Dokumentationen, Filme, Bücher und unzählige Verschwörungstheorien: Die Kennedys sind der Inbegriff des Wortes „Medienspektakel“. Bis heute wirkt der Mythos, den John F. und Jackie willentlich begründet haben und der sich alsbald gegen sie verschwor. Immer noch dürsten die Menschen nach neuen Hinweisen und Enthüllungen im Fall des bekanntesten Präsidentenpaars der US-Geschichte und sind bereit, dafür bares Geld zu investieren. Nun liegt der Vorwurf nahe, dass jedes neue Produkt auf diesem Markt nur zur Reproduktion des perversen Phänomens beiträgt. Zum Glück führt „Jackie“ einige gewichtige Argumente ins Feld, die dieser These widersprechen und stellt unter Beweis, was Filme mit Millionen-Budget heute doch noch zu vermitteln vermögen: Menschlichkeit.
Zur paradoxen Geschichte des Films gehört, dass es zum Oscar-Hype um ihn wohl nur durch die ungeschriebenen Gesetze des Preises und durch sein Sujet gekommen ist. Biopics haben es traditionell einfacher in die Riege der Nominierten für die Academy Awards aufgenommen zu werden, zumindest solange der Film nicht als Totalausfall gilt. Da zusätzlich auch die Hauptrollenbesetzung immer zu den Favoriten auf die Auszeichnung gehört, verkommt das Genre gerne zu einem Ort der relativ risikoarmen Rechenschieberei. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass die Kennedys und der darum zu legende Stoff in diesem Zusammenhang für massenhaft Dollarzeichen in den feuchten Augen der Produzenten sorgen. Umso erstaunlicher und erfreulicher ist es da, dass sich „Jackie“ zu keinem Zeitpunkt mit diesen Vorwürfen auseinandersetzen muss.
Ganz im Gegenteil: „Jackie“ ist ein mutiger, bleierner und widerspenstiger Brocken Film. Das beginnt mit der Entscheidung, Jackie Kennedy in den Mittelpunkt der Ereignisse zu stellen. Auch ihre Geschichte wurde unzählige Male erzählt, doch die meisten Drehbuchautoren interessierten sich für die Affären ihres Mannes und ihre Reaktion darauf. Die Affären gegen die Tage rund um die Ermordung zu tauschen, ist eine durchaus riskante Entscheidung, in diesem Fall aber eine, die sich auszahlt. Entgegen der Biopic-Norm wird nur ein bestimmter Ausschnitt des Lebens von Jackie beleuchtet, was sich in mehrfacher Hinsicht als kluger Schachzug erweist. Der klare Fokus verhindert, dass der Film zu ambitioniert ausfällt und sich dadurch in Widersprüche über das gesamte Leben verstrickt, das nun einmal in zwei oder drei Stunden nicht angemessen abgehandelt werden kann.
„Jackie“ hebt sich auch durch seine außergewöhnliche Machart von vergleichbaren Genrebeiträgen ab. Die Filmemacher beschönigen nichts, sondern offenbaren schonungslos die unangenehmen Seiten der Jackie Kennedy. Obwohl der Mord an ihrem Mann in allen brutalen Details gezeigt wird, wirkt dieser eher in symbolischer Hinsicht als Dreh- und Angelpunkt der Geschehnisse. Der Tod des charismatischen Präsidenten ist eine nationale Tragödie, ein Trauma, das sich in das kollektive Gedächtnis gebrannt hat. Einen nicht unwesentlichen Beitrag daran hat Jackie, die die private und gesellschaftliche Dimension der Trauer und Verarbeitung zu verbinden versuchte.
Wie anspruchsvoll die Verfilmung dieses Stoffs ist, verdeutlicht unter anderem die Suche nach der passenden Besetzung des Regiepostens. Darren Aronofsky hatte das „Jackie“-Projekt angestoßen und wollte als Produzent und Filmemacher in Personalunion agieren. Als ihm mit der Zeit immer mehr Zweifel kamen, ob er – auch nach den kräftezehrenden Arbeiten an seinem „Noah“-Epos – der richtige Mann für die Inszenierung sei, hielt er Ausschau nach Alternativen. Schnell wurde er auf Pablo Larraín aufmerksam, der mit Filmen wie „No“ und „El Club“ sowie seiner Vorliebe für historische Stoffe und unangenehme Inhalte regelmäßig in Cannes, Sundance & co. gefeiert wird. Auch hier bewiesen die Macher Mut und setzten glücklicherweise auf einen Chilenen, der die Unangepasstheit seiner Arbeiten auf seine erste amerikanische Produktion übertragen konnte. Und das auf eindrucksvolle Weise, während er mit „Neruda“ parallel für einen weiteren Spielfilm verantwortlich war.
