Roman Ehrlich – Urwaldgäste. Erzählungen (Buch)

Roman Ehrlich - Urwaldgäste (Cover © Dumont Buchverlag)Fallen wir gleich mit der Tür ins Haus: “Urwaldgäste”, die 2014 erschienene Kurzgeschichtensammlung des gebürtigen Aichachers Roman Ehrlich, der unsere kurzzeitige Mitschreiberin und ‘hauptberufliche’ Literaturen-Blogbetreiberin Sophie Weigand mit seinem Debütroman “Das kalte Jahr” schwer zu begeistern wusste, ist eine zwiespältige Angelegenheit, mit Tendenz zur Enttäuschung.

Ehrlichs Schreibstil ist ein faszinierendes Pendeln zwischen Detailliebe und Nüchternheit, ganz wie seine Geschichten es gerade benötigen, sei es zur Akzentuierung oder zum Ausgleich. Und eigentlich müsste dies mit diesen elf Storys (eigentlich zehn, da es von “Die Intelligenz der Pflanzen (Naturtreue)” nach drei weiteren Geschichten noch einen zweiten Teil gibt) perfekt harmonieren.

Der Autor widmet sich in “Urwaldgäste”, dessen blumenreiches Cover so gar nicht auf den Inhalt schließen lässt, den »Menschen, die zu Zurückgelassenen werden. Sie alle haben das Gefühl, immer nur ein Gast zu sein, an einem Ort mit undurchschaubaren Regeln.« – und jene Menschen gelangen an einen Punkt, an dem sie feststellen oder festgestellt haben: Bis hier hin und nicht weiter – jetzt beginnt die eigene Geschichte.

Dementsprechend wirft Ehrlich seine Figuren einfach mitten in ihr Geschehen, beschreibt das Geschehende und lässt anschließend nicht nur den Protagonisten zurück, sondern auch den Leser – dessen Phantasie ist für den weiteren Verlauf gefragt. Kurzgeschichten ohne Anfang und ohne Ende – einfach ein mal größeres oder kleineres Stück mitten aus der Wurst namens Leben geschnitten. Der jeweilige Fehler im System liegt darin, dass die Kommunikatsionskonfiguration der Figuren offenbar nicht ‘normal’ programmiert ist. Bugs inbegriffen.

Mit der ersten Kurzgeschichte “Dinge, die sich im Rahmen meiner temporären Anstellung bei der Grinello Clean Solutions ereigneten” zeigt sich, wie viel Potenzial eigentlich in Ehrlichs Arbeit steckt. Der Protagonist, beobachtend und offenbar höchst empathisch, macht sich per Zug auf den Weg zu seiner neuen Arbeitsstelle und beschreibt präzise, was um ihn herum geschieht. An seinem Arbeitsplatz angekommen, nimmt er seine Tätigkeit, nämlich den ‘Aquionic Transformer’, was auch immer das sein mag (er selbst hat keinen blassen Schimmer), zu verkaufen, bald auf, doch die Kundentelefonate sind schon kurze Zeit später keine solchen mehr – eines seiner entfernten Gegenüber erzählt ihm von einem prägenden Erlebnis eines Menschen, der durch ein prägendes Erlebnis eine Erkenntnis gewonnen hat, der wiederum… – nachdem der Protagonist auflegt, kommt sein eigener Moment der Klarheit.

Eventuell (!) klar wird in “Die Seekuh Tiffany”, was die gemeinsam mit seiner Frau unternommene Südamerikareise eines Innenarchitekten mit einem im Aquapark Sealife von einer Seekuh ausgespuckten Kinderkassettenradio mit seltsamen Aufnahmen zu tun hat. Another moment of clarity…?

Diesen Moment erlangt in einer weiteren Kurzgeschichte auch eine Frau, die eigentlich Kandidatin in einer Quizsendung ist – die Antworten, die sie auf vermeintliche Allerweltsfragen des Moderators gibt, bergen eine verstörende Ernsthaftigkeit in sich.

Die Erzählungen wirken skurril, lassen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion mitunter verschwimmen (“Die Intelligenz der Pflanzen – Naturtreue”, Teil 1 und 2), und es zeigt sich in ihnen stets das Individuum auf einer Odyssee nach Wohin-Eigentlich oder Keine-Ahnung – nächste Station: Weißnichtwo.

Doch so wortgewandt und präzise Ehrlich in seinen gelegentlich mit Bildern versehenen Kurzgeschichten  auch vorgeht, so gewollt erscheint die Komplexität der Gedanken. Fast deucht es dem Rezensenten, als sei der Autor zu verkopft an sein Geschriebenes herangegangen. Das liest sich nun paradox, weil das meiste von dem, was zwischen den Buchdeckeln zu lesen ist, eben im Kopf der jeweiligen Hauptfiguren vor sich geht, insofern sollte es ja genau das sein: Verkopft.

Doch diese Verkopftheit wirkt oftmals extrem konstruiert, und im weiteren Verlauf der Lektüre, von Geschichte zu Geschichte, macht sich eine Repetititvität breit – lediglich das Setting und die Charaktere unterscheiden sich voneinander. Das ist insofern schade, weil die Figuren durch das Durchbrechen der jeweiligen Rahmen noch ganz andere Entwicklungsmöglichkeiten gehabt hätten. Doch so ergibt sich das Schema: Plumps, mitten in die Situation hinein/Huch, was mache ich eigentlich hier?/Ich gehe nun (bewusst/unbewusst) neue Wege/Während des Neuen-Weg-Gehens schwupp und weg und Geschichte fertig.

Dieses semi-misanthropisch anmutende “Was soll Mensch eigentlich?”, das man les- und spürbar auf die Menschheit übertragen kann, nämlich “Die Welt ist der Urwald, und der Mensch ist der (ungebetene) Gast darin.”, ist an sich spannend, doch die prätentiös wirkende, gezielte Unfertigkeit der Geschichten, die den einzelnen Leser offenbar durch seine individuelle Interpretationslabyrinthe jagen soll, ermüdet auf Dauer doch sehr. Die Hoffnung, mit der nächsten Kurzgeschichte käme etwas Variation ins Spiel, zerschlägt sich bis zur letzten Buchseite immer wieder, und was bleibt, ist trotz der zuweilen komischen Situationen inmitten der Melancholie ein frustrierend-deprimierendes Gefühl, auf etwas gewartet zu haben, was nie da war. Man fühlt sich als Leser zudem, als habe man in verschiedene Guckkästen geschaut, und nach Ablauf der bezahlten Zeit: Klappe zu, schwarzes Bild.

Cover © Dumont Buchverlag

Wertung: 8/15 dpt

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