Die Verfilmung des Lebens eines Weltliteraten ist generell eine wirtschaftlich sinnvolle Idee. Auch das Interesse an J.D. Salinger ist bis heute ungebrochen, dem Mann, der nach seinem ersten Roman die Öffentlichkeit hinter sich ließ. Tragischerweise befeuerte genau diese Reaktion die Faszination rund um den „Der Fänger im Roggen“-Autor und überzeugte nun sogar Schauspielgrößen wie Kevin Spacey und Sarah Paulson dazu, in einem Regiedebüt mitzuspielen. Leider ist dem Projekt „Rebel In The Rye“ anzumerken, dass Danny Strong die Erfahrung auf dem Regiestuhl fehlt und zunächst nur in der Lage ist, einen allenfalls soliden Output zu fabrizieren. Am Ende verwundert aber vor allem, dass der Film kaum überzeugende Argumente dafür findet, warum die Welt ihn braucht.
Bis heute ist „Der Fänger im Roggen“ ein häufig diskutiertes Artefakt der Popkultur, manche sprechen auch von einer Blase. Jeder will das Buch schon einmal gelesen haben und hat sich eine Meinung darüber gebildet, was der Autor der Leserschaft durch sein Quasi-Alter-Ego Holden Caulfield sagen möchte. Leider verlieren die meisten dabei das Werk aus den Augen und sich zu sehr in der Reaktion. J.D. Salinger hat es tatsächlich geschafft, Literatur zu verändern und ihr eine neue Richtung zu geben, aber die zweifellos vorhandenen klugen Einordnungen zu seinem einzigen Roman werden noch immer von Diskussionen über „das Psychopathen-Buch“ oder das zurückgezogene Leben des Autors übertüncht.
Davon zeugt auch „Rebel In The Rye“. Der Spielfilm ist nach zahlreichen misslungenen und -glückten Versuchen einer Fortschreibung des Holden Caulfield-Stoffs die neueste Idee, dem zahlungsfreudigen Hunger der Öffentlichkeit nachzukommen. Das Mysterium J.D. Salinger versuchte Autor Kenneth Slawenski zu entschlüsseln, das Ergebnis „J.D. Salinger: A Life“ erschien 2011 in Buchform. Danny Strong, bis dato nur als Drehbuchautor (u.a. „Die Tribute von Panem“, „Empire“) und Schauspieler (u.a. „Buffy“, „Gilmore Girls“, „Mad Men“) in Erscheinung getreten, kaufte die Rechte und fand in Nicholas Hault, Sarah Paulson und Kevin Spacey zugkräftige MitstreiterInnen auf der anderen Seite der Kamera.
Es war – bei allem Respekt vor Danny Strong – wahrscheinlich der Name Salinger, der die SchauspielerInnen von einer Unterschrift überzeugte. Nun ist Strong bei Weitem kein Grünschnabel in Hollywood, wohl aber auf dem Regiestuhl – und leider ist dem Film das durchweg anzumerken. Er ist mit dem ABC des Filmemachens vertraut und schafft ein solides, professionelles Produkt, für mehr reicht es aber nicht. Der Neuregisseur schafft es nicht, eine Fokussierung zu setzen, die „Rebel In The Rye“ von anderen Biopics abzuheben weiß. Eher das Gegenteil ist der Fall: Munter werden die Genre-Inventarliste abgehakt inklusive aller ausgelutschten Klischees. Dabei ist Salingers Werdegang durchaus hollywoodreif.
Da sonst eben nichts Gesichertes über Jerome David Salingers (Nicholas Hault) Leben zu recherchieren war, liegt der Schwerpunkt auf den Jahren um die Erscheinung von „Der Fänger im Roggen“. Holden Caulfield hat sich für Salinger zum Freund entwickelt, eigentlich zu einem Filter für die Welt, die ihn nicht verstehen will. J.D. ist einer, der den Mund nicht halten kann und ständig aneckt. Für ihn agieren alle heuchlerisch („phony“), selbst die Literaten mit ihrer glattgebügelten Sprache. Salinger will Autor werden, bekommt seinen Willen, danach scheint sich die Welt allerdings gegen ihn verschworen zu haben. 1942 ist Oona O’Neill (Zoey Deutch) seine Freundin, doch er wird eingezogen und erfährt während seines Weltkriegs-Aufenthalts in Europa, dass Oona den 36 Jahre älteren Charlie Chaplin ehelichte.
Nach der Rückkehr ist Salinger vom Kriegsgeschehen traumatisiert, sein Freund Holden ist für ihn nun untrennbar mit den dunkelsten Kriegserlebnissen verbunden. Außerdem wird die vor seiner Abreise zugesagte Veröffentlichung seiner Kurzgeschichten wieder zurückgenommen, es wäre „nicht die richtige Zeit“ für solche Geschichten, schon gar nicht ohne Änderungen. Die anschließende Schreibblockade löst sich schwerlich und erst, als der Autor zum Zen-Buddhismus findet. Als sein Debüt-Roman endlich fertig ist, kommen wieder Zweifel auf, ob sein Buch denn wirklich Absatz finden würde. Es ist leicht zu erklären, dass sich Salinger durch seine Beharrlichkeit als Heldenfigur für all diejenigen eignet, die an das „der-Zeit-Voraussein“ glauben.
Ebenso faszinierend wirkt dann Salingers Entschluss, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und nur noch zu schreiben, ohne zu veröffentlichen. Leider brachte das Salinger in einen zwickmühligen Teufelskreis, der ihn letztlich in die absolute Abschottung trieb. Je mehr er sich aus dem Rampenlicht zu stehlen versuchte, umso größer wurde das Interesse an ihm. Wilde (Verschwörungs-)Theorien schossen ins Kraut, dabei wollte Salinger der Welt doch nur zeigen, wie sie wirklich ist. „Rebel In The Rye“ sorgt aber zum einen dafür, dass die Faszination und der Rummel um das Buch und den Autor neues Futter bekommt. Zum anderen wird der Film seiner Hauptfigur in ihrer Besonderheit kaum gerecht, es wirkt fast so, als würde Salinger in eine Biopic-Vorlage gepresst.
