Leopold Maurer – William Shakespeare: Der Sturm (Buch, Graphic Novel)


Leopold Maurer-Der Sturm  (Cover © Luftschacht)Es gibt unterschiedliche Gründe, gern ins Theater zu gehen: Manche schätzen die unmittelbare Nähe von Darsteller*innen und Publikum. Andere lieben die Veränderung, die während der Aufführung mit ihnen geschieht. Wieder andere glauben an die gesellschaftliche oder auch politische Kraft des Theaters.
Wenige lieben es, die Dinge zu sehen, die nicht sichtbar sein sollen – die Entzauberung: ein durchs Dunkel huschender Bühnenbauer, eine Souffleurin in der ersten Reihe, Schauspieler*innen, die auf dem Rang Aufstellung für einen Einsatz nehmen.
Leopold Maurer gehört vielleicht zu dieser seltenen Gattung. Er hat Shakespeares „Der Sturm“ in einer Übersetzung aus der Burgtheaterspielzeit 1987/88 als Graphic Novel inszeniert, und obwohl der Begriff für gezeichnete Literatur nur als gattungsfremd bezeichnet werden kann, ist er doch höchst passend.

Die Handlung des Shakespeare-Stücks ist schnell erfasst: Prospero, der Herzog von Mailand, ist ein Zauberer. Er wird durch eine Intrige seines Bruders und des Königs von Neapel gemeinsam mit seiner Tochter aus der Stadt vertrieben. Jahre später gelingt es ihm mit Hilfe seiner Zauberkraft und dem Luftgeist Ariel seine Widersacher in sein Inselexil zu bringen und sie dort mit ihren Verfehlungen zu konfrontieren.

In seiner Adaption schafft es Maurer auf spannende Weise, einerseits den Shakespeare-Stoff, andererseits auch das moderne Theater einzufangen. Sämtliche Sprechtexte folgen der Übersetzung des Burgtheaters und damit dem Originaltext, womit Handlung, Aufbau und Figurenentwicklung relativ feststehen.
Auch an der aktuellen Inszenierung des Wiener Burgtheaters nimmt Maurer keine Änderungen vor. Seine Figuren treten nicht in Renaissancegewändern, sondern in zeitgenössischer Kleidung (oder wenigstens, was man ca. 1975 so nannte) auf. Sein Prospero ist zwar ein Zauberer, allerdings tritt ihm Ariel nicht als metaphysische Gestalt entgegen, sondern erscheint als Avatar auf dem Display eines Smartphones.

Auf die Vorzüge oder Schwächen beider Aspekte soll aber hier nicht eingegangen werden. Die Besonderheit der Graphic Novel besteht darin, klassischen Stoff und modernes Theater wiederum in die Kunstgattung der Malerei und Zeichnung zu übertragen. Im Grunde geht Maurer damit den umgekehrten Weg des Storyboardings beim Film, und er geht ihn überzeugend.
Der fast schon puristische Zeichenstil Maurers kann gefallen oder enttäuschen. Allerdings fängt er direkt die oft nüchterne und wenig ausgeschmückte Atmosphäre ein, die viele moderne Theaterinszenierungen prägt. Viele Szenen laufen vor leeren, grauen Hintergründen oder nur rudimentär angedeuteten Umgebungen ab. Was unter anderen Umständen eigenartig wirkte, stellt hier einen deutlichen Bezug zur Theatervorlage her und schafft für sich genommen die Illusion, ein modernes Schauspiel zu sehen.

Auch Maurers Figuren sind auf die nötigsten Eigenschaften beschränkt; Finger und Körper in der Regel nur skizzenhaft ausgeführt. Ein wenig erinnert es an japanische Mangas, wenn er mit wenigen Zeichenstrichen die Gesichtsausdrücke einfängt und gelegentlich (vor allem bei Caliban, dem bösherzigen Sklaven Prosperos) völlig überzeichnet. Maurer sieht, was die Schauspieler*innen stellvertretend für ihre Figuren empfinden sollten (was keine Aussage darüber ist, ob sie dies in der eigentlichen Aufführung nicht auch getan haben).
Und er sieht noch mehr: Maurer sieht Bühnentechnik und baut diese in seine Erzählung ein. Wenn der Luftgeist Ariel erscheint, um Antonio, den verräterischen Bruder, und Sebastian, seinen nicht minder hinterhältigen Spießgesellen, in den Wahnsinn zu treiben, tut er das als Beamerprojektion an einer Felswand, die wiederum nur die Zuschauer*innen beziehungsweise Leser*innen sehen.

Maurer spielt mit dem Reiz des eigentlich Unsichtbaren, was einen beinahe poetischen Bezug zum Inhalt und der Burgtheaterumsetzung des Werkes darstellt: Geister bevölkern Shakespeares Stück. Im Theater werden sie nur auf Bildschirmen und Projektionsflächen sichtbar. Für die Leser*innen von Maurers Graphic Novel zeigen sie deutlich ihre technische – und damit menschengemachte – Herkunft.

Die Kunst von Leopold Maurers gezeichneter Inszenierung besteht also darin, die Eigenarten der einen Gattung in der anderen einzufangen und trotzdem etwas Eigenes zu schaffen. Womit auch die alte Weisheit einmal mehr bestätigt ist, dass es keine neuen Stoffe und Geschichten gibt, wohl aber neue Arten, sie zu erzählen.

Cover © °luftschacht Verlag, Wien

  • Autor: Leopold Maurer
  • Titel: William Shakespeare: Der Sturm
  • Verlag: Luftschacht
  • Erschienen: 2016
  • Einband: Gebunden, Halbleinen
  • Seiten: 157
  • ISBN: 978-3-902844-94-1
  • Sonstige Informationen:
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