Seltsam, seltsam. Sicher hat ein jeder den ein oder anderen Autoren, mit dem ihn eine lange Lesebiographie verbindet, in der man beinahe jedes Werk verschlingt, in der beinahe jedes Werk etwas zu bedeuten hat, auf einen großen Resonanzraum im Inneren des Lesers stößt und man einen über die Literatur hinaus inneren Dialog mit dem Autor und/oder den Protagonisten führt.
So etwas gibt es ganz sicher nicht oft – doch dem Rezensenten ist genau dies mit Friedrich Ani und seinen zahlreichen Krimis passiert. Nicht jedes Buch wusste dabei literarisch zu überzeugen und manchmal war auch der gewählte Plot hanebüchen, allzu vorhersehbar und der ein oder andere Dialog zu aufgesetzt oder banal. Geschenkt! Es ist die Haltung des Erzählers, des Protagonisten, die so imponiert: Das Zuhören, das leise, manchmal vorsichtige, aber immer empathische, sich und seine Überzeugungen selbst in Frage Stellende, das so aufmerksam Wahrnehmende, das Raum Lassende. All dies resonanzt so vehement im Rezensenten, dass ihm angst und bange wurde, als er das neue Werk zur Rezension bestellte. Kann dieser Roman diesen hohen Erwartungen gerecht werden? Was, wenn der der Schreiberling, warum auch immer enttäuscht wäre? Es wäre aufgrund der eigenen Lesebiographie eine andere Art von Enttäuschung als bei vielen, vielen anderen Autoren.
Aber halt – von diesem Erwartungsdruck wissen weder Buch noch Autor, noch hat es jemanden zu interessieren. Das ist ja einzig und allein das Problem des Rezensenten und nicht der anderen Leser, geschweige denn des Autors! Rein zufällig lief “The River“ von Bruce Springsteen, als dieser Text seine ersten Worte einverleibt bekam. Und eine Zeile hängt dem Verfasser dieser Zeilen, immer, wenn er das Titellied hört, nach: “Is a dream a lie if it don’t come true?“ Nein, das Buch kann nun wirklich nichts dafür, dass es meinen emotionalen, subjektiven Erwartungen nicht gerecht wird. Irgendwie wirkt es kühler, technischer und in vielerlei Hinsicht h-spalterisch (- der geneigte Leser achte auf die Namen der Hauptfiguren). Man kann es nicht niederschreiben und man sollte es in einem umgekehrten Fall auch nicht überhöhen – zumindest nicht in einer Rezension. Das wäre eher ein Fall für eine fast schon wieder aussterbende Gattung, den Leserbrief. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Zurück zum Buch, das ein waschechter Thriller und in vielen Zügen ein typischer Friedrich Ani ist: Wir haben einen Ermittler, der im Morddezernat der Kriminalpolizei München arbeitete und nun aus dem Ruhestand heraus eine Ermittlung aufnimmt. Was diesen Protagonisten als echten Ani-Protagonisten auszeichnet, sind erstens der Name Jakob Franck, zweitens die besondere empathische Gabe, die ihn zeit seines aktiven Ermittler-Lebens dazu „verfluchte“, den Angehörigen der Mordopfer die traurige Botschaft zu übermitteln. Sein Ruhestand, so lesen wir auf den einleitenden Seiten verläuft eher ruhig, unspektakulär, bis auf die leise neurotischen Heimsuchungen durch die Toten, Täter und Angehörigen seines Dienstlebens. All dies ändert sich, als er einen Anruf von Ludwig Winther bekommt und Franck sich in einen zu Dienstzeiten nicht befriedigend aufgeklärten Fall einlässt. Es geht hier um die Tochter der Winthers, deren Tod als Suizid ad acta gelegt wurde. Ludwig Winther, ihr Vater, ist aber mit dieser Erklärung gar nicht einverstanden und bittet Franck, den Fall nochmals im Hinblick auf Mord zu untersuchen.
Die Überlegungen, die Franck in der Folge anstellt und die Art, wie er sich an den Fall herantastet, vorsichtig, höchst reflektierend, weisen diesen Thriller als typischen Ani-Roman aus. Dies geschieht auch erzählerisch auf eine so leise Weise, dass die Fallhöhe zu den menschlichen und gesellschaftlichen Abgründen, die hier skizziert werden, umso höher ist. Übrigens zeigt sich dieses ‘Leise’ auch darin, dass sich auch die Lektüre sehr vorsichtig und beinahe Buchstabe für Buchstabe vollzieht. Wo sich andere Thriller fast problemlos querlesen lassen, ist hier ein genaues Lesen unabdingbar, um den Bezug zum Ermittler und seinen Schlussfolgerungen nicht zu verlieren.
Die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung, die sich so mancher Leser von Krimis und Thrillern verspricht, geschieht hier irgendwie auch – und doch zeigt sich im Schluss auch dieses Ani-Thrillers, dass die Lösung bzw. die Ordnung zwar eine solche, dabei aber eine nicht unbedingt wünschenswerte ist.
Mit ‘Der namenlose Tag’ ist Friedrich Ani ein überzeugender Thriller gelungen, der wie so viele Ani-Romane eine faszinierende Antithese zu den zu oftmals enormer Lautstärke tendierenden Genre-Genossen darstellt. Es ist zumindest ein weiterer Band der Franck-Reihe angekündigt – und das ist auch gut so. Der Rezensent freut sich vor – und wünscht diesem ersten Band und dem Autor eine ganze Menge an Lesern.
- Autor: Friedrich Ani
- Titel: Der namenlose Tag
- Teil/Band der Reihe:
- Verlag: Suhrkamp
- Erschienen: 08.08.2015
- Einband: Gebunden
- Seiten: 301
- ISBN: 978-3-518-42487-2
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 13/15 dpt