Ute Bales – Keiner mehr da (Erzählungen)

Der vorliegende Erzählband „Keiner mehr da“ von Ute Bales – 2024 im Rhein-Mosel-Verlag erschienen – bietet einen umfangreichen Ausschnitt aus Bales‘ erzählerischem Schaffen.

Die Prosa von Ute Bales ist stets eine sichere Bank, denn die Autorin hat bereits mit dem ersten Satz alles im Griff. Nur wenige Worte reichen und schon ist man mitten drin, in einer neuen Umgebung und/oder einer anderen Zeit. Gleich mit der ersten Erzählung „Stress“ versetzt uns die Autorin einen Schock. Das bis auf die Sekunde durchgetaktete Leben eines berufstätigen Elternpaares wird von ihr bis zur letzten grausamen Konsequenz inszeniert. Ein kritischer Blick auf die Überforderungen unserer modernen Zeit.

Die Erzählungen berühren unterschiedliche Epochen. Mal liegen die Geschehnisse in der Vergangenheit, mal spiegeln sie Gegenwärtiges. In „Amerika“ geht es um Auswanderersöhne und den zurückbleibenden Vater Ende des 19. Jahrhunderts. In „Germany“ lesen wir von den Auswandererträumen eines afrikanischen Jungen, dessen Flucht ein tragisches Ende nimmt.

Immer wieder baut Bales mit ihren Texten Brücken zwischen Gegenwart und Vergangenheit, deckt Parallelen auf und entlarvt Zusammenhänge. In ihren Romanen sind Nationalsozialismus und Nachkriegsdeutschland ein bevorzugter zeitlicher Rahmen. Ein bei ihr häufig wiederkehrendes Thema ist die Kinderlandverschickung, die während des Zweiten Weltkrieges ihren Anfang nahm und bis in die 80er Jahre hinein fortgesetzt wurde – teilweise mit dem gleichen „pädagogischen“ Personal. Mit den Erzählungen „Almuth denkt“, „Hundeelend“ und „Weiße Kaninchen“ widmet sie diesem Thema auch in ihrem Erzählband einen großen Raum. Detailliert zeichnet Bales die Grausamkeit dieser für die Betroffenen traumatisierenden Praxis nach und liefert ein beredtes Beispiel dafür wie sich die NS-Ideologie in der jungen Bundesrepublik fortsetzte.

Viele ihrer Protagonisten sind Außenseiter. Mal handelt es sich um Menschen, die durch ihre Herkunft bzw. ihre persönliche Geschichte am Rand der Gesellschaft stehen (so, wie z.B. in „Überleben“), mal sind es Menschen, die sich durch ihr Verhalten von ihren Mitmenschen entfernen („Olaf W.Putzmann“). Bales porträtiert mit sicherem Einfühlungsvermögen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie Sympathien erzeugt oder nicht. Das Verständlichmachen von Verhaltensmustern, auch solchen, die Schaden anrichten, steht bei ihr immer im Vordergrund. Oft findet in ihren Geschichten eine Konfrontation zwischen Tätern und Opfern statt. Strukturelle Misstände, nicht selten ein Erbe aus geerbten NS-Verhaltensmustern, werden regelmäßig thematisiert.

Einen nicht unerheblichen Teil des Bandes widmet Bales ihrer Heimatregion, der Eifel. Wieder verbindet sie historische und zeitgenössische Ereignisse, diesmal um das Thema Umweltschutz in den Mittelpunkt zu stellen. In „Die Vögel werden weniger“ und „Eine Stunde“ nimmt sie kritisch Bezug auf den Abbau von Bodenschätzen mit seinen verherrenden landschaftsverändernden Folgen, in „Ein Jahrgeding“ berichtet sie von der übermäßigen Rodung im 18. Jahrhundert im Zuge der erwachenden Industrialisierung.

Mit einer Reihe von Miniaturen am Ende des Bandes setzt sie historischen Persönlichkeiten aus der Eifel ein literarisches Denkmal, so z.B. dem Dichter Peter Zirbes, dem Maler Pitt Kreuzberg und der Künstlerin Lydia Weber sowie dem Künstler Mario Reis.

Der Erzählband ist ein gelungenes Lesebuch, ergänzend für alle, die das Werk der Autorin Ute Bales noch besser kennenlernen mögen, einführend für alle, die sich für ihre Romane interessieren.

  • Autorin: Ute Bales
  • Titel: Keiner mehr da
  • Verlag: Rhein-Mosel-Verlag
  • Erschienen: September 2024
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 256 Seiten
  • ISBN: 978-3898014779

Wertung: 13/15 dpt

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