Jan-Werner Müller – Was ist Populismus? Ein Essay (Buch)


Jan-Werner Müller - Was ist Populismus (Cover © Suhrkamp)Was ist Populismus? – Wer ist das Volk? Wer vertritt es? Wer tritt es mit Füßen?

Ein Buch, dessen Titel mit einem Fragezeichen endet, provoziert die Erwartungshaltung, dass am Ende des Buches ein Ausrufezeichen oder zumindest ein Punkt steht. Dieser Erwartungshaltung entspricht der Essay von Jan-Werner Müller nicht unbedingt – doch dies ist unbedingt positiv zu verstehen. All jenen, die die schnelle Antwort auf ähnlich komplexe Fragestellungen suchen, mögen auf andere Bücher zurückgreifen. Wer eine dezidiert ausgewogene, zahlreiche Quellen auswertende Analyse des Populismus-Diskurses erwartet – dem sei dieser Essay ans Herz gelegt.

In drei Kapiteln analysiert Jan-Werner Müller, der in Princeton Politische Theorie und Ideengeschichte lehrt, das Phänomen des Populismus. Theorie, Praxis und Strategien zum demokratischen Umgang mit Populisten stehen im Zentrum. Abgerundet wird der Essay durch zehn Thesen  – und ein „Wort zur Zukunft der repräsentativen Demokratie“. Sprachlich weiß der Essay zu überzeugen. Müller vermeidet, sich in allzu penibel ausgewalzter Quellenarbeit und profesoralem Duktus zu verlieren, vermeidet aber auch inzwischen populär gewordene Ausflüge ins allzu Erzählerische. Die Begriffsklärung, die er induktiv anhand bekannter aktueller und historischer Beispiele entwickelt, steht dabei im Fokus.

Das, was im alltäglichen Gebrauch des Wortes Populist gemeint ist, ist eigentlich nur ein Synonym für das politische System, in dem wir leben. Wenn unsere Demokratie auf Repräsentation beruht, dann muss natürlich jede Partei, jeder Politiker für sich in Anspruch, zumindest einen Teil der Bevölkerung zu repräsentieren und ihre Interessen zu vertreten. Populistisch im ideengeschichtlichen Sinne wird es allerdings erst, wenn aus dem Repräsentationsanspruch ein Alleinvertretungsanspruch erwächst. Wenn ein Politiker oder eine politische Gruppierung also für sich in Anspruch nimmt, sie allein vertrete die Interessen des Volkes. Wer diesen Interessen widerspreche, gehört nicht (mehr) zum Volk. Aus dem Pluralismus wird ein offener Antipluralismus. Wir erinnern uns – zum Zeitpunkt der Rezension aktuell – an Erdoğans Ausspruch: Wer nicht für mich ist, ist für die Terroristen – und gehört nicht zum türkischen Volk.

Jan-Werner Müller legt eine Vielzahl an Politiker-Aussprüchen offen, die ganz genau zeigen, wie sich aus diesen antidemokratische Strukturen verfestigen. Das sind aktuell im europäischen Kontext Beispiele aus Polen, Ungarn und der Türkei. Auch Seehofers inzwischen abgeschlafftes Wüten gegen die seiner Meinung nach „Herrschaft des Unrechts“ und den von ihm daraus abgeleiteten Ansprüchen erfüllt zahlreiche Merkmale, als lupenreiner Populist zu gelten. Von Orbán, Trump und Erdoğan aber unterscheidet ihn, wer hätte es gedacht, seine Sprunghaftigkeit, nicht nur in dem, was er sagt, sondern wie er sich sieht: Mal als Potentat, mal als Demokrat. Nun gut, Deutschland, die AfD und die CSU spielen ansonsten in dem Essay keine große Rolle, es fehlt ihnen an Substanz. Die wahren Populisten unterhöhlen gerade in den eben genannten Ländern die Medienlandschaft und versuchen auch die Rechtsstaatlichkeit durch Entmachtung der Justiz auszuhebeln – was ja auch Marine Le Pen versuchen bzw. was Gert Wilder versucht hat.

Exklusion und antidemokratisch. Es lohnt, sich Analysen der Politiker nach Wahlen anzuhören. Es mag oft sich bei Siegern wie Verlierern oft floskelhaft anhören – doch umso unangenehmer und zersetzender wirken dann Sätze echter Populisten, die nach verlorenen Wahlen behaupten, moralisch habe man nicht verloren, es sei eine Medienkampagne gefahren worden, die Wahl müsse nun wohl akzeptiert werden, doch wer sich erinnert, hat noch Trumps Aussage in den Ohren, er werde die Wahl anerkennen, wenn er als Sieger hervorgehe. All diese Sätze verweisen auf einen, zumindest beschädigten Demokratiebegriff. Wer Wahlen nur dann anerkennt, wenn sie ihn als Sieger ausweisen, dann hat das schon mehr als die halbe Wegstrecke zur Diktatur, Alleinherrschaft hinter sich.

So fulminant die ersten beiden Kapitel in Analyse und Stilistik realisiert wurden, so holprig und an mancher Stelle unbeholfen wirkt das dritte Kapitel, das leider irgendwie als GU-Lebenshilfe „Wie gehe ich mit Populisten um?“ daherkommt. Der Leser merkt hier dem Autor an, dass er sich hier etwas unwohl vorkommen mag. Vielleicht denkt er, der Leser erwarte eine solche Anleitung, obgleich der Autor sowie der mitdenkende Leser selbst weiß, dass es einen solchen Leitfaden nicht geben kann. Das mag etwas harsch klingen – doch sticht das Kapitel derart ungut hervor, dass es an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben darf. Das soll aber keinesfalls den sehr guten Gesamteindruck dieses ansonsten impulsreichen, klugen und exzellent formulierten Essays schmälern. Und gerade weil es die Stärke dieses Essays ist, eigentlich keine endgültigen Gewissheiten liefern zu wollen, ist dieses Buch allen anderen derzeit auf dem Markt befindlichen nicht-wissenschaftlichen Titeln zum Thema Populismus unbedingt vorzuziehen, vermeidet Müller den bei anderen vorherrschenden Befindlichkeits- und Patentlösungsduktus. Müllers Essay liefert das perfekte Rüstzeug, die agierenden Populisten zu demaskieren – und zwar eben nicht nur oberflächlich, sondern auch durch die Demaskierung ihrer Rhetorik.

Cover © Suhrkamp Verlag

Wertung: 11/15 dpt


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