Alberto Asor Rosa – Alessandro und Assunta (Buch)


Alberto Asor Rosa - Alessandro und Assunta (Cover © edition.fotoTAPETA)»Wahrheit und Fiktion, Wirklichkeit und Phantasie, an einem gewissen Punkt stehen sich die beiden Seiten nicht mehr gegenüber, wie man normalerweise geneigt wäre anzunehmen, sondern sie treffen zusammen, sind ineinander verflochten und stützen sich gegenseitig.« (S.140)

Ende der Kritik, dieser Satz am Ende dieses schmalen Büchleins sagt eigentlich in seiner Schlichtheit alles über diesen Roman aus.

Hat man bis hierher gelesen, hat man einen Einblick in das Leben und auch Sterben der Eltern des Autors Alberto Asor Rosa bekommen, und nicht nur das. Der biografische Roman/die Erzählung ist gleichzeitig ein Abriss der italienischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Alberto Asor Rosa, geboren 1933, ist Literaturkritiker, Journalist und strammer Linker. Drei Romane hat er bislang verfasst, der vorliegende ist der erste in deutscher Übersetzung. Und man möchte ausrufen: »Zum Glück!«, denn dieses Buch ist in seiner Einfachheit, seiner Schnörkellosigkeit, grandios.

Warum? Dem Autor gelingen zwei Dinge: zum einen schreibt er beinahe zärtlich über seine Eltern, Assunta, seine Mutter, geboren 3. August 1902, Alessandro, seinen Vater, geboren 8.Juli 1897. Zwei Menschen also, die das 20. Jahrhundert somit von Anfang an begleiten und irgendwo auch gestaltet haben. Und zum zweiten schreibt Rosa eine, ja doch, kleine Geschichte Italiens in dieser Zeit. Zwei Weltkriege werden über den europäischen Kontinent ziehen und damit Not, Elend und Tod. Aber auch das kleine Glück der Eltern, die Grandezza der Mutter, das politische Engagement des Vaters in der Eisenbahner-Gewerkschaft, die er früh nach dem Zweiten Weltkrieg mitgründete. Aber auch die Entfremdung der Eheleute im Laufe der Jahre.
Der Aufstieg des italienischen Faschismus wird geschildert, aber immer in und aus Sicht der Eltern. Keine Geschichtsdeutung, die das Große und Ganze sieht, sondern die Wahrnehmung der kleinen Leute. Das Tägliche steht hier im Vordergrund. Und das ist auch gut so, denn was ist spannender, geschichtlich betrachtet, wenn die vermeintlich kleinen Leute Geschichte erzählen bzw. wenn ihre Sicht der Dinge erzählt wird?

Aber das Buch ist auch noch etwas anderes. Es ist die – ja, auch wenn es kitschig klingen mag – liebevoll erzählte Geschichte der Familie Asor Rosa. Die Beziehung des Autors zu seinen Eltern über die Spanne einer Generation. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass sich Alberto Asor Rosa in seinem Erzählstil sehr angenehm zurücknimmt. Er steht nicht im Mittelpunkt. Seine Eltern geben das Tempo durch ihr Leben vor. So ist dann das Buch, fast schon folgerichtig, eingeteilt in 12 Kapitel, die einzelnen Kapitel sind nach den Monaten benannt. Also von Beginn eines Jahres mit dem Januar anfangend bis zum Dezember. Das zeichnet dann die Leben von Assunta und Alessandro von Geburt bis zum Tode nach. Freude, Trauer, Nachdenklichkeit und, völlig konsequent, am Ende der Tod entwickeln sich, ja beinahe zwangsläufig. Und wie so oft im Leben, sind dann die Kapitel hin zum Ende auch am ausdrucksvollsten, dann wenn es existentiell wird. Besonders das Kapitel, im „Winter“, wenn man so will, das den Niedergang von Alessandro beschreibt, der an Demenz leidet. Asor Rosa beschreibt das mit:

»Er vergißt sich selbst.« (S. 137)

Alessandro kämpft, kämpft gegen das tägliche Vergessen, auch durchaus mit kuriosen, lustigen Versuchen. Auch seine Umwelt reagiert darauf. Assunta zum Beispiel sagt ihrem Mann nie ciao, wenn er die Wohnung verläßt. Sie weiß, er kehrt fast sofort zurück, weil er etwas vergessen hat. Italienischer Pragmatismus!
Assunta überlebt ihren Mann mehr als 16 Jahre. Und sie verschwindet so einfach, immer weißhaariger, immer dünner werdend, aus ihrem Leben.

»… entkräftet, aber wie immer ohne Klage« (S. 137)

… und einige Zeilen weiter:

»Eine weitere Etappe auf der langen Reise ist zu Ende gegangen.« (S. 137)

Als Sohn steht Asor Rosa dem irgendwo hilflos gegenüber. Er weiß nicht, wie er reagieren soll und muss. Aber eines ist immer erkennbar: Asor Rosa beschreibt das immer mit einem großen Respekt vor seinen Eltern und deren Lebensleistung. Doch, man kann sagen, durchaus mit Dankbarkeit.
Und so soll diese Rezension eines leisen, eindrücklich geschriebenen Buches auch mit den Worten von Alberto Asor Rosa enden:

»Nicht von ungefähr ist diese Erzählung vom Anfang bis zum Ende von dem Prinzip getragen, dass das Leben nicht wahrhaftig ist, weil es einen Sinn hat, sondern dass es einen Sinn hat, weil es wahrhaftig ist.«

Dem ist nichts hinzuzufügen!

Wertung: 11/15 dpt


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