Mann beißt Hund (Spielfilm, Blu-ray)

Mann beißt hund-bluray-cover“Mann beißt Hund” ist nicht die erste Mockumentary, da sind nicht nur Orson Welles und die BEATLES vor, aber eine der konsequentesten, sarkastischsten, finstersten und kontroversesten.

In dem belgischen Debütwerk folgt eine Filmcrew dem (zu) eloquenten Killer Ben, für den sein Job gutbezahltes Alltagsgeschäft ist. Mal unkompliziert und zufriedenstellend (wenn es unsympathische Zeitgenossen erwischt. Oder die Konkurrenz), mal langweilig, frustrierend und dem verlogen-sentimentalen Mörder an die Nieren gehend. Wenn er Kinder töten muss zum Beispiel. Dann drückt der Mann sogar ein imaginiertes Tränchen weg. Bevor er sich jovial um seine Familie und sein Protegé, die Flötistin Valerie, kümmert.

Das Filmteam folgt und beobachtet zunächst abwartend, doch es dauert nicht lange, dann hilft man beim Entsorgen von Lmann beißt hund-ab311a966e87a6eichen, hält fliehende Opfer fest und beteiligt sich nacheinander an einer Massenvergewaltigung. Spätestens bei den letztgenannten Aktionen friert die sarkastische Komödie ein und nachhaltiges Grauen verbreitet sich über die grisseligen Schwarzweißbilder hinaus.  Spätestens hier wird die andernorts gestellte Frage “Produziert oder reflektiert der Film Gewalt?” hinfällig.

Die Filmemacher(auf beiden Ebenen) kommentieren den Horror und die Komik nicht, sie stellen sie in den Raum und konfrontieren den Zuschauer damit. Gewaltverherrlichend ist das zu keiner Sekunde und glücklicherweise auch weit entfernt vom manipulativen Moraldogmatismus eines Michael Haneke.   
Der Film gipfelt in einer Doppelung, bei der eine zweite Filmcrew auftaucht, die einen Killer-Konkurrenten Bens porträtiert. Das Aufeinandertreffen führt zu einer Schießerei und dem Verlust eines Mitarbeiters. Dem mit einer klischeetriefenden Trauerrede versprochen wird, ihm den fertigen Film zu widmen. Er wird nicht der einzige bleiben, dem diese postume ‘Ehre’ widerfährt.

Gleichzeitig markiert dieses leichenreiche Aufeinandertreffen den Anfang vom Ende, das konsequenterweise aus einer sinnlos filmenden Kamera besteht.

mann-beit-hund-5-rcm0x1920uWenn Satire wehtun soll, dann hat “Mann beißt Hund” sein Ziel erreicht. Die Dramaturgie folgt strikt dem Zentrum der Dokumentation, dem geschwätzigen Killer Ben. Es gibt keine ausgefeilte Spannungskurve und auch Action fällt flach, wenn man die Hauptfigur aus den Augen verliert. Dann muss eine kurze Zusammenfassung reichen. So zerfällt der Film gegen Ende, wenn sein Focus Ben immer weiter den Boden unter den Füßen verliert.

Mann beißt hund-966e87a6Genre-Erwartungen werden permanent unterlaufen. Ben ist keiner jener medienaffinen, coolen Profikiller wie sie zwischen Alain Delon und John Travolta im Filmbusiness unterwegs sind. Er schwafelt zwar ununterbrochen und ähnelt auch anzugsmäßig gelegentlich einem ‚Reservoir Dog‘, doch vom popkulturell geschwängertem Metageschwätz der Protagonisten Quentin Tarantinos ist Ben weit entfernt.   Er ist ein salbadernder Kleinbürger, der gefühlige Banalitäten absondert, wenn er sich nicht in wenig verklausulierten Hasstiraden ergeht. Eine mordende Pippi Langstrumpf des Kleingeistes: Ich verhackstücke mir die Welt, bis sie mir gefällt.

Nicht nur dadurch verändert sich, was zu Beginn die sardonische und ausführliche Schilderung eines außergewöhnlichen Jobs zu sein scheint, im Lauf der Zeit zu zusammengestückelten Momentaufnahmen. Das filmende Team kann nur noch hinterherhecheln bis es durch die Schlussblende ausgebremst wird.
Man kann dem Film vorwerfen, dass sich das Team ein wenig zu schnell mit dem Killer verbrüdert. Doch bleibt natürlich offen, welche Stoffe bereits vor dieser mordsmäßigen Dokumentation entstanden sind. Wir befinden uns nicht zu Beginn einer kippelnden ethischen Haltung, sondern bereits während des tiefen Falls.  

mann-beisst-hund-cccDiese Behandlung des Sujets war klug vorausschauend, wenn auch nicht abzusehen war, dass die wahre Assimilation mit dem Übel, ein Vierteljahrhundert später, von Amateuren betrieben wird und nicht von  Profis. Unfallopfer, brennende Welpen, Hinrichtungen, gefilmt von unzähligen Smartphones mehr oder weniger zufällig Anwesender. Liveleak, Youtube, Facebook und wie sie alle heißen mögen, danken recht herzlich.

