Zwölf Jahre nach dem gefeierten Roman „Americanah“ erscheint jetzt das neue Buch der nigerianisch-amerikanischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie mit dem Titel „Dream Count“. Längst gilt sie als eine der wichtigsten feministischen Stimmen der aktuellen Literatur und spätestens seit ihrem TED Talk „We should all be feminists“ (2012), der auf Youtube mehr als 5 Millionen Aufrufe hat, sollte die 1977 geborene Autorin selbst Lesemuffeln bekannt sein. Doch hat sich die lange Wartezeit auf den neuen Roman gelohnt?
Worum geht’s ?
Das Buch erzählt von vier nigerianischen Frauen, die zeitweise oder inzwischen dauerhaft in den USA leben. Ihre Biographien sind dabei ganz unterschiedlich, ihre Leben miteinander verknüpft. Chiamaka, kurz Chia, stammt aus der nigerianischen Oberschicht und lebt in den USA. Sie wählt sich den Beruf der Reiseschriftstellerin und versucht, ihre Artikel an Onlinemagazine zu verkaufen. Chia ist das Bindeglied zwischen den Freundinnen: Omelogor ist Chias Cousine, hat in den USA studiert und lebt als Bankerin in Lagos, Nigeria. Zikora ist Anwältin in Washington D.C. und Chias beste Freundin. Kadiatou arbeitet als Haushälterin bei Chia und als Zimmermädchen in einem Hotel.
Das Buch gliedert sich in vier Teile, die jeