Von einer Dokumentation über David Lynch erwarten sich die meisten Interessierten sicherlich erhellende Antworten auf die zahlreichen Fragen, die seine Kunst aufwirft. Doch auch wenn sich der weltbekannte Filmemacher im Alter zunehmend offener zeigt, werden in „David Lynch: The Art Life“ keinerlei Geheimnisse gelüftet. Jedoch bietet das Sinnieren über das eigene Leben einen Einblick in Lynchs Seelenwelt, die nicht weniger von Widersprüchen und Rätseln durchsetzt ist als sein Wirken. Wenn man so will, handelt es sich um eine Wurzelanalyse, die mit dem Entstehungsprozess von „Eraserhead“, seinem ersten Spielfilm aus dem Jahr 1977, endet. Das sollte Fans des filmischen Schaffens jedoch nicht abschrecken, denn es lassen sich auch über die audiovisuelle Seite durchaus Erkenntnisse gewinnen. Aber die Dokumentation zeigt vor allem: David Lynch lebt das „Art Life“ – und zwar kompromisslos und in vollen Zügen.
David Lynch ist 71, als 2016 die vorliegende Dokumentation entsteht, seine zweite Tochter Lula ist 3. Vielleicht ist sie der Schlüssel, der das gut verschlossene Innenleben des großen Künstlers öffnen konnte. Das RegisseurInnen-Trio Nguyen/Barnes/Neergaard-Holm lässt Lynch in sein Allerheiligstes und sich bei der Arbeit sowie beim Rauchen in seinem Atelier filmen. Er spricht Gedanken über sein frühes Leben ins Mikrophon und wirkt bei der damit einhergehenden Reflektion dermaßen vertieft, dass es auch für ihn eine Reise in eine selten besuchte Vergangenheit zu sein scheint. Ergänzt werden die Ausführungen wahlweise durch private Fotografien und Filmaufnahmen oder seine Kunstwerke. Eine bekannte wie bewährte Herangehensweise, die grundsätzlich auch hier zu gefallen weiß.
Die MacherInnen versuchen sich erst gar nicht daran, das Mysterium Lynch zu greifen, sondern begrenzen sich selbst auf sinnvolle Weise. Das gilt sowohl für den Inhalt als auch die Machart, die als minimalistisch zu bezeichnen ist. Hier und da gibt es experimentelle Schnitttechniken und Musikstücke, alles in allem bleibt „David Lynch: The Art Life“ jedoch ein ruhiges, fast zurückhaltendes Werk. Das stellt einen gelungenen Gegensatz zu den surrealistisch-finsteren Arbeiten des Betrachteten dar, über die sich weiterhin die Geister scheiden. David Lynch ist das – zumindest beteuert er es immer wieder – alles egal, schon früh im Laufe der Dokumentation fällt dann auch der entscheidende Satz. Er habe sich schon früh für das „Art Life“ entschieden: „Kaffeetrinken, Rauchen, Kunst machen… und ab und zu ein Mädchen“.
Ein simpler Lebensentwurf, dessen Umsetzung ihm aber allzu oft schwergemacht wurde. Allen voran seine Familie versuchte ihn immer wieder von seinem Künstlerdasein abzubringen, um seiner Verantwortung nachzukommen. Dabei beschreibt Lynch seine Kindheit als glücklich mit allen Freiheiten und seine Eltern als antiautoritäre Menschen. Doch irgendwann – und da wären wir wieder bei den Rätseln – überkamen den kleinen David verstörende Träume, die ihn in seiner kleinen Vorstadtwelt heimsuchten. In Lynch scheint etwas Dunkles eingeschrieben zu sein, das sich trotz des heimischen Glücks bahnbrach und ihn nie wieder loslassen sollte. Es dauerte seine Zeit, bis David die passende Verarbeitungs- und Ausdrucksform in der Malerei fand.
Fortan gab es kein Halten mehr, Lynch geht seinem Drang bis heute kompromisslos nach. Es kostete Kraft und Tränen, doch er wusste, dass er sein Leben nur so und nicht anders gestalten wollen würde. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus verschiedenen Einflüssen dann der unumkehrbare Schritt in Richtung Film: Das bewegte Gemälde. Über Animationen kam Lynch schnell zu surrealistischen Filmexperimenten, die ihn bis heute nicht loslassen. Dieser Weg unterstreicht aber auch eine Interpretationsweise, mit der seinen mysteriösesten Meisterwerke wie „Mullholland Drive“ oder „Lost Highway“ begegnet wird: Sie sollen wie Kunstwerke betrachtet werden und stehen der je eigenen, subjektiven Interpretation offen. Trotz manch eines (vermeintlichen) Einblicks in das Lynch’sche Leben gilt eine ähnliche Devise für das gesamte Werk des Künstlers. Neben Videokunst in Form von Spielfilmen, Serien und Musikvideos umfasst das Oeuvre Musik, Schauspiel, Fotografie und eben Malerei.