Das liegt an all den Genreklischees, die Strong bereitwillig aufgreift. Es ist ein chronologisches Abklappern von Stationen, versetzt mit dem hundertfach gesehenen Kunstgriff des Vorgriffs auf die Zeit in der Psychiatrie. J.D. Salinger ist der Unverstandene, der erst später (auch von seinem Vater) in seiner Genialität erkannt wird. Er flüchtet sich in die Einsamkeit, woran seine Familie fast zerbricht. Whit Burnett (Kevin Spacey), seinem Mentor aus Unizeiten, kann er nicht verzeihen, dass er bei der Veröffentlichung von Salingers Kurzgeschichten einen Rückzieher machte. Starke Momente gibt es auch, doch leider werden sie nicht gebührend betont. Beispielsweise begegnet Salinger in einer surrealen Szene plötzlich einem Fan, der sich Holden Caulfield hält. Oder die erstaunliche Reaktion seiner Agentin Dorothy Olding (Sarah Paulson), die seinem Entschluss, nichts mehr veröffentlichen zu wollen, ohne Widerworte akzeptiert. Es werden schwierige Fragen gestellt, aber sie gehen unter und die Figur J.D. Salinger wird zu stark vereinfacht, obwohl gerade ihre Komplexität zwischen Egoismus und Gesellschaftskritik fasziniert.
Der Grund könnte auch hierbei in der Unerfahrenheit des Regisseurs liegen. Es fehlt ihm an Mut, aber leider auch an technischem Know-How. Die Kriegsszenen können die Illusion nicht erzeugen, das Set ist praktisch zu spüren. Alles hat eher Historien-TV-Flair, in dem das Dokumentarische nur selten anschaulich mit dem Dramatischen verschnitten wird. Strong kann zudem auch nicht die Vermutung entkräften, dass er (noch) nicht die besondere Leistung aus seinem Cast herauskitzeln kann. „Rebel In The Rye“ findet seinen Ton nicht und schwankt stark in seinen Stimmungen. Freud und Leid liegen nah beieinander, der Humor wirkt das eine oder andere Mal aber unpassend.
Elemente aus dem Roman werden nachvollziehbarer Weise eingewoben, um die spannende Vermengung von Fiktion und Realität zu unterstreichen. Doch das angesprochene „phony“ wird so inflationär und Elemente wie das Karussell so offensichtlich genutzt, dass von einem behutsamen Einfließenlassen kaum die Rede sein kann. Der Film prangert an, dass die Verlage nicht an die Intelligenz der Leserschaft glauben, obwohl er seinen Zuschauenden ebenfalls alles erklärt. Es stellt sich zudem die Frage, was das Medium Film nun der Buchform voraushat. Beide kämpfen bei J.D. Salinger mit der dünnen Faktenlage, die der Autor eben nicht weiter füttern wollte. Selbst nach seinem Tod wird er um seine Ruhe gebracht und kann sich noch nicht einmal via Klage dagegen wehren. „Rebel In The Rye“ ist ein weiterer Beleg für den Drang des Menschen, jedes Mysterium entschlüsseln zu wollen, selbst wenn es der Person dahinter schadet. Hat der Film etwas Neues ans Licht gebracht, das die Welt (in dieser Form) noch nicht gesehen und gebraucht hat? Nein!
FAZIT: „Rebel In The Rye“ ist keine Katastrophe, aber eben auch einfach kein guter Film. Der Cast ist herausragend, die schauspielerischen Leistungen gut und der Respekt vor Salinger gegeben. Zu häufig verliert sich Regiedebütant Danny Strong aber in klischeehaften Erzählsträngen, die der spannenden Figur J.D. Salinger in keinster Weise gerecht werden. Der Film zeigt die Probleme eines Biopics, das ausschließlich die Etappen eines Lebens beleuchtet und sich weniger um eine thematische Fokussierung bemüht. „Rebel In The Rye“ sieht beliebig aus, erzeugt kaum Atmosphäre und findet zu keinem schlüssigen Ton. Es bleibt zudem die Frage, ob J.D. Salinger bei all der Faszination um seine Person und das cineastische Potenzial seines Lebens wenigstens nach seinem Tod nicht Ruhe zu gönnen ist. Eine Verfilmung seines Lebens war jedenfalls so ziemlich das Letzte, wonach sich der Schriftsteller sehnte. Und auch für die Zuschauenden erschließt sich nicht, warum es diesen Film geben musste.
Cover und Szenebilder © Eurovideo
- Titel: Rebel In The Rye
- Produktionsland und -jahr: USA 2016
- Genre:
Drama
Biografie
- Erschienen: 27.03.2018
- Label: Eurovideo
- Spielzeit:
105 Minuten auf 1 DVD
109 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Nicholas Hault
Kevin Spacey
Sarah Paulson
Zoey Deutch
- Regie: Danny Strong
- Drehbuch: Danny Strong
- Kamera: Kramer Morgenthau
- Schnitt: Joseph Krings
- Musik: Bear McCreary
- Extras: –
- Technische Details (DVD)
Video: Bildverhältnis, z.B. 16:9, 1,85:1
Sprachen/Ton: z.B. D, GB, IT, S
Untertitel: z.B. D, F, E, RU
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,85:1 (16:9)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D, GB
- FSK: 12
Wertung: 6/15 dpt