Catching The Big Fish ist kein unsympathisches Buch. Das ist etwas Besonderes, denn der esoterisch-verschrobene Titel verspricht einen kruden Tauchgang in das „einheitliche Feld“, in dem man Fische für jeden Zweck finden kann, denn: „Ideen sind wie Fische.“ (S. 11) Andererseits wäre man kein Fan von David Lynch, wenn man seiner Kunst nicht von Herzen einen Platz in der Kuriositätensammlung und der Kunstbibliothek einräumen würde. Wenn Lynch schreibt, es gäbe „Fische fürs Business“, aber auch für den Sport, dann kann man sich darauf einlassen, darüber nachdenken, oder auch nur lachen. Wofür man sich auch entscheidet, das Buch bleibt inspirierend. Dennoch geht es kaum darum, dass Lynch beweisen muss, wie inspiriert er selbst ist. Außer vielleicht, wenn es um den beklemmenden Gummiclownsanzug geht (S. 16-17).
Problematischer ist sicherlich, wenn man die Perspektive des Films David wants to fly (David Sieveking, 2010) anlegt, in dem ein deutscher Dokumentarfilmer die Transzendentale Meditation, Lynchs primäre Inspirationsquelle, als sektenähnliches, faschistisch-religiöse Bewegung darstellt – und das mit einiger Plausibilität. In Catching The Big Fish geht es in der Tat zu einem großen Teil um Transzendentale Meditation, die als Technik zu mehr Kreativität, mehr Glückseligkeit und allgemein mehr Weltfrieden führen soll. Und obwohl David Lynch seine eigene Stiftung für mehr Weltfrieden durch Meditation an Schulen hat, schreibt er, nicht erleuchtet zu sein, anderen nicht vorschreiben zu können, was zu tun sei. Damit rechtfertigt er die Dunkelheit seiner Filme und bezieht, was die Foundation betrifft, Stellung. Das kann man gut oder schlecht finden – aber Lynch gibt hier immerhin Auskunft.
Obwohl diese natürlich nicht kritisch ist und Transzendentale Meditation nicht als politische, auch nicht als religiöse Bewegung dargestellt wird (was man anzweifeln kann), ist das fair: Es wirkt nicht so, als wollte Lynch nur von Mediation überzeugen. Indirekt merkt man natürlich schnell, dass Lynch sehr überzeugt ist, da er gegen nichts Kritik äußert und damit das praktiziert, was er ‚reine Positivität‘ nennt. Aber wenn sich das darin äußert, dass er erklärt, wie und warum er bestimmte Nebenpersonen am Set, etwa Set Designer, als kreative Akteure in seine Filme einbezieht, oder beschreibt, wie schön es ist, mit Angelo Badalamenti zu arbeiten, ist das allem voran informativ.
Auch den Lesenden will Lynch Mut machen; es gibt ein Kapitel, das “Bleib dran!” heißt und durchaus glaubwürdig ist. Immerhin beschreibt er die Situation, Kunst zu machen und gleichzeitig von einem täglichen Job aufgefressen zu werden, als Grund für die schrecklich lange Produktionszeit von Eraserhead, in einem früheren Kapitel nicht unähnlich – und gibt (vermeintlich?) freimütig zu, wie oft und an welchen Stellen er Glück hatte.
Man kann das natürlich als Buch eines betäubten, scheinheilig glückseligen Sektenheinis lesen – aber man kann das auch einfach hinnehmen, sich seinen Teil denken und die vielleicht nicht reichhaltigen, aber faszinierenden Hintergrundstories zu manchen von Lynchs Filmen und Serien genießen. Es gibt hier durchaus etwas über das Filmemachen und einen Kreativitätsprozess zu lernen, der nicht nur, aber auch aus Meditation besteht. Zu diesem Prozess gehören eben auch Gespräche mit Fachmännern für Spezialeffekte oder seiner Nachbarin Laura Dern.
Zu Gute halten muss man Lynch, dass er das Geheimnis um Kino und Filme nicht aufdeckt und früh klarmacht: „Ein Film muss für sich selbst sprechen.“ (S. 28) Er gibt interessante Details preis, ohne seine eigene Kunst zu profanisieren. Für diesen Effekt sorgt auch der schlichte und sympathische Stil, den Jochen Stremmer ebenso sympathisch übertragen hat – das ist okay, wenn Lynch den Lesenden im vorletzten Kapitel wünscht:
»Mögen alle glücklich sein. Mögen alle frei von Krankheit sein. In allen Welten Wohlergehen und Erfolg. Möge niemand an Sorgen leiden.
Frieden.«
Auch, wenn der RZA schon Ähnliches schrieb.
Cover © Alexander Verlag Berlin
- Autor: David Lynch
- Titel: Catching The Big Fish. Mediation, Kreativität, Film.
- Übersetzer: Jochen Stremmer
- Verlag: Alexander Verlag Berlin
- Erschienen: 2016
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 168
- ISBN: bitte mit Trennstrichen
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 10/15 dpt
“Man kann das natürlich als Buch eines betäubten, scheinheilig glückseligen Sektenheinis lesen”
Kann man das? Diese Lesart, die eigentlich eine explizite, passive Anfeindung ist, bedarf meiner Meinung nach eher einer Rechtfertigung, als die Zeitspanne, die Lynch benötigt hat um einen Film zu machen.
Mich würde interessieren, wo Kritiker eine Betäubung des Mannes wahrzunehmen wähnen; auf mich wirkt er äußerst klar und präsent.
Schwieriger zu klären wäre allerdings was eine “scheinheilige Glückseligkeit” sein soll? Glaubt man, der Mann tue nur so als ginge es ihm gut oder wie darf ich das interpretieren? Eine Scheinheiligkeit liegt vor, wenn man Moral, Frieden, Liebe predigt, aber selbst nicht oder gar gegenteilig auslebt. Ich sehe auch hier keine Angriffsfläche, fände es aber interessant zu hören, was ihm diesbezüglich vorgeworfen werden könnte.