650 Seiten in zwei Tagen – das spricht wohl ziemlich eindeutig für ein Buch. Lange war der Satz „Ich konnte es nicht aus der Hand legen“ nicht mehr so zutreffend. „Hasenjagd“, der neue Krimi des schwedischen Autorenduos Lars Kepler (Alexandra und Alexander Ahndoril), ist ein nervenzerreißend spannender, rasanter und gut durchdachter Pageturner, der den Leser tief in das Geschehen zieht.
Es ist der mittlerweile sechste Fall für den Ermittler Joona Linna. Auch wenn man die anderen Bücher nicht kennt, kann „Hasenjagd“ problemlos gelesen und der Handlung gefolgt werden. Allerdings sollte man sich darüber bewusst sein, dass man die vorangegangenen Teile im Anschluss unbedingt nachschieben möchte – so viel ist sicher. Vor allem, weil der unbedarfte Leser doch gerne wissen möchte, wie genau Linna im Gefängnis gelandet ist. Dort sitzt er nämlich zu Beginn der Geschichte, und der Grund wird nur kurz angerissen.
Eine Inhaltsangabe zu „Hasenjagd“ zu schreiben ist schwierig, da jedes verlorene Wort schon eins zu viel sein könnte. Hier ein Versuch: Alles beginnt mit einem Mord an einem Politiker, woraufhin sich der schwedische Premierminister hilfesuchend an den in der JVA Kumla einsitzenden Joona Linna wendet. Da ein terroristischer Hintergrund der grauenvollen Tat vermutet wird, befürchtet der Premierminister, das nächste Opfer zu sein. Er bittet Linna, den Fall unter höchster Geheimhaltung aufzuklären.
Weitere Morde geschehen, und Linna erkennt ein Muster hinter der brutalen Vorgehensweise des Täters. Während er alles daran setzt, den Mörder zu finden, muss seine ehemalige Partnerin Saga Bauer zeitgleich in eine andere Richtung ermitteln. Beide gehen auf eine gefährliche Jagd, die dem Titel des Buches auf beklemmende Weise alle Ehre macht, und ungeahnte Folgen nach sich zieht.
Soweit, so vage – da hilft nur selbst lesen, denn dem gesamten Ausmaß des Inhalts wird diese Zusammenfassung bei weitem nicht gerecht. Aber was macht dieses Buch nun so speziell? Warum lässt es den Leser in Rekordgeschwindigkeit durch die Seiten stürmen? Die Handlung ist natürlich ein wichtiger Punkt. Von Anfang an ist die Spannung auf einem hohen Niveau und steigert sich im Verlauf unaufhörlich. Jeder der verschiedenen Handlungsstränge reißt den Leser mit und verstärkt mit jeder gelesenen Seite das Bedürfnis, endlich zu erfahren, wie alles zusammenhängt. Was sich dann Stück für Stück offenbart, ist erschreckend grausam und nichts für zarte Gemüter. Der lange Weg zur Lösung des Falles ist blutig, verdammt blutig, und gewährt Einblick ins Innere eines zutiefst gestörten, psychisch kranken Mörders.
Zum Ende hin, nachdem der Killer entlarvt wurde, gibt es – so ehrlich muss man bei aller Begeisterung sein – ein paar Längen, die dem Gesamteindruck aber keinerlei Abbruch tun. Die eine oder andere Stelle, deren Logik man zunächst hinterfragen könnte, wird einige Seiten weiter erklärt und ergibt – in den meisten Fällen – schließlich doch Sinn. Das Ende könnte kaum offener sein und markiert ziemlich sicher den Beginn für Band Nummer sieben.
Die Charaktere sind äußerst facettenreich, teils erfrischend ungewöhnlich und durchweg überzeugend gezeichnet. Vor allem Rex, der Starkoch, ist eine sehr interessante, vielseitige Figur, die sich über das gesamte Buch hinweg weiterentwickelt. Auch der Mörder ist bei aller Kaltblütigkeit ein spannender Charakter – insbesondere, nachdem seine Identität geklärt ist.
Über Joona Linna und Saga Bauer erfährt man hingegen nur wenig, was selbstverständlich dem Umstand geschuldet ist, dass es sich hier bereits um den sechsten Band der Reihe handelt. Um die beiden besser kennenzulernen, bleibt nur die Lektüre der ersten fünf Teile. Insgesamt tauchen recht viele verschiedene Charaktere auf – dennoch lässt sich der Überblick aufgrund der ausgefeilten Erzählweise leicht behalten.
A propos Erzählweise: Der Schreibstil ist ganz besonders hervorzuheben. Fast erlebt man das Buch mit allen Sinnen, so eindrücklich, lebendig und plastisch sind die Beschreibungen gestaltet. Beim Lesen läuft ein Film vorm inneren Auge ab; die einzelnen Bilder sind klar und deutlich zu erkennen. Detailverliebt, aber ohne sich in Nichtigkeiten zu verlieren, erzeugen die beiden Autoren eine atmosphärische Dichte, die ihresgleichen sucht. Zum Teil sind es nur winzige Kleinigkeiten, die den Moment unterstreichen, ihn nahezu spürbar machen und den Leser tief in die Geschichte ziehen. Die durchgängige Gegenwartsform, die nur gelegentlich von Rückblicken unterbrochen wird, tut ihr Übriges, da man durch sie das Gefühl hat, mitten im Geschehen zu sein.
Fazit: Der sechste Band der Reihe überzeugt in jeder Hinsicht. Die Spannung ist fast greifbar und die Atmosphäre so dermaßen dicht, dass der Leser den Eindruck erhält, den Fall Seite an Seite mit Joona Linna zu lösen. Mit ihrem detailreichen, ausgefeilten Schreibstil erzeugen die Autoren überaus lebendige Bilder – und machen dabei auch vor den bestialischen Morden nicht Halt. Die 650 Seiten fliegen nur so dahin und schüren gleichermaßen Neugier wie Freude auf den siebten Teil. Nicht nur für (hartgesottene) Fans von Schweden-Krimis unbedingt lesenswert!
Cover © Bastei Lübbe (Lübbe Ehrenwirth)
- Autor: Lars Kepler
- Titel: Hasenjagd
- Teil/Band der Reihe: Joona Linna 6/6
- Originaltitel: Kaninjägaren
- Übersetzer: Thorsten Alms
- Verlag: Bastei Lübbe (Lübbe Ehrenwirth)
- Erschienen: 04/2017
- Einband: Hardcover
- Seiten: 656
- ISBN: 978-3-431-03958-0
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 15/15 Häschen in der Grube
Vielen Dank für die Rezension. Vortrefflich beschrieben Du hast alles gesagt. Ich habe Hasenjagd als Hörbuch gehört und auch nur 2 Tage gebraucht. Die Spannung ist auf hohem Niveau und lässt nie nach. Ich hatte fiel Sympathie mit dem Mörder und Verachtung für die Opfer. Das Autorenduo bringt es wirklich fertig das man mit fiebert, mitreisend gelesen vom Top Hörbuchsprecher Wolfram Koch. Ich kann Hasenjagd nur empfehlen auch als Hörbuch.
Danke für deinen Kommentar! Es freut mich, dass dir die Rezension gefallen hat. 🙂 “Hasenjagd” war bislang mein Thriller-Highlight in diesem Jahr – ich bin gespannt, ob es noch getoppt werden kann.
Viele Grüße
Jasmina