Durch Larraíns Handschrift ist „Jackie“ weit ab vom Mainstream-Kino anzusiedeln, was dem Stoff sichtlich entgegenkommt. Larraín, Aronofsky und Drehbuchautor Noah Oppenheim stoßen in eine der wenigen Lücken, in der ein Film über die Kennedys noch eine Daseinsberechtigung erhalten kann. Um Jackie Kennedy in ihren schwersten Stunden angemessen begleiten zu können, braucht es vor allem ausgeprägtes Fingerspitzengefühl. Das gelingt in „Jackie“ zum einen Natalie Portman, die in ihrer herausragenden, oscarwürdigen Performance der bekanntesten First Lady ein ganz eigenes Denkmal setzt. Dabei ist nicht nur entscheidend, dass sie präzise Stimme (unbedingt im Original gucken) und Bewegungen imitiert, vielmehr macht sie Jackie Kennedy greifbar, indem sie die Menschlichkeit dieser fast schon sagenumwobenen Frau beleuchtet. Dies wird aber zum anderen nur durch die Kernidee des Films ermöglicht, das ganz besondere Spannungsverhältnis zwischen der öffentlichen und privaten Person Jackie Kennedy herauszustellen.
Sie ist nicht irgendeine First Lady, sondern die bis heute bekannteste und beliebteste. „Jackie“ zeigt ein weiteres Mal, dass das kein Zufall ist. Jackie Kennedy hat sich inszeniert und erkannte dabei die Macht des Geschichtenerzählens. So wie jeder Mensch Geschichten über sich erzählt (und andere weglässt), um eine eigene Identität zu entwickeln, nutzte Jackie das Potenzial der Familie Kennedy, um aus den richtigen, ausgeschmückten Narrativen eine schillernde Fassade aufzubauen. Einerseits brachte diese Strategie das Ehepaar Kennedy bis ins Weiße Haus, andererseits schützte sie das Innenleben der Familie. Die Kennedys spielten die Rollen, die sie in der Gunst des Volkes steigen ließen, legten Wert auf Etikette und Tradition und nutzten die Medien wie kein Präsidentenpaar zuvor.
Doch gerade Letzteres sollte sich recht schnell rächen. Die Kennedys wurden zum Topthema in der Klatschpresse, was schließlich in Schlagzeilen über mögliche Affären des Präsidenten mündete. Die Fassade bröckelte, hielt den Angriffen jedoch erstaunlich lange stand. Unveröffentlichte Aufnahmen, in denen Jackie sich über ihr Privatleben äußert, sind noch heute für eine Sensation gut und genau das ist es, was „Jackie“ so interessant macht. Auch wenn der Film an verschiedenen Stellen mit der Realität spielt, zeigt er durch den Blick hinter die Fassade, wie das Konstrukt funktioniert, an dem Jackie unentwegt feilt. Dadurch bekommt die Ermordung ihres Ehemanns eine ganz neue Facette, die in ihrer Tragik kaum zu überbieten ist.
Als First Lady ist Jackie ganz oben angekommen, ihre Strategie ist aufgegangen. Sie liebt das Leben im Weißen Haus, die Geschichtsträchtigkeit des Ortes studiert sie penibel und arbeitet unermüdlich daran, dass die Kennedys einen Eintrag ins Geschichtsbuch bekommen, der dem von Lincoln in keinster Weise nachsteht. Doch in der Sekunde, in der Johns Kopf von einer Kugel aufgesprengt wird, zerfällt dieses Leben, Jackie ist nicht mehr die First Lady, sondern die tragische Witwe, für die niemals etwas so sein wird wie vorher. Statt Neid und Anerkennung bekommt sie nur noch Mit- und Beileid. Sie bäumt sich dagegen auf, versucht den Mythos Kennedy durch eine Prozession Stärke zu demonstrieren, doch ihr Geschichtenerzählen wendet sich auf tragische Weise gegen sie. Verschwörungstheorien überschatten das Erbe des außergewöhnlichen Präsidenten, das eigentlich das Potenzial hat, die Vereinigten Staaten in eine neue politische Richtung zu lenken.
Der Blick hinter die Fassade ist dabei faszinierend, aber oft auch unangenehm und verstörend. Sicherlich gehört zur Wahrheit, dass Jackie von ihrer Macht eingenommen war und sich nicht vom Vorwurf des Narzissmus freisprechen kann. Durch ihr Handeln legte sie den Grundstein für Präsidentschaften von Schauspielern und Milliardären, die das Mittel der Inszenierung auf ganz andere, bedenklichere Weise für ihre Zwecke nutz(t)en. Ferner stellt sich die Frage, ob Jackie ihren Mann wirklich liebte oder ob ihr nicht etwas anderes wichtiger war. Der Film tut allerdings gut daran, diese Frage nicht beantworten zu wollen, nicht auf die Gerüchte um mögliche Affären einzugehen und sich auf die Reaktion der First Lady zu beschränken. Diese zeigt deutlich genug, was für ein Mensch Jackie war, ohne dass dafür ihr ganzes Leben beleuchtet werden muss. Der Blick hinter die Fassade zeigt eine Präsidentengattin mit Fehlern und weniger sympathischen Charakterzügen. Doch auch das ist etwas, was Jackie nicht bedacht hat: Je perfekter sie sich inszeniert, desto unmenschlicher wird das Bild, das von ihr gezeichnet wird und die Erwartungen, die an sie gestellt werden.
