
Mit einem Burn-out landet der theoretische Physiker Robert in einer psychiatrischen Klinik. Seine Forschungen zur Zahl 137 haben ihn an die Grenzen seines Verstandes gebracht. Mehr noch, er ist besessen davon, das mathematische Geheimnis lösen zu wollen.
Becker greift in seiner Novelle “Das Geheimnis der 137” auf eine real existentierende mathematische Fragestellung zurück. Die in der Wissenschaft als „Feinstrukturkonstante α“ bekannte Zahl beschäftigt Forschende seit Jahrzehnten. Für Robert, den Protagonisten in der Novelle, wird das Geheimnis um das mathematische Rätsel zur existientiellen Frage nach dem Sinn der Welt. Sie erscheint ihm als eine Art „Weltformel“, deren Lösung unmittelbar bevorsteht.
Der Klinikaufenthalt, der ihm Entlastung schenken und innere Stabilität zurückgeben soll, erweist sich bald als ein Fehler. Die Gespräche und Begegnungen mit Mitpatienten münden in Irritationen. Mehr und mehr verliert Robert seinen inneren Kompass. Die Grenzen zwischen Vernunft und Wahnsinn lösen sich auf und sind bald auch für die Leser:innen nicht mehr klar zu erkennen. Die Klinik zu verlassen erscheint auf den ersten Blick vernünftig und erweist sich dennoch als tragische Fehleinschätzung …
Roberts Geschichte liefert den roten Faden einer Handlung, die von ständigen Einschüben unterbrochen wird, die in Form von Träumerzählungen anderer Personen, Erinnerungen und Halluzinationen stattfinden. Diese verwirren nicht nur die Hauptfigur Robert, sondern auch uns, die Lesenden. Becker inszeniert die wachsende Verzweiflung seiner Hauptfigur in düsteren Bildern. Es entsteht ein Szenario, das unaufhaltsam ins Unkontrollierbare abrutscht. Die Leser:innen erleben ein Setting, das mehr und mehr an Realitätsbezug verliert.
Durch seine nüchterne, fast schmucklose Prosa erzeugt Becker eine eigentümlich emotionale Distanz, die das zunehmend Surreale der Situation unterstreicht. Trotz wiederholter Versuche gelingt es der Hauptfigur Robert nicht, Zugriff auf die ihn umgebende Realität zurückzugewinnen. Im Gegenteil: Die Gespräche, mit denen er sich selbst positionieren möchte, liefern keine Klarheit. Die geführten Dialoge wirken zunehmend konstruierter. Verhaltensweisen, auf die Robert trifft, haben längst jede Kompatibilität mit der Realität verloren.
Beckers Novelle ist hochgradig unbequem. Er schickt die Leserschaft durch seinen Text wie durch eine Versuchsanordnung. Vorhandene und inszenierte Widersprüche bleiben unaufgelöst. Sie in Einklang mit der eigenen Realität zu setzen, ist der Auftrag, den er seinen Leser:innen überträgt. Das „Geheimnis der 137“ erweist sich als eine Aufgabe, die nicht gelöst, sondern ausgehalten werden muss. Becker verlangt seinen Leser:innen einiges ab. Die Lektüre ist ein düster-philisophisches Sinnspiel ohne Versprechen auf Antworten.
- Autor: Markus Becker
- Titel: Das Geheimnis der 137
- Verlag: edition federleicht
- Erschienen: November 2024
- Einband: Broschiert
- Seiten: 115 Seiten
- ISBN: 978-3689350079

Wertung: 11/15 dpt