Da gibt es eine Serie mit dem wunderbar vielsagenden Originaltitel “Hinterland”, und was macht man in good old Germany draus? Man benennt es um und gibt dem Ganzen den schnöden Titel “Inspector Mathias – Mord in Wales”. Das “Tatort”-Publikum muss anscheinend sonntags gegen 22 Uhr abgeholt und am öffentlich rechtlichen Händchen ins ausdrucksvoll bebilderte Wales geführt werden. Mindert aber nicht die Qualität der (bislang) vierteiligen Serie.
Richard Harrington (der ein bisschen aussieht wie Russell Crowe in schlanker und ohne Allüren) als Chief Inspector Mathias verleiht dem Begriff ‘trauriger Dackelblick’ eine nahezu metaphysische Dimension. Mathias hat sich aus London nach Aberystwyth versetzen lassen, um seiner eigenen Geschichte zu entfliehen. Was ihm, allein in einem Wohnwagen an der walisischen Küste, nicht wirklich gelingt. In jeder Folge dringen Bruchstücke aus seinem vergangenen Leben in die Gegenwart, machen sich bemerkbar, in der Kommunikation mit den lieben Kollegen, in emotionalen Achterbahnfahrten – die Mathias hinter seinem Dackelblick meist nur schlecht verbergen kann – und einer stillen Verzweiflung, die allerdings kaum Einfluss auf seine Fähigkeiten als Ermittler hat. Die Schatten (der Vergangenheit) hängen schwer über Innsmouth, äh, Aberystwyth.
Die Autoren sind so klug, weder Mathias’ persönliche Befindlichkeiten noch die seines Umfelds, die Ermittlungen überlagern zu lassen. Die haben es nämlich in sich, die Geschichten sind dicht an der Realität erzählt und erzeugen so jenen tiefbohrenden Schrecken, der mit bitterer Erkenntnis einhergeht.
Dabei erlesen gefilmt, Küste und Hinterland(!) der walisischen Grafschaft Ceredigion spielen eine tragende Rolle; erzählen von scheinbarer Weite, die jederzeit brutal gekappt werden kann und so stiller wie prächtiger Schönheit, der der Ruch des Verfalls innewohnt. Menschen bewegen sich in diesen Landschaften wie Fremdkörper, was Besonders den ehemaligen Großstädter Mathias betrifft, und wenn sie darin aufgehen, kämpfen sie ums Überleben (“Stille Wasser”) oder sind bereits tot (“Die Schöne im Moor”).
Der erste Fall führt Mathias und sein Team an die malerische “Brücke des Teufels”, wo die 64-jährige Helen Jenkins den Tod fand. Nach und nach entblättert sich eine finstere Geschichte um Waisenkinder, unmenschliche Behandlungen und einen Mörder, der mehr Mitleid erweckt als seine Opfer und den man ungern bestraft sieht.
Folge zwei beschäftigt sich mit Grundstücksspekulationen, Gier, Eifersucht und einem Verbrechen im Zusammenhang mit kriegsgefangenen deutschen Soldaten, das weitreichende Folgen hat. Hell brennend wird eine Lektion erteilt, während der niemand seiner Vergangenheit entkommen kann, mag sie auch noch so weit zurückliegen. Als ob Mathias das nicht wüsste. Aber selbst er bekommt dies noch einmal schmerzlich eingebläut.
In “Stille Wasser” treffen unterschiedliche Lebenserwartungen und –entwicklungen aufeinander und führen zu Eifersucht, Lügen, Tod und Verzweiflung. Ein bäuerliches Drama voller Gewalt und Hilflosigkeit. Hier ist die Verwandtschaft zu skandinavischen Kriminalromanen und –filmen am größten. Glücklicherweise wird hier Trübsinn nicht zum pittoresken, selbstverliebten Spiel wie bei den kläglicheren Vertretern aus dem kalten Norden.
Es gibt tatsächlich Kritiker die konstatieren dem finalen “Die Schöne im Moor” einen Qualitätsabfall zu den vorangegangenen Folgen. Zu selbstzweckhaft sei der Geschichte um eine junge Tote im roten Kleid, die der Mörder geradezu als Schaubild in der phantastischen Moorlandschaft drapiert hat. Dabei geht es keineswegs bloß um die schaurig-schöne Pose und das Spiel mit Oberflächenreizen. An genau dieser Stelle im Moor bringt die Serie ihren Inhalt auf den Punkt: Es geht um das Beobachten, um Blicke, die in die Ferne gerichtet sind und das Nahende oft erst erfassen, wenn es zu spät ist. Zudem wird thematisiert, was geschieht, wenn der Beobachter seinen einsamen Posten verlässt und zum Handlungsträger wird.