Am Ende bleibt das ambivalente Gefühl, dass sie sich auch im Moment der grenzenlosen Trauer hinter der Fassade versteckt und selbst an sie glaubt, um sich vor ihren eigenen Gefühlen zu schützen. Mit dem einen Augenblick am 22. November 1963 löst sich ihr Leben auf, gehen alle Mechanismen und Handlungsstrategien verloren. Es gibt keinen Plan, an den sie sich halten kann, umso stärker klammert sie sich an das Erbe, den Mythos. Es ist nicht vorstellbar, was Jackie gerade in ihrer Position zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre durchgemacht hat, doch der Film zeigt einige Szenen, die eine ganz eigene Ausdrucks- und Interpretationsweise für das Geschehene finden. Dazu gehört das schockierte Gesicht Jackies, aus dem sie das Blut ihres gerade erschossenen Mannes wischt, genauso wie ihr (alb-)traumwandlerischer Abschied aus dem Weißen Haus.
Ein Gebäude, zu dem die sie eine besondere Beziehung pflegte, das sie bewundert und zu einem guten Teil geprägt hat. Nicht ohne Grund spielt die unvergessene „White House Tour“ eine solch wichtige Rolle in „Jackie“, die so originalgetreu wie möglich nachgestellt wurde. Wie der oft zitierte Camelot-Mythos an dieser Stelle bedeutsam aufgeladen wird und eine belastende, kaum auszuhaltende Gefühlslage erzeugt, gehört zu den stärksten Momenten des Films. Regisseur Larraín geht experimentell und schonungslos zu Werke, sucht die Nähe zu den Figuren und zeigt damit, dass sie trotz allem unnahbar bleiben. „Jackie“ nimmt zu keinem Zeitpunkt Wertungen vor und ist vielleicht gerade deswegen so erschütternd. Der Film ist ein schwer zu verdauender Brocken, der zu allem Überfluss von einem – im positivsten Sinne – Unbehagen verursachenden Soundtrack wirkungsvoll untermalt wird. Mica Levi hatte mit ihren experimentellen Klängen zu „Under The Skin“ auf sich aufmerksam gemacht und obwohl der neue Soundtrack weitaus traditioneller ausfällt, entfalten die dramatischen Streicher eine unheilvolle Wirkung. Ganz so als ob Jackie die Geister heimsuchen, die sie rief.
Fazit: „Jackie“ ist in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Biopic. Pablo Larraín begleitet Jackie Kennedy in den Tagen rund um die Ermordung ihres Mannes und hat seine erste amerikanische Produktion zu einem kompromisslosen, schwer zu verdauenden 100-Minüter anschwellen lassen. Doch nur genau auf diese unangenehme Weise ist ein weiterer Film über den Mythos Kennedy möglich und kann ihm eine neue Facette hinzufügen. Das Porträt zeigt eine tragische Frau, die auf einen Schlag alles verliert, die aber versucht den Balanceakt zwischen Privatem und Öffentlichem zustande zu bringen. Der experimentelle Ansatz des Films inklusive des erschütternden Soundtracks von Mica Levi wirkt verstörend, erschafft aber dadurch ein Gefühl dafür, dass das Leid Jackies unermesslich und unbegreiflich sein musste, gerade weil sie am Ende alleine mit ihrem Schmerz dastand und sich niemand in ihre außergewöhnliche Lage einfinden konnte. Doch trotz des unangenehmen Blicks hinter die Fassade bleibt Jackie Kennedy unerreichbar und entzieht sich somit den meisten Bewertungen. Nur eins wird klar und das ist „Jackie“ hoch anzurechnen: Er verleiht der bekanntesten First Lady Menschlichkeit.
Cover und Szenebilder © Universum Film
- Titel: Jackie
- Produktionsland und -jahr: CHL, FRA, USA, HKG
- Genre:
Biopic
Drama - Erschienen: 09.06.2017
- Label: Universum Spielfilm
- Spielzeit:
100 Minuten auf 1 DVD
100 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Natalie Portman
Peter Sarsgard
Greta Gerwig
Billy Crudup
John Hurt
- Regie: Pablo Larraín
- Drehbuch: Noah Oppenheim
- Kamera: Stéphane Fontaine
- Musik: Mica Levi
- Extras:
Interviews, Featurettes
- Technische Details (DVD)
Video: 1,66:1 (16:9 anamorph)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,66:1 (1080p/24)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 12/15 dpt