Inhalt:
Im Oktober 2015, kurz vor der Familiensynode, outete sich Krzysztof Charamsa, ein hochrangiger katholischer Priester, und sorgte damit für eine Menge Wirbel, denn erstmalig wurde ging ein Priester so forsch und leidenschaftlich an die Öffentlichkeit und zeigte offen die Missstände innerhalb der Kirche bezüglich ihres Umgangs mit sexuellen Minderheiten und der offenen Homophobie. In seiner Autobiografie zeichnet er sein Leben nach und beschreibt aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, sich als Homosexueller innerhalb der Kirche zu bewegen und welche Probleme der Vatikan seit Jahrhunderten mit dem Thema sexuelle Minderheiten, aber auch Sex und Intimität im Allgemeinen hat …
Eigene Meinung:
Krzysztof Charamsa legt mit „Der erste Stein“ seine Autobiografie vor, die er bereits zu seinem Coming-Out ankündigte. Das Buch erschien bereits 2017 in Italienisch, die deutsche Ausgabe kam kurz darauf beim Bertelsmann Verlag heraus.
Auf 290 Seiten präsentiert der Autor seine Lebensgeschichte, beginnend mit seiner streng gläubigen Kindheit in Polen, der streng restriktiven Kirche dort und seinem Wunsch, als Priester Gott zu dienen, bis hin zu seiner Arbeit für die Kirche und dem Kennenlernen seines Partners Eduard Planas. Der Leser erhält tiefe Einblicke in seine Gedanken und Gefühle, erlebt mit ihm, wie er seinen Glauben gefunden und fast wieder verloren hat, denn es ist erschreckend, mit welcher Macht die Kirche gegen alles vorgeht, was nicht dem göttlichen Sinnbild entspricht. Dabei nimmt der ehemalige Priester kein Blatt vor den Mund und offenbart die dunklen Seiten der katholischen Kirche, denn wie in jeder Glaubensrichtung ist Fanatismus eines der Hauptprobleme – in diesem Fall die extreme Homophobie insbesondere in osteuropäischen oder in afrikanischen Ländern. Er prangert offen die Missstände innerhalb der katholischen Kirche an und geht dabei ganz besonders auf die “Kongregation für die Glaubenslehre”, der er sehr lange Zeit angehörte und deren Aufgaben er miterfüllt hat. Für den Leser ist es mitunter schockierend, was der ehemalige Priester aus seiner Zeit dort zu berichten hat – und das ohne genauere Details, denn Krzysztof Charamsa vermeidet es (bis auf wenige Ausnahmen), direkte Fälle offenzulegen. Ebenso wenig stellt er Priester bloß oder nennt Namen.
Im Laufe des Buches dreht er sich allerdings etwas im Kreis und wiederholt sich, was seine Anklage betrifft – was ein etwas einseitiges Bild auf das Thema wirft. Am Ende begründet er dies damit, ein Mensch zu sein, was gut passt und in mehrfacher Weise richtig ist, denn Charamsa scheint im Laufe seiner Biografie gewachsen zu sein und hat sich gegen die Fesseln und Zwänge gewehrt, sie abgestreift. Jemandem, der so viele Jahre seine eigene Natur unterdrücken musste (was auf viele Priester zuzutreffen scheint, denn seiner Aussage nach sind die meisten schwul), weil es nicht zum allgemeinen Bild passte, kann man daher nachsehen, dass er seine Kritik wiederholt. Spannend ist hierbei, dass er diese Kritik aus verschiedenen Richtungen beleuchtet, denn er hält sich nicht nur mit der Homophobie an sich auf, sondern prangert auch die Realitätsferne der Kirche zum Menschen an und die damit verbundenen Fehleinschätzungen.
Stilistisch legt der Autor ein beachtliches, sehr leidenschaftliches Werk vor. Man spürt auf jeder Seite, dass er ein gelernter Theologe ist, der mit Worten umgehen kann und seine Geschichte pointiert und direkt zu Papier bringt. Er prangert an, ohne wirklich abwertend zu werden, oder den katholischen Glauben an sich mit Schmutz zu bewerfen – vielmehr ist es ihm ein Bedürfnis, die Kirche aufzuwecken und dazu zu bringen, den jahrhundertelangen Hass zu überwinden und zu akzeptieren, dass es nicht nur heterosexuelle Menschen gibt. Er will wachrütteln und wünscht sich eine Reformation, um endlich wissenschaftliche Erkenntnisse innerhalb der katholischen Kirche Einzug halten zu lassen. Aus diesem Grund hat er zur Familiensynagoge ein persönliches Manifest vorgestellt – eine Liste mit zehn Forderungen, die auch am Ende des Buches enthalten sind. Ob sich die katholische Kirche in absehbarer Zeit ändert, wird sich zeigen – Krzysztof Charamsa hat auf jeden Fall auf einige dunkle Geheimnisse und Missstände hingewiesen, die dringend behoben werden müssten.
Fazit:
Krzysztof Charamsas Autobiografie „Der erste Stein“ ist ein gelungenes Werk, das in erster Linie ein eindrucksvolles, sehr persönliches Coming-Out ist. Es wird durch die Tatsache, dass es sich bei dem Autor um einen hochrangigen Priester handelt, interessant und brisant. Er weist auf eine Menge Diskriminierung und Repressalien hin und legt ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Reformation der katholischen Kirche vor, die sich dringend weiterentwickeln muss und sich auf das rückbesinnen sollte, was ihr Glauben tatsächlich vorschreibt – Nächstenliebe. Wer sich für das Thema interessiert, sollte auf jeden Fall zugreifen – es bleibt zu hoffen, dass „Der erste Stein“ nicht das einzige Buch von Krzysztof Charamsa bleibt.
Cover © C. Bertelsmann
- Autor: Krzysztof Charamsa
- Titel: Der erste Stein
- Originaltitel: La prima pietra. Io, prete gay, e la mia ribellione all’ipocrisia della Chiesa
- Übersetzer: Michael Jacobs
- Verlag: C. Bertelsmann
- Erschienen: 04/2017
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 320
- ISBN: 978-3-570-10327-2
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt