Christian Mähr – Knochen kochen (Buch)


Christian Mähr - Knochen kochen (Cover © Deuticke Verlag)Oh ja, die Wirklichkeit mag manchmal vielleicht gar zu oft verwirrend, kontingent und unlogisch sein. Ganz so ohne elegante Überleitungen, ohne erzählerische Mühe, einfach so eine Episode an die andere gekoppelt, ohne Sinn, Logik und Verstand. Bei Autoren, die nicht über den umfangreichsten Werkzeugkasten literarischer Instrumente oder eine entsprechende Portion Genie verfügen, liest sich dann so etwas gerne mal als uninspirierter Episodenroman, durchaus manchmal (unfreiwillig) faszinierend, oft aber eben auch banal und einfach nur unmotiviert. In ganz seltenen Fällen gelingt es Autoren, wundersame Fügungen, schier unglaubliche „deus ex machina“-Konstruktionen und ein Gespür für menschliche Missverständnisse so miteinander zu vereinen, dass tatsächlich ein tragfähiger Roman dabei herauskommt, der von der ersten bis zur letzten Seite einfach nur fesselt und bei aller Komik nie in die Klamauk-Falle gerät.

Ein solcher Autor ist Christian Mähr, dessen aktueller Roman auf den feinen Titel “Knochen kochen“ hört. Der Plot ist recht schnell erzählt: Wir begegnen dem Wirt der ‘Blauen Traube’ Matthäus Spielberger, der von einem Schulkameraden, Erasmus von Seitenstetten, gebeten wird, seinen Urahn geheim zu exhumieren. Dieser sei nämlich an einer rätselhaften Seuche, dem “Englischen Schweiß“, verstorben. Wissenschaftlich ist diese Seuche eher rudimentär erforscht und von den Ergebnissen dieser Exhumierung verspricht sich Erasmus seinen internationalen Durchbruch als Biologe. Weil es die Dramaturgie dieses Romans so will und weil Spielberger auch über übersinnliche Fähigkeiten verfügt, verspricht er ihm, zusammen mit den Stammtisch-Genossen, zu helfen. Eine Exhumierung nachts auf einem Wiener Friedhof – nichts leichter als das, wenn ja wenn Erasmus sich nicht seiner Frau anvertraut hätte, die nun ihrerseits nicht nur untreu ist und ihrem Lover, einem wissenschaftlichen Assistenten von dieser Story erzählt, sondern auch einem monetär potenten Verwandten. Beide beginnen nun jeweils für sich, Nachforschungen anzustellen und in den Besitz dieser Ruhm, Ehre und Nobelpreis versprechenden Leiche zu gelangen. Ach ja, und zwischendrin lernen wir auch noch einen waschechten Terroristen kennen, der nun seinerseits hofft, die mit dem “Englischen Schweiß“ kontaminierte Leiche für einen selbstverständlich höchst perfiden Anschlag nutzen zu können.

Es sind böse, böse und nochmals böse Szenen, die Christian Mähr in seinem Roman entwirft, gespickt mit zumeist sehr geistreichen Verweisen, Zitaten und Metaphern, die die Protagonisten und den Erzähler manchmal ein wenig altklug erscheinen lassen. So unglaubwürdig, völlig überladen und gewollt kitschig sich die Handlung und die sich stets ändernden Verwicklungen präsentieren, so viel Spaß bereiten sie bei der Lektüre. Wie schon angedeutet: Der Grat zwischen inhaltsleerem Klamauk, albernen Wortspielen und überbordender Erzählfreude gepaart mit einer gesunden ironischen Distanz des Erzählers zu den Protagonisten ist verdammt schmal.

Mähr, seines Zeichens promovierter Chemiker, balanciert in “Knochen kochen“ auf diesem Grat höchst eindrucksvoll. Und so sticht dieser Krimi wohltuend aus dem Meer allzu gewollt komischer Spaß-Krimis heraus, wagt dabei eine Spur Regionalität, ohne in Regional-Krimi-Klischees abzudriften und tappt auch nicht in eine der allerorten aufgestellten Wolf-Haas-Fallen, von denen sich in den letzten Jahren doch einige Haas-Epigonen Erfolg versprochen haben. Nein, dies ist kein “Krimi, wie …“, sondern ein Christian Mähr-Krimi.

Übrigens: Wer nun seinerseits nach weiteren Rezensionen sucht oder gar in den Genuss des verlagseigenen Waschzettels oder des Buchumschlags kommt und denkt: „Mensch, der Nüse-Lorenz kann sich nicht mal den Namen des Haupt-Protagonisten merken, der heißt doch ‘Matthias’“, dem sei gesagt: Der Nüse-Lorenz hält sich an ‘Matthäus’, weil auch der Autor Christian Mähr in sturer Nichtbeachtung des Waschzettels, des Buchumschlags und zahlreicher Rückseitentext-basierter Rezensionen seinen Helden auf den Namen Matthäus getauft hat.

Cover © Zsolnay/Deuticke (Hanser Literaturverlage)

Wertung: 12/15 dpt


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