Rettungskräfte gehen bitte einen Schritt zur Seite und haben die Opfer-verdeckende Plane zu lüften. Der zerstörte Körper muss dokumentiert werden. Während anderswo ein Teenager die Vergewaltigung ihrer besten Freundin filmmann beißt hund-912rfuPzCNL._SL1500_t und diese Sequenz umgehend auf dem “sozialen” Medium ihrer Wahl einstellt, anstatt den Notruf zu wählen oder um Hilfe zu schreien. “Die rundgeschickte Aufnahme per  Smartphone war ein Hilferuf”, sagt die beredte Anwältin der Filmemacherin. Womit wir wieder beim Anfang wären. Das Grauen wird schöngeredet. Mann beißt nicht mehr Hund. Mann vergewaltigt. Opferfreundin filmt. Reicht, um medial um die Welt zu gehen. Remy Belvaux und seine Mitstreiter haben das zumindest geahnt.

Während Benoît Poelvoorde zum Star über die Grenzen Belgiens und Frankreichs hinaus avancierte, gelang dem unorthodoxen Belvaux der Anschluss an sein einprägsames Debüt nicht mehr. 2006 beging er Selbstmord.  
Die Bildqualität der vorliegenden, neu veröffentlichten Blu Ray ist scharf aber körnig und stellt den Widerspruch dar, technisch perfekt sein zu wollen, beim zugrunde liegenden Material, das wie eine mit beschränkten Mitteln aufgenommene Dokumentation aussehen soll.

Als Fazit bleibt: Vierundzwanzig Jahre später besitzt “Mann beißt Hund” immer noch eine beeindruckende, erschreckende Brisanz.

Talkshow aus dem Todestrakt:

“Licht, Licht!”
“Meistens gönne ich mir Anfang des Monats einen Briefträger. Ich steh’ früh auf und verbringe den Rest des Vormittags damit, Renten zu kassieren. Dabei erfahre ich auch, welche alten Leute Geld haben. – Ich meide vor allem junge Ehepaare, die gerade ‘nen Hausstand gegründet haben, denn die stinken nach Armut, das ist nicht lustig. Aber die Alten, die haben Geld, das ist klar. Ich kenne keine Alten, die arm sind. Geizig ja, aber nicht arm.”

“Sag’ mal Ben, tötest du eigentlich oft Kinder?”
“Nein, nein, nein! Wie du vielleicht gemerkt hast, habe ich keine Erfahrung mit solchen Sachen. Das ist vielleicht mein zweites oder drittes Kind in fünf Jahren. Ich mag keine Kindermorde.”
“Warum?”
“Kinder bringen nichts ein, Remy. Weißt du, die sind nicht mal kreditwürdig.”
“Man kann doch Geld mit ihnen machen.”
“Du meinst Entführung? Ich glaube, das ist mehr oder weniger eine Verlegenheitslösung. Vor allem, wenn die Medien sich einmischen. Das ist keine Anspielung auf euch, ihr seid ja relativ diskret, ja. Hut ab!”
[…]
“Hier gibt’s nichts. Das war wirklich Pfuscharbeit.”
[…]
“Wir haben fast kein Geld mehr für Filmmaterial.”
“Ach, Geld ist kein Problem, Geld hab’ ich. Ist nur ein Jammer mit diesen drei Unschuldigen. Sowas darf  wirklich nicht passieren. Ich bin, ich bin doch kein Verrückter!”

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Cover & Szenenfotos © STUDIOCANAL

  • Titel: Mann beißt Hund
  • Originaltitel: C’est arrivé près de chez vous
  • Produktionsland und -jahr: Belgien, 1992
  • Genre:
    Mediensatire, Schwarze Komödie, Mockumentary, Krimi, Noir
  • Erschienen: 21.04.2016
  • Label: STUDIOCANAL
  • Spielzeit:
    95:54  Minuten auf Blu-ray
  • Darsteller:
    Benoît Poelvoorde
    Jacqueline Poelvoorde-Pappaert
    Nelly Pappaert
    Remy Belvaux
  • Regie:
    Remy Belvaux
    André Bonzel
    Benoît Poelvoorde
  • Drehbuch:
    Remy Belvaux
    Benoît Poelvoorde
    André Bonzel
    Vincent Tavier
  • Kamera:
    André Bonzel
  • Musik:
    Jean-Marc Chenut
  • Extras:
    Geschnittene und alternative Szenen
    Pas de C4 pour Daniel Daniel (Kurzfilm)

  • Technische Details (Blu-Ray)
    Bild:  1,66:1 1080/24p Full HD
    Sprachen/Ton:
     Deutsch, Französisch Mono DTS-HD Master Audio
    Untertitel:
    Deutsch
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite Blu-Ray
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 12/15 Kills

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