Auch hierin ist Lynch kaum zu Kompromissen bereit, so werden Leinwände gerne mal erweitert und plastisch gestaltet. Die meisten Kunstwerke sind verstörend bis ekelerregend, doch sie zeugen von großer Hingabe und Passion. Es wird gemalt, gespritzt, modelliert, geknetet, geformt, Lynch tritt auch hier als Handwerker im wahrsten Sinne des Wortes auf. Bedenkt man, wie lange das „Art Life“ schon andauert, kann nur geschätzt werden, wie viele Werke bislang fertiggestellt worden sind. Dementsprechend gut fahren die MacherInnen der Dokumentation damit, sich zu beschränken und gezielt vorzugehen. Das wirkt mitunter etwas unfertig und streckenweise etwas zahm, auch weil Lynch am Ende durch das eigenständige Einsprechen seiner Lebensgeschichte jederzeit die Kontrolle behält. Diese Vorwürfe können auch nicht vollends entkräftet werden und müssen auch vor dem Hintergrund der jahrelangen Arbeit in Sachen Recherche und Finanzierung genannt werden.
Was wiederum gelingt, ist die angemessene Betrachtung der Person David Lynch. Es darf sich das Gefühl einstellen, man sei der Legende etwas nähergekommen, doch von einer Entschlüsselung sind wir alle immer noch meilenweit entfernt. David Lynch zuzusehen, zuzuhören und seine Kunst auf uns wirken zu lassen, ist das Einzige, was wir leisten können. Er ist ein faszinierender Mann, der so wirkt, als würde er völlig in seiner Leidenschaft aufgehen und unentwegt Fragen stellen. Er macht das plastisch sichtbar, was in seinem Kopf vor sich geht und modelliert Sinnwelten, in denen er sich heimisch fühlt. Schlussendlich entsteht aber auch der Eindruck eines gealterten Künstlers, der nicht ganz frei von Zweifeln ist oder zumindest immer noch mit den gesellschaftlichen Konventionen hadert. Aber in diesen Momenten gibt es ja immer noch die kleine Lula, für die auch eine kleine Torte aus Knete das Größte sein kann.
FAZIT: David Lynch zu fassen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Glück versuchen das die jungen RegisseurInnen erst gar nicht, sondern widmen sich dem mysteriösen Künstler auf eine passend reduzierte und umgrenzte Weise. „David Lynch: The Art Life“ ist ein selbsterzähltes Porträt über das Wirken des Filmemachers bis 1977, also bis zu seinem ersten Spielfilm. Die Dokumentation zeigt, dass Lynch unermüdlich künstlerisch tätig ist und gegen alle Widerstände das „Art Life“ lebt. Sein filmisches Schaffen stellt dabei nur einen Bruchteil seines Schaffens dar, das sowohl aufgrund der Inhalte als auch des Umfangs kaum zu analysieren ist. Vielleicht versteckt sich die Dokumentation etwas zu sehr vor der betrachteten Legende und hätte ein wenig mitreißender, aber auch auch mutiger ausfallen können. Sie wirkt jedoch auch als entspannter Gegenpol zu den verstörenden und schreienden Arbeiten und schafft es zu zeigen, dass es nicht immer auf die Antworten, sondern eher auf das unentwegte Fragen ankommt.
Cover und Szenefotos © NFP marketing & distribution
- Titel: David Lynch: The Art Life
- Produktionsland und -jahr: USA/DEN 2016
- Genre:
Dokumentation
Kunstfilm
- Erschienen: 26.01.2018
- Label: Duck Diver Films/Kong Gulerod Film Xanf Studio/Hideout Films/NFP Marketing & Distribution
- Spielzeit:
90 Minuten auf 1 DVD - Darsteller:
David Lynch
- Regie:
Jon Nguyen
Rick Barnes
Olivia Neergaard-Holm - Kamera: Jason S.
- Schnitt: Olivia Neergaard-Holm
- Musik: Jonatan Bengta
- Technische Details (DVD)
Video: 1,78:1
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 0
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 9/15 dpt