The Eyes Of My Mother (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


The Eyes Of My Mother - Cover © Bildstörung„The Eyes Of My Mother“ ist ein entsetzlicher Film. Die Handlung des gerade einmal 75 Minuten zählenden Werks ist von vorne bis hinten unerträglich, die gezeigten Grausamkeiten lassen den Zuschauenden kopfschüttelnd, wütend und ratlos zurück. Man möchte Regiedebütant Nicolas Pesce folglich vorwerfen, er ergötze sich am Leid seiner Figuren und habe damit seine Karriere vor die Wand gefahren, bevor sie überhaupt begonnen hat. Was einen dann aber doch stutzen lässt, ist die Vermutung, dass sich hinter der auffällig stylischen Bebilderung etwas verbirgt, was die ganze Furchtbarkeit erklären könnte. Tatsächlich möchte Pesce mit seinem Debütfilm auf die vergessenen Qualitäten eines in Verruf geratenen Genres aufmerksam machen, was ihm dann auf den zweiten Blick auch teilweise gelingt. Es bleiben dennoch Zweifel, ob sich mit diesem Erklärungsansatz wirklich alle Aspekte des Films legitimieren lassen.

Nicht nur durch den Schwarz-Weiß-Stil wirkt der gezeigte Landstrich irgendwo versteckt in den Weiten der USA trostlos, kalt und stumpf. Im Mittelpunkt steht die kleine Francisca (Olivia Bond), die zu den älteren Herrschaften in ihrem abgelegenen Haus „Mum“ (Diana Agostini) und „Daddy“ (Paul Nazak) sagt. Hier begnügt sich der Film genauso mit Andeutungen wie beim Changieren der Redebeiträge zwischen Englisch und Portugiesisch und bei der Beleuchtung der Vergangenheit der Mutter als Augenärztin. Eines Tages bekommt der Haushalt Besuch vom suspekt wirkenden Charlie (Will Brill), der gerne die Toilette des Hauses nutzen würde. Als der Vater, der mit dem Auto unterwegs war, nach Hause kommt, findet er Charlie im Badezimmer. Er schlägt immer noch wie im Wahn auf die Frau ein, die längst tot ist. Statt das Verbrechen zu melden oder den Angreifer zu töten, nimmt der Vater den Mann gefangen und legt ihn in der eigenen Scheune in Ketten. Francisca, die um ihre geliebte Mutter gebracht wurde, kümmert sich fortan auf brutale Weise um Charlie.

Diese perverse Beziehung hält so lange, bis der Vater stirbt und Francisca (nun gespielt von Kika Magalhães) erwachsen geworden ist. In ihrer abermaligen Trauer über den Verlust entschließt sie sich, den verkrüppelten und verstörten Charlie freizulassen, mit ihm zu schlafen und ihn schlussendlich zu töten. Da sie nun völlig alleine ist und immer noch die Zuneigung sucht, die ihr ihrer Mutter entgegengebracht hat, sucht sie nach der Nähe von anderen Menschen. Mit dieser Vorgeschichte verwundert es wenig, dass diese Versuche im Folgenden kein gutes Ende nehmen. Während der morbide „The Eyes Of My Mother“ zuvor schwierig anzusehen war, nimmt der Plot mit dem letzten Opfer eine Wende, die in ihrer Grausamkeit eigentlich nicht auszuhalten ist.

Nicolas Pesce hat folglich auch alle Hände voll zu tun, wenn er im Bonusmaterial fast eine Stunde über seinen Film redet und selbst Erklärungsbedarf sieht, um nicht missverstanden zu werden. Es sei in keinem Fall ein „Torture Porn“, vielmehr beruft er sich auf die eigentliche Idee hinter dem Gothic-Horror-Genre. Das Begleitheft zur konsequenterweise stylish gehaltenen Heimkino-Schuber-Aufmachung erklärt die dazugehörigen Hintergründe, die sich auf die oft bemühte Redewendung zu Autounfällen runterbrechen lässt: Man kann einfach nicht wegschauen. Der überbordende Schwarz-Weiß-Style, den Pesce und Kameramann Zach Kuperstein bei minimalem Budget in jedem der Shots ausufernd im Stile eines Gemäldes zelebrieren, wird mit den grotesken Handlungen gekreuzt, wodurch sich ein ambivalentes Gefühl des (gleich in doppelter Hinsicht) „Zuschauen-Müssens“ ergibt.

Zu einem gewissen Teil gelingt es Pesce tatsächlich, sein Namensvetter-Vorbild Nicolas Winding Refn zu übertrumpfen und in einem Gothic-Horror-Film Inhalt mit Style zu verknüpfen. Dennoch darf bezweifelt werden, ob sich die Ausschweifungen sowohl auf der audiovisuellen als auch auf der inhaltlichen Seite immer rechtfertigen lassen. Zum einen ist es ein schmaler Grat zwischen selbstbewusster Bildgewalt und prätentiöser Selbstüberschätzung. Obwohl der Rezensent ebenfalls eher der Meinung ist, dass die Einstellungen Augen und Ohren in ihrer rohen Schönheit beeindrucken und überzeugen (selten hörte sich das Eindringen eines Messers in den menschlichen Körper besser an), bleiben doch Momente, in denen das exzessive Suhlen nicht in jedem Fall seine Berechtigung hat. Dennoch: Für einen Debütfilm leisten Pesce und Kuperstein herausragende Arbeit.

