Carl Nixon – Settlers Creek (Buch)

Kulturen prallen aufeinander

Box Saxton könnte ein glücklicher Mann sein. Verheiratet mit Liz, Tochter Heather ist fünfzehn, Stiefsohn Mark neunzehn. Es ist noch nicht lange her, da war Box ein erfolgreicher Bauunternehmer mit vielen Angestellten und Subunternehmen, die Kinder gingen auf Privatschulen. Dann kam die Rezession, der Immobilienmarkt brach zusammen, fertiggestellte Projekte konnten nicht mehr veräußert werden. Es war die Zeit der Banken und Kredithaie. Firma, Haus, Auto; plötzlich war alles weg. Jetzt schlägt sich Box als eine Art Tagelöhner auf dem Bau durch, umgeben von Kollegen, die lieber Bier trinken denn arbeiten. Da eine Gewitterfront aufzieht, muss die Arbeit an einem neuen Schuldach abgebrochen werden. Box wird auf eine andere Baustelle berufen, doch dann erhält er einen Anruf seiner Frau, den niemand erhalten möchte. Mark, sein geliebter Stiefsohn, hat sich das Leben genommen.

„Wir haben es hier mit einer äußerst delikaten Situation zu tun. Es gilt, eine Reihe von kulturellen Faktoren zu berücksichtigen.“

„Der Maori-Kultur?“

„Ja.“

„Und was ist mit der Kultur, der ich mich zugehörig fühle?“

Box eilt zurück nach Christchurch, wo ihn wenig später der nächste Schock erwartet, denn Liz hat Stephen Sullivan, Marks leiblichen Vater, über den Todesfall informiert. Stephen, ein Maori, nennt sich seit längerer Zeit wieder Tipene Pitama und hat Mark zuletzt gesehen, als dieser ungefähr drei Jahre alt war. Eine Stammessitte der Maori besagt, dass die Angehörigen auf ihrem Grund bei den Ahnen beigesetzt werden. Ein Unding für Box, zumal die Beisetzung bereits abschließend vorbereitet ist. Doch unmittelbar vor der kirchlichen Beerdigung wird Marks Leichnam von Tipenes Leuten aus dem Leichenschauhaus entführt. Box, in vieler Hinsicht bereits reichlich mitgenommen, trifft eine folgenreiche Entscheidung.

Vielschichtige Reise durch Neuseeland

Carl Nixon überzeugte zuletzt mit seinem ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Roman „Kerbholz“, der es auf die Krimibestenliste schaffte. Nun legt der Unionsverlag mit „Settlers Creek“ ein weiteres Buch des Autors vor, welches 2013 erstmals im Weidle Verlag erschienen ist. Es ist ein vielschichtiges Werk, das viel über Neuseeland, seine Landschaften und seine Menschen erzählt, vor allem aber über zwei unterschiedliche Kulturen.

„Offen gesagt ist meine Hauptsorge, dass Ihnen etwas passieren könnte, wenn Sie zu lange in der Stadt rumhängen. Die Maori wären ganz und gar nicht begeistert, wenn Sie etwas so Bescheuertes täten wie in ein Tangi auf dem Marae reinplatzen, à la Charles Bronson.“

„Mir war Clint Eastwood immer lieber.“

In Governors Bay, wo Mark beigesetzt werden soll, hat die Familie Saxton noch immer Landbesitz. Seit mehreren Generationen wurde das Farmland bewirtschaftet, Großmutter Dee betreibt noch heute einen Teil der Obstplantage. Doch die Zeiten haben sich geändert, große Grundstücke wie jenes der Saxtons sind rar geworden, stattdessen reihen sich zahllose kleine Parzellen mit ebensolchen Gebäuden aneinander. Menschen, die es sich leisten können, wohnen hier am Stadtrand und genießen den Meerblick. Box hat es als Unternehmer versucht, ganz nach oben geschafft und fiel durch die Rezession zurück nach ganz unten. Alles verloren, der Frust sitzt verständlicherweise tief, hohe Schulden drücken außerdem.

Stephen, der wieder den Maori-Namen Tipene trägt, geht es deutlich besser. In Kaikoura hat er ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut. Den vielen und vor allem zahlungskräftigen Touristen werden Bootsausflüge angeboten, Delfine sind eine der Hauptattraktionen. Die kleine Stadt ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, von der Rezession ist hier nichts zu spüren.

So unterschiedlich wie die Berufswege von Box und Tipene sind deren kulturelle Wurzeln. Dass dabei Welten aufeinanderprallen überrascht nicht. Man lebt zwar grundsätzlich einvernehmlich und friedlich zusammen, sogar Box kann zunächst eine gewisse Sympathie für Tipene entwickeln, doch spätestens bei traditionellen Riten wird die Sache ernst. Mark ist dank seines Vaters ein geborener Maori, daher ist eine Zeremonie zur Überführung in das Land seiner Ahnen zwingend. Box, der nicht sein leiblicher, aber zeitlebens sein „realer“ Vater war, sieht dies naturgemäß anders und will eine kirchliche Beisetzung.

Die Widersprüche Neuseelands an sich und jene, die die beiden unterschiedlichen Väter in sich vereinen, werden von Carl Nixon auf wunderbare Weise herausgearbeitet. Wer das Land und seine tief verwurzelten Gegensätze kennenlernen möchte, darf gerne zugreifen. Die Gegenüberstellung von Land- und Stadtbevölkerung fließt ebenfalls ein, wobei man – in Erinnerung an „Kerbholz” – erwähnen sollte, das „Settlers Creek“ kein Krimi ist, wenngleich die Geschichte an sich schon (auf verschiedene Arten) spannend ist und es zu einigen unschönen, sprich gewalttätigen Szenen kommt.

  • Autor: Carl Nixon
  • Titel: Settlers Creek
  • Originaltitel: Settlers‘ Creek. Aus dem Englischen von Stefan Weidle
  • Verlag: Unionsverlag
  • Umfang: 352 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Februar 2025
  • ISBN: 978-3-293-71035-1
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt

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