Jordan Harper – Die Rache der Polly McClusky (Buch)

Jordan Harper - Die Rache der Polly McClusky (Cover © Ullstein)«Sie ließ die Schultern hängen wie ein Loser, versteckte ihr Gesicht hinter den Haaren, aber sie hatte Augen wie ein Revolverheld.»

Augen wie ein Revolverheld – die Augen ihres Vaters. Die elfjährige Polly McClusky kennt ihren Vater kaum, denn er sitzt im Gefängnis. Doch eines Tages taucht er plötzlich vor ihrer Schule auf, befiehlt ihr, in seinen Wagen zu steigen und fährt mit ihr in die Ungewissheit. In diesem Moment ändert sich Pollys Leben.

Nate McClusky steht kurz vor der Entlassung aus dem Knast, als er von einem Hinrichtungsbefehl gegen sich, seine Exfrau und seine Tochter erfährt. Die ebenso gefährliche wie mächtige Gang Aryan Steel will die McCluskys tot sehen. Nate muss handeln! Kaum in Freiheit, stiehlt er ein Auto und fährt ohne Umwege zu seiner Exfrau. Zu spät – für sie und ihren neuen Partner kann Nate nichts mehr tun. Aber seine Tochter kann er noch retten.

Gemeinsam wird das ungleiche Vater-Tochter-Paar gleichermaßen zu Jägern und Gejagten.

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Von Beginn an sind wir mitten im Geschehen. Wir erfahren, wie Crazy Craig, der Kopf der Aryan Steel, im Knast den Hinrichtungsbefehl auf den Weg bringt, welche Macht er innerhalb und außerhalb des Gefängnisses hat, und wir verstehen sofort, in welcher Gefahr jeder schwebt, der sich gegen ihn und seine Gang stellt.

Danach lernen wir Polly kennen. Ein eher unscheinbares, in sich gekehrtes Mädchen, eine Außenseiterin. Anfangs wirken ihre Kapitel traurig. Polly scheint ein verlorenes Kind zu sein, verletzlich, aber hochintelligent. Je weiter die Kapitel voranschreiten, desto mehr verschiebt sich dieser Eindruck. Aus der kleinen Maus wird eine starke Kämpferin, die von ihrem Vater abgehärtet und in verschiedenen Kampftechniken unterrichtet wird. Die Veränderung schlägt sich auch im Schreibstil nieder, der, wenn es um Polly geht, zunächst eher kindlich anmutet, mit Fortschreiten der Handlung aber immer reifer und abgeklärter wird. Kompliment an den Autor für diese gelungene Umsetzung!

Doch nicht nur Polly wandelt sich – auch Nate wird durch seine Tochter ein anderer Mensch. Wir erleben hautnah mit, wie er eine ungeahnte Liebe für sein Kind in sich aufkeimen spürt, wie die weiche Schale unter seinem harten Kern immer wieder aufblitzt. Für Polly ist er ein Mentor, der sie in seine Welt einführt und ihr das Überleben beibringt. Gleichzeitig lernt er sich durch das Mädchen selbst neu kennen. Beide Charaktere entdecken durch den jeweils anderen Seiten an sich, die ihnen vorher verborgen waren.

Die Charakterzeichnung gelingt Jordan Harper bravourös! Die Entwicklung der Hauptcharaktere sprüht nicht nur vor Tiefgang, sondern ist auch passend und glaubwürdig umgesetzt. Als Leser erfahren wir, wie die beiden sich gegenseitig sehen, können aber auch in ihr Innerstes blicken und wissen so Dinge, die sie ihrem Gegenüber nicht offenbaren. Wir kommen ihnen unglaublich nah und sitzen während ihres abgefahrenen Roadtrips immer auf dem Rücksitz. Auch die Nebencharaktere sind überaus gut getroffen. Wir können einschätzen, was für Menschen sie sind und interessieren uns für ihr Schicksal. Die verschiedenen Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird, tragen dazu entscheidend bei. Neben Polly und Nate ist es besonders der Detective John Park, den wir verfolgen und ins Herz schließen. Er begibt sich seinerseits auf die Jagd, möchte Polly um jeden Preis finden und retten. Mit jedem Puzzlestück, das er aufdeckt, erkennt er immer mehr, wer der wahre Feind und wie gefährlich die Verfolgung des Mädchens ist.

Darüber hinaus erhalten wir einen ebenso glaubwürdigen wie beängstigenden Einblick in das düstere Gang-Leben. Die eingestreuten Abschnitte zu den Verbindungen zwischen den inhaftierten und freien Gang-Mitgliedern, ihren Vorgehensweisen und ihrer Macht steigern die Spannung ungemein und machen die Jagd noch atemloser.

Sprachlich ist „Die Rache der Polly McClusky“ wahnsinnig stark. Jede Perspektive hat einen auf sie angepassten Stil. Diese hervorragend gelungene Abstimmung, die allein durch die jeweilige Wortwahl sofort erkennen lässt, um wen es gerade geht, macht das Erzählte noch lebendiger. Jordan Harper wählt seine Worte mit viel Bedacht und erzielt damit große Wirkung. Sätze wie «Die Stimme kam unter der Asche von tausend Zigaretten hervor.» gehen – insbesondere in Kombination mit der Atmosphäre – unter die Haut. Das Los Angeles Magazine schreibt «Jordan Harpers Sätze treffen mit der Wucht einer Shotgun.» – dem ist nichts hinzuzufügen.

Einziges klitzekleine, aber nicht weiter ins Gewicht fallende Manko: Der große Showdown läuft etwas zu geschmiert ab. Das Timing ist zu passend, die Zufälle zu viel des Guten. Den Charakteren wird es hier zu leicht gemacht. Allerdings tut das der Story keinen Abbruch. Das Ende ist dann wieder sehr stimmig und ergibt Sinn. Nur so und nicht anders kann diese Geschichte enden.

Fazit: „Die Rache der Polly McClusky“ ist eine rasante, halsbrecherische Fahrt, die den Leser gnadenlos durch die Seiten wirbelt. Es ist zweifellos ein gefährlicher Roadtrip, auf den wir uns hier begeben, aber auch eine mitreißende Vater-Tochter-Geschichte – eine Mischung aus „Léon, der Profi“ und „Sons of Anarchy“ ohne Motorräder. Die Verfilmung ist bereits geplant, im Kopf läuft das große Kino schon beim Lesen auf Hochtouren. Überzeugen kann der Roman insbesondere durch seine großartig gezeichneten Charaktere und die eindrucksvolle Sprache. Die Spannung ist von der ersten Seite an auf einem hohen Niveau und hält sich bis zum Schluss. Mit seinem Debüt legt Jordan Harper die Latte für seine zukünftigen Romane ziemlich hoch.

Cover © Ullstein

  • Autor: Jordan Harper
  • Titel: Die Rache der Polly McClusky
  • Originaltitel: She Rides Shotgun
  • Übersetzer: Conny Lösch
  • Verlag: Ullstein
  • Erschienen: 02/2018
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 288
  • ISBN: 978-3-550-08150-7
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite 
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 14/15 höllische Roadtrips

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