Dies ist eine Liebesgeschichte. Über die guten alten Zeiten, als […] Bücher noch Bücher waren, mit Klebebindung oder besser Fadenheftung, mit Leinen- oder Papierband, mit hübschen oder weniger hübschen Umschlägen und diesem modrig-staubigen Geruch: als Bücher unzählige Räume füllten und ihr Innenleben – magische Worte, Prosa und Poesie – ihren Liebhabern wie Wein war, wie Parfüm und Sex und Ruhm.
(S.7)
Liest man den Klappentext zu Jonathan Galassis Debütroman „Die Muse“ sowie des Autors einleitende Worte, kommt man als bibliophiler Geist und buchaffiner Leser nicht umhin, sich von diesem Buch angezogen zu fühlen.
Galassis „Muse“ kündigt sich als Hymne auf die Buchkultur an. Der Schauplatz des Geschehens – für einen nostalgischen Stimmungsraum wie geschaffen – ist das New York der Sechziger Jahre, in welchem zwei Verleger, Homer Stern und Sterling Wainwright, um die erfolgreichste Dichterin ihrer Zeit, Ida Perkins, buhlen. Hin- und hergerissen in seiner Achtung vor beiden Verlegern und Ida Perkins nicht minder erlegen, ist der Protagonist Paul Dukach, Lektor bei Homer und Ida Perkins-Experte – zumindest hinsichtlich ihres Werks und zumindest für die Dauer der ersten Romanhälfte.
„Die Muse“ ist ein Buch über Bibliophile der alten Schule; über Nostalgiker; über solche, die ihr Leben ganz ihrer Liebe zur Literatur und zum Buch verschrieben haben. Unbefriedigend blass jedoch treten diese Figuren hinter dieser großen Passion hervor – selbst in Momenten tiefgründiger Offenbarungen und entscheidender Lebensumbrüche. Persönlichen Entwicklungen räumt Galassi nur mäßigen, bis gar keinen Raum ein. Die Liebe zum Buch und zur guten Literatur steht allem anderen voran. So bleibt etwa das Potenzial nicht nur einer Coming-Out-Geschichte gegen Ende der Achtziger Jahre, der »schlimmste[n] Phase der unheilbaren Krankheit« (S. 45), völlig unerschöpft. Dass die angedeuteten Schwierigkeiten dieser Zeit nicht näher ausgeführt werden, obwohl sie gleich mehrfach eine nicht unbedeutende Rolle im Handlungsgeschehen spielen, ist zu bedauern. Ebenso, dass im späteren Verlauf, mit größter Selbstverständlichkeit, das Ende einer großen Liebe aufgrund der bibliophilen Loyalität einer sich beiläufig plötzlich doch ganz offen zu seiner sexuellen Orientierung bekennenden Figur, lapidar abgearbeitet wird. Gleichzeitig wird damit das Potenzial vergeudet, ein zentrales Thema des Romans auch auf metaphorischer Ebene zu erzählen. Schließlich ereignet sich die amouröse Entzweiung zwischen einem sich der traditionellen Buchkultur verpflichtenden Part und einem ebendieses traditionelle Verlagsgeschäft zu vernichten drohendem Gegenpart.
Sein Versprechen eine Geschichte über die Lebenskunst des Bücherliebens zu sein, hält Galassis Debüt durchaus ein. Doch zu verbissen scheint der Autor sich an dieser einen Geschichte festzuhalten. Galassis Figuren sind auf seltsame Weise zu sekundär geraten und obwohl es Liebe ist, und dabei nicht ausschließlich jene zum Buch und zur guten Literatur, die im Fokus steht, gelingt es Galassis nostalgisch anmutender und vielschichtiger Liebesgeschichte auf keiner seiner Ebenen zu berühren und zu überzeugen. Geistreiche Ideen werden nur angespielt, Potenziale verschwendet. Es wird weder erschöpfend ein Gefühl für die (traditonelle) Buchwelt vermittelt, noch für die darin agierenden Figuren.
Sicher ist auch Galassis Sprache hieran nicht unschuldig. Gute 160 Seiten lang dominiert ein sachlich berichtender Schreibstil. Unzählige Namen fallen. Es werden (fiktive) Fakten gelistet und Verbindungen der zahlreichen Personen untereinander geknüpft sowie etliche Details preisgegeben. Doch das Wenigste davon ist handlungsrelevant oder auch nur im Geringsten stimmungsfördernd. Auf diese Weise füllt Galassi etliche Seiten, ohne tatsächlich etwas zu erzählen und ohne ein Gefühl für das Beschriebene zu vermitteln. Erst auf den letzten 100 Seiten scheint der Roman sich schließlich zu entwickeln. Als Paul seine literarische Heldin persönlich in Venedig antreffen darf, steht die Romanwelt kurzzeitig Kopf. Dominierte bis dahin ein Leck an Gefühl, nimmt dieses nun leicht überhand in Phrasen und pathetische Dialogen wie Ereignissen, welche die Handlung nichtsdestotrotz aus ihrer Lethargie befreiten. Geheime Liebschaften, literarische Offenbarungen und tiefgründige(re) Reflektionen werden zeitweilig handlungstragend. Interessante Denkanstöße im Hinblick auf die Deutung einer Autorperson anhand ihres Werkes und vice versa werden angestoßen, doch leider nicht weit gesponnen. Das leidige Problem unerschöpfter Ideen zieht sich so bis zum Ende des Romans durch.
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Jonathan Galassi, selbst Verleger und Lyriker, entdeckte für den New Yorker Verlag Farrar, Straus and Giroux Größen wie Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides. Er veröffentlichte bis dato drei Lyrikbände. „Die Muse“ ist sein erster Roman. Dass Galassi im Namen seiner erdachten Dichterin Ida Perkins auch Lyrik für seinen Roman verfasst hat, schürt, ungeachtet seiner epischen Fähigkeiten, die Neugier auf sein eigenes, keiner fiktiven Figur angedachtes, Schaffen als Lyriker.
Cover © S. Fischer Verlag
- Autor: Jonathan Galassi
- Titel: Die Muse
- Originaltitel: Muse
- Übersetzer: Uljana Wolf
- Verlag: S. Fischer
- Erschienen: 08/2016
- Einband: Hardcover
- Seiten: 272
- ISBN: 978-3-10-002294-3
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Wertung: 7/15 dpt