Inspector Mathias trifft auf sein dunkles Gegenbild und kann, als er dies erkennt, nur verzweifelt wegrennen. Vorher hat er sich in den Fall involvieren lassen, persönlich und (zu) intensiv. Das berufliche Außen zu einer inneren Angelegenheit werden zu lassen, führt im Kontext der Serie unweigerlich zu bitterer Strafe. Das einzige misslungene an dieser Episode auf der Schwelle zwischen Surrealismus und Existenzialismus ist eine letzte Pointe, die zwar absehbar aber wenig glaubwürdig ist.
Wie das stimmungsmäßig verwandte “Broadchurch” besticht “Hinterland” nicht nur durch die Kraft seiner Bilder sondern auch durch die schauspielerischen Leistungen. Unverbrauchte Gesichter, abseits der Massenkompatibilität amerikanisierter Schönheitsideale, starke Figuren, die sich anscheinend problemlos in doppelter Ausführung durch die tragische Handlung spielen. Denn die Serie wurde sowohl in Englisch wie Walisisch gedreht. Den Ausschnitten der Bonussektion nach ist alleine das Beherrschen der walisischen Aussprache eine Meisterleistung.
Trotz gelungener Dialoge ist “Hinterland” in erster Linie eine TV-Exkursion in Blicken, Gesten und Auslassungen. Selbst in Kleinigkeiten funktioniert die filmische Auflösung der nonverbalen Kommunikation hervorragend. Man schaue sich nur die Interaktionen der Mitglieder des Polizeiteams an, die über Andeutungen selten hinausgehen und dem Zuschauer viel Raum für Deutungsmöglichkeiten geben. Ohne dabei unverbindlich zu wirken. Diese Kunst des kurzen Anreißens einer Thematik, und dem Verharren im Schwebezustand zwischen Ahnen und Wissen, beherrschen die Autoren vortrefflich, angefangen bei Mathias und seiner englischen Vergangenheit, über Mared Rhys und die Halt gebende Beziehung zu ihrer Tochter sowie der Positionierung der beiden Assistenten, der handfesten Sian Owens und ihr nerdiger Kollege Lloyd Ellis, bis hin zum sinisteren Revierleiter Brian Prosser. Der von Beginn an ein unbestimmtes Unbehagen auslöst – trotz knochentrockener, witziger Wortwechsel mit Inspector Mathias –, das sich in der letzten Folge zu manifestieren scheint. Aneirin Hughes verleiht seiner Figur, bei wenig Text und knappem Raum, eine bedrohliche Intensität, die es in sich hat. Starke Leistung.
“Hinterland” ist ein äußerst atmosphärisch eingefangenes Fernseherlebnis, dessen Ruhe, Bedächtigkeit und Traute sich Zeit zu lassen mit Aktionen und Reaktionen, nicht mit Spannungslosigkeit verwechselt werden sollte. Es brodelt in Aberystwyth und Umgebung. Und manchmal kommt es zum Ausbruch.
Cover & Szenenfotos © polyband
- Titel: Inspector Mathias – Mord in Wales
- Originaltitel: Hinterland
- Produktionsland und -jahr: Großbritannien, 2014
- Genre:
Krimi, Mystery, TV-Serie
- Erschienen: 09.08.2015
- Label: polyband Medien GmbH
- Spielzeit:
379 Minuten auf 2 DVDs
380 Minuten auf 2 Blu-Rays - Darsteller:
Richard Harrington
Mali Harries
Hannah Daniel
Alex Harries
Aneirin Hughes - Regie:
Marc Evans
Gareth Bryn
Rhys Powys
Ed Thomas - Drehbuch:
David Joss Buckley
Ed Thomas
Ed Talfan
Jeff Murphy
- Kamera:
Hubert Taczanowski - Musik:
John E. R. Hardy
Benjamin Talbott
Victoria Ashfield
- Extras:
Interviews, Blick hinter die Kulissen, Making of, Trailershow
- Technische Details (DVD)
Video: 16×9 anamorph (1,78:1)
Sprachen/Ton: D (Dolby Digital 5.1), GB (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: D, GB
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1920x1080p (1.78:1)
Sprachen/Ton: D (DTS-HD MA 5.1), GB (DTS-HD MA 5.1)
Untertitel: D, GB
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 12/15 dpt
Klingt gut! Vor allem as Sherlockfan muss man sich ja immer wieder was suchen, mit dem man die Zeit bis zur nächsten Staffel überbrücken kann. Ich werd mal ein Auge drauf werfen.
Viele Grüße,
Ulla
Zum Überbrücken gibt es aber auch “Elementary”. 😉