Bereits mit seinem Debüt “Das Ende der Liebe – Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit” wusste der heute sowohl in Berlin als auch in Stockholm lebende, 1971 geborene Schriftsteller Sven Hillenkamp schonungslos, analytisch, philosophisch und teilweise erschöpfend und entwaffnend ehrlich zu schreiben, beleuchtete sämtliche Aspekte und Formen der Liebe, ihre Ausläufer, die Ängste, ihren Stellenwert, ihre Auswirkungen, tauchte in Psyche und Körper ein. In “Fußabdrücke eines Fliegenden” geht Hillenkamp noch einen ganzen Schritt weiter und hinterfragt das Leben an sich, das Sein an sich, anhand verschiedener Protagonisten, die sich selbst im Weg stehen, gefangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sich fragend, was, wer, warum sie sind.
Gedanken, Skizzen, Momentaufnahmen sind es, die sich wie aus einer großen Konzentratflasche über den Leser ergießen, in Form von Kurzgeschichten, Prosa und Gedichten, Stück für Stück, anfangs noch beinahe zwei Seiten füllend, immer kürzer werdend, bis am Ende nur noch ein Zeichen vorzufinden ist, der letzte Tropfen der Flasche. Hillenkamp zeigt sich von einer noch philosophischeren Seite und schreckt nicht davor zurück, den Leser in einen tiefen Sog der Ängste, Depressionen und Beklemmnisse zu ziehen, ihn aufzuwühlen, gegen den Strich zu bürsten, das Innere seiner Schädeldecke wundzuschleifen, ihn gar selbst vor existentielle Fragen zu stellen. Hierbei versprachlicht er Materie, materialisiert Sprache, hält dem Rezipienten etwas vor das Gesicht, das ein Spiegel oder eine Glasscheibe sein könnte.
Doch das Geschriebene ist nur oberflächlich negativ, denn es bildet zwischen den Zeilen helle Kontraste, die dem Leser entgegenstrahlen und Klarheit in seine Gedanken bringen, sein Inneres erhellen, weil alle Antworten gegeben zu sein scheinen. Fast scheint es so, als wäre der Grat zwischen Nihilismus und dem erhebenden Gefühl der Klarheit verschwindend schmal. “Fußabdrücke eines Fliegenden” ist speziell, intensiv, anders, von selten hoher Qualität – und es beschäftigt einen noch sehr lange. Sollte schreiberische Kultur in mehreren Jahrhunderten noch eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen, so könnte es gut sein, dass Sven Hillenkamp einer derer sein wird, die literarische Geschichte gemacht haben.
Cover © Klett-Cotta
- Autor: Sven Hillenkamp
- Titel: Fußabdrücke eines Fliegenden
- Verlag: Klett-Cotta
- Erschienen: 2012
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 224
- ISBN: 978-3-608-93964-4
Wertung: 13/15 dpt
Dieser Artikel erschien ursprünglich in noisyNeighbours #36 und wurde vom Verfasser für booknerds.de übernommen. Vielen Dank an dieser Stelle für die Gestattung der Artikelübernahme!