„Leere Herzen“ heißt er, Juli Zehs neuster Roman, und ist ein Blick in die nahe Zukunft. Im Jahr 2025 ist das Schiff Merkel ruhmlos gesunken. Stattdessen regieren Regula Freyer und ihre Besorgte-Bürger-Bewegung. Diese sorgt für eine immer konservativere, restriktivere, nationalistischere Politik, in der der Bürger nur noch Verschiebemasse ist. Um ihn trotz erhöhter Überwachung und immer stärker eingeschränkten Freiheiten handzahm zu halten, wird er zum Massensport ermutigt. Eine politische Meinungsäußerung oder ein aktives Einbringen wird von ihm nicht mehr erwartet.
Aus diesen Umständen hat Britta das Beste gemacht. Zusammen mit dem schwulen Iraker Babak, den sie einst vor dem Selbstmord bewahrt hat, hat sie die „Brücke“ ins Leben gerufen, nach außen hin eine Therapieeinrichtung, jedoch eigentlich eine Vermittlungsagentur für Selbstmordattentäter an die verschiedensten Organisationen, von Islamisten bis Umweltaktivisten. Dieses Geschäftsmodell hat ihr viel Geld eingebracht und trägt, wie sie sich zu überzeugen versucht, zur Qualitätssicherung von Attentaten bei.
Als plötzlich ein Konkurrent mit einem amateurhaften Attentatsversuch auf den Markt drängt und die „Brücke“ bedroht, sieht sie ihre Felle davonschwimmen und setzt alles daran, den Newcomer mit einem spektakulären Attentat zu übertrumpfen, doch erweist sich der Gegner als stärker als erwartet.
„Leere Herzen“ ist zwar routiniert und durchaus spannend geschrieben, doch mangelt es dem Roman an so einigem, um wirklich überzeugen zu können, angefangen bei etwas so Grundlegendem wie den Figuren. Die Handlung kreist um die fast roboterhafte Hauptfigur Britta, alle anderen sind nur Fußvolk oder Deko. Dabei gibt es sogar so einige, sonst wären die knapp 350 auch schwerlich zu füllen gewesen. Doch bei jeder einzelnen ist ihr Zweck allzu ersichtlich und die Charakterisierung klischeehaft, wenn die Figur nicht gleich völlig blass bleibt. Keine einzige wird einem im Laufe der Handlung sympathisch, die Protagonistin inbegriffen (zugegeben: das kennt man schon von Juli Zeh).
Hinzu kommt, dass sich die Figuren in einer Welt bewegen, die nur wenige Jahre in der Zukunft liegt und die die meisten Leser wohl noch erleben werden. Dieser kurze Sprung macht es schwierig, eine glaubwürdige Dystopie zu entwerfen, denn was kann in sieben Jahren schon so grundlegend den Bach runtergehen? Und so ist die beschriebene Welt, in der sich die Handlung abspielt, der unseren sehr ähnlich und doch fühlt sie sich emotional und sozial ein paar Grad kälter an. Gleichzeitig wird sie aber lediglich skizziert und gesellschaftskritische Themen werden nur angerissen, sodass er Leser keinen befriedigenden Eindruck ihrer Andersartigkeit bekommt. Wie das Vorwort schon sagt: „Da. So seid ihr.” Mehr aber auch nicht.
In der Kombination ergibt das für einen Roman eine Startposition, die schon durch eine sehr starke Handlung kompensiert werden müsste. Leider kann die Handlung von „Leere Herzen“ das nicht leisten. Nach einem interessanten Beginn versandet sie mehr und mehr, bis sie in einem völlig unbefriedigenden Ende ihren absoluten Tiefpunkt erreicht, sodass der Leser mit der Frage zurückbleibt, warum er sich die Mühe gemacht hat, dieses Buch zu lesen. Sehr untypisch für einen Roman dieser Autorin und nach einem erzählerischen Meisterwerk wie „Unterleuten“ doch sehr überraschend. Das sollte einen jedoch keinesfalls davon abhalten, ihrem nächsten Roman entgegenzufiebern!
Cover © Luchterhand Literaturverlage
- Autor: Juli Zeh
- Titel: Leere Herzen
- Verlag: Luchterhand
- Erschienen: 11/2017
- Einband: Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
- Seiten: 348
- ISBN: 978-3-630-87523-1
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Wertung: 9/15 dpt