Zum anderen machen sich deutlich mehr Löcher im Plot bemerkbar. Pesce als Drehbuchautor erklärt Francisca als ein Produkt ihrer Umstände, was beim Zuschauenden Mitleid erregen soll. Nun stimmt es, dass die junge Dame als Kind nie gelernt hat mit Menschen umzugehen. Nachdem die Mutter starb und der Vater gegenüber seiner Tochter schweigsam blieb, hielt sie sich an Charlie, mit dem sie Zuneigung verbannt. Dieser flüsterte ihr ein, dass sich das Töten für ihn wunderbar anfühle, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Francisca ist fortan gefangen zwischen ihren Begierden nach menschlicher Nähe und mörderischer Gewalt. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob sie das wirklich soweit von der Schuld an den gezeigten Taten freispricht, dass das Mitleid angebracht ist. Und auch, ob das jede kranke Fantasie rechtfertigt, die sich ein Regisseur einfallen lässt.

Auch die Implikationen für das Image des ländlichen Raums und seiner Bevölkerung sowie den Werdegang ihrer Eltern sind in diesem Fall eher fragwürdig. Neigen Landeier eher zu Gewalt, weil es ihre Umgebung eher hergibt? Sind Mordgelüste Erziehungssache? Werden sie über Generationen weitergegeben? Trifft dann überhaupt die (in diesem Fall zwielichtigen) Eltern Schuld, wenn sie es selbst nie besser gelernt haben? An diesen Stellen stolpert Pesce über die ansonsten clever eingesetzten Stilelemente des Minimalismus (kurze Spielzeit, wenige Shots, lange Einstellungen) und der Ambivalenz. Das gilt gerade auch für die Szenen, in denen Franciscas kannibalistische Neigungen angedeutet werden. Das lässt sich vielleicht noch mit dem Einfluss Freud’scher Erklärungsmuster zur „Einverleibung“ erklären, wirklich überzeugend hört sich das aber nicht an.

Eins muss man Nicolas Pesce allerdings lassen: Er hat gleich zu Beginn seiner Regiekarriere mit einem Knalleffekt auf sich aufmerksam gemacht. Mit damals 26 Jahren konnte er sein Debüt „The Eyes Of My Mother“ gleich beim Sundance unterbringen und wird seitdem ordentlich gehypt. Belohnt wurde er mit der Herausforderung, Ryû Murakamis Roman „Piercing“ zu verfilmen, für den er mit Mia Wasikowska eine namhafte Schauspielerin verpflichten konnte. Das passt zu einem Regisseur, der sich mutig und ohne Scham auf schwierigen Stoff wirft und nach eigenen Aussagen eigentlich noch brutalere Filme machen möchte. In Deutschland hat es jedenfalls gedauert, bis für „The Eyes Of My Mother“ in „Bildstörung“ ein passender Verleih gefunden werden konnte. Warum der durchweg verstörende Film allerdings eine FSK-16-Freigabe bekommen hat, darf ruhig hinterfragt werden.

FAZIT: Nicolas Pesce hat mit seinem Filmdebüt „The Eyes Of My Mother“ gleich ein Ausrufezeichen gesetzt. Als positiv ist dabei der Mut und der Einfallsreichtum zu bewerten, der den Film zu einem perfiden und morbiden, aber eben auch in seinem Minimalismus bombastisch bebilderten Trip in das oft pervertierte Gothic-Horror-Genre macht. Leider funktioniert die Legitimierung der kaum auszuhaltenden Grausamkeiten über Genrekonventionen nicht immer, Francisca bleibt bei allem Mitleid, was man für sie empfinden soll, eine gestörte Mörderin. Pesce kreiert durch die Ambivalenz seines Plots einige Löcher, die ihn selbst ins Stolpern bringen. Man darf dennoch gespannt sein, wie sich die Karriere des Jungregisseurs entwickeln wird, der mit dem in „The Eyes Of My Mother“ gezeigten Ansätzen und (übermäßigen) Selbstbewusstsein auf sich aufmerksam

Fotos © 2016 Eyes of Mother, LLC./Bildstörung

  • Titel: The Eyes Of My Mother
  • Produktionsland und -jahr: USA, 2016
  • Genre:
    Gothic Horror
  • Erschienen: 25.08.2017
  • Label: Bildstörung
  • Spielzeit:
    76 Minuten auf 1 DVD
    76 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    Diana Agostini
    Olivia Bond
    Will Brill
    Flora Diaz
    Kika Magalhães
    Paul Nazak
    Clara Wong
  • Regie: Nicolas Pesce
  • Drehbuch: Nicolas Pesce
  • Kamera: Zach Kuperstein
  • Extras:
    – Audiokommentar mit Regisseur Nicolas Pesce
    – Interview mit Nicolas Pesce (58 Min.)
    – Behind the Scenes Galerie
    – Musikvideo “Out of Touch”
    – Booklet (16 Seiten)
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2,35:1 (16:9 anamorph)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    2,35:1 (1080p)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbungsmöglichkeit

Wertung: 9/15 dpt


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