Zu seinen Lebzeiten war Fritz Haarmann einer der gefährlichsten Serienmörder Deutschlands. Auch heutzutage ist der 1879 geborene Hannoveraner in seiner Heimatstadt unvergessen. Bis vor ein paar Jahren war er auf jedem Hannover-Adventskalender zu sehen und sein Bild konnte auf den Bannern der “Hannover 96”-Ultras im Stadion begutachtet werden. Die Hintergründe sind den meisten aber unbekannt. Damit räumt Franziska Steinhauer in ihrem Roman auf.
Als “Biographischer Kriminalroman” untertitelt, wird in diesem Buch versucht, wichtige Stationen aus Haarmanns Leben zu rekonstruieren – von seiner Verhaftung bis zu seiner Hinrichtung (er wurde geköpft). In Rückblicken wird seine Geschichte dabei immer wieder auch von ihm selbst erzählt. Diese Abschnitte gehören zu den besten im gesamten Buch. Die Autorin versucht dem Leser einen Eindruck davon zu vermitteln, wie Haarmann gedacht oder gefühlt haben könnte. Wie es tatsächlich in ihm aussah, wissen wir allerdings bis heute nicht, denn leider wurde Haarmann zu Lebzeiten kaum psychologisch untersucht.
Aus insgesamt fünf Perspektiven (inklusive der von Haarmann) betrachtet Steinhauer den Verlauf einer der brisantesten Kriminalgeschichten Deutschlands. Dabei gelingt es ihr gut, verschiedene Sichtweisen miteinander zu verflechten. So werden bei einem Journalistentreff Analysen gezogen und Hintergrundwissen geliefert, während sich die Sicht der Vermieter Haarmanns eher auf den Umgang mit dem Wissen, einen Serienmörder beherbergt zu haben, sowie den weiterhin bestehenden Verdacht auf Handel mit Menschenfleisch fokussiert.
Weniger fesselnd sind die Abschnitte über die Opfer Theo und Ludwig, die zu einer Radtour aufbrechen, von der nur Theo wieder heimkehrt. Diese Kapitel bieten eine langatmige Einführung in die Gedanken und Gefühle der Protagonisten im von Wirtschaftskrisen geplagten Deutschland. Die Dialoge zwischen den beiden und ihren Eltern wirken oft hölzern, die Geschichte allzu fern und steif. Dadurch fällt es schwer, einen persönlichen Bezug herzustellen, und die Absicht der Autorin, die Geschehnisse aus Sicht der Opfer darzustellen, misslingt somit leider. Womöglich wäre dieser Schritt auch gar nicht nötig gewesen, da allein die Vorstellung von insgesamt mindestens 24 Opfern bereits schlimm genug erscheint.
Wirklich interessant ist, dass dieser Krimi, obwohl der Täter bereits bekannt ist, seine eigene Dynamik und Spannung entwickelt. So steuert der Roman auf viele offene Fragen zu, welche, soviel sei hier verraten, leider nicht alle aufgelöst werden können. Wie wurden die Opfer getötet? Wie viele Opfer gab es? Hatte Fritz Haarmann einen Komplizen? Eine psychische Störung? Einen hirnorganischen Schaden? Am Ende gibt die Autorin aber dennoch eine Übersicht mit den wahrscheinlichsten Theorien. Außerdem verwendet sie an mehreren Stellen Originalquellen, welche sie gut und flüssig in den Roman integriert.
Fritz Haarmann wird einer der größten Serienmörder der Geschichte bleiben. Bis heute ist unklar, wie viele junge Männer er tatsächlich umgebracht hat. In diesem Buch wird nicht nur ein Blick auf seine Psyche, sondern auch auf die Hintergründe gewagt, in der diese Taten ohne Intervention durch die Polizei jahrelang geschehen konnten. Auch wenn die Dialoge häufig gestelzt wirken, ist dieser Roman ein spannender Bericht über die Geschichte Hannovers.
Cover © Gmeiner
- Autor: Franziska Steinhauer
- Titel: Der Werwolf von Hannover: Fritz Haarmann
- Verlag: Gmeiner
- Erschienen: 03/2017
- Einband: Paperback mit Farbschnitt
- Seiten: 313 Seiten
- ISBN: 978-3-8392-2070-2
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten auch als E-book oder PDF verfügbar
Homepage Franziska Steinhauer
Wertung: 9/15 dpt