Wenn uns der Staat nicht hilft, müssen wir uns selbst helfen. Dem Überlebenskampf im angeblich vorherrschenden Naturzustand soll letztendlich vor allem mit Selbstjustiz begegnet werden. Ein starkes Stück, denn anders als in „Sicario“ wird das moralische Dilemma der rechtsfreien Justiz nicht in eine Krise der handelnden Figuren übersetzt. Der Indianer, der darf über die Sinnlosigkeit trauern und über der Aporie zerbrechen, der weiße Mann (da spielt die besondere Verbindung zu den Ureinwohnern keine Rolle) findet in der ekligsten Auge-um-Auge-Rache sein Heil. So sollte die moderne Cowboy-&-Indianer-Story und Anti-Western nicht aussehen.

Darüber hinaus liegt die Vermutung nah, dass der Stoff in den Händen eines versierteren Regisseurs besser aufgehoben gewesen wäre. 2011 stand Sheridan schon einmal bei einem Horrorfilm hinter der Kamera, doch seine offensichtlichen technischen Schwächen haben sich auch sieben Jahre später nicht gegeben. „Wind River“ ist diesbezüglich keine Katastrophe, doch es fehlt die visuelle wie erzählerische Vision, um von mehr als einem Fernsehfilm-Style sprechen zu können. Zwar sind dem Film die schwierigen Bedingungen im eisigen Wyoming und auch die Mühe anzusehen, mit denen filmreife Bilder produziert werden sollten. Ein paar beeindruckende Landschaftsaufnahmen sind dafür aber eine reichlich magere Beute.

Dramaturgisch fehlt es dem Regisseur an einem Händchen für einen spannenden Aufbau, der Platz für falschen Fährten und eine mitreißende Figurenentwicklung lässt. Sheridan nutzt die selbstgeschriebenen Potenziale in Sachen Tiefe und schwierige Fragen nicht, wodurch gerade die Geschehnisse um den Höhepunkt des Films in ihrer Aussage fragwürdig bleiben. Einzig auf Nick Cave und Warren Ellis ist Verlass, die mal wieder einen mindestens hörenswerten Soundtrack produziert haben. Doch es braucht anscheinend noch andere Hände, um aus den Einzelteilen ein Ganzes zu formen. Zumindest durfte und darf Sheridan von den Großen lernen, in jedem Fall sollte er künftig moralisch fragwürdige Inhalten auf angemessene Art behandeln.

Fazit: „Wind River“ fehlt die Raffinesse, um aus dem delikaten Sujet ein mitreißendes Filmerlebnis zu machen. Es reicht nicht, einfach nur Marginalisierte zu zeigen, um ihnen zu helfen. Es besteht noch immer ein großes Ungleichgewicht zwischen den Weißen und den amerikanischen Ureinwohnern, das Taylor Sheridan nicht anzupacken weiß. Die Bitterkeit wird von einem rächenden Helden überstrahlt, der aber mehr Held als Schurke zu sein scheint. Als moderner Anti-Western fehlen „Wind River“ die passenden moralischen Antworten auf die Zeit und Taylor Sheridan als Regisseur das Handwerkszeug, um zumindest überzeugend Fragen zu stellen.

Cover & Szenebilder © Universum

  • Titel: Wind River
  • Produktionsland und -jahr: USA 2017
  • Genre:
    Thriller
    Neo-Western

    Krimi
  • Erschienen: 08.06.2018
  • Label: Universum
  • Spielzeit:
    103 Minuten auf 1 DVD
    107 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    Jeremy Renner
    Elizabeth Olsen
    John Bernthal
  • Regie: Taylor Sheridan
  • Drehbuch: Taylor Sheridan
  • Kamera: Ben Richardson
  • Schnitt: Gary D. Roach
  • Musik: Nick Cave & Warren Ellis
  • Extras:
    Featurettes, Interviews
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2,40:1 (16:9 anamorph)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video: 2,40:1 (1080p/24)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 6/15 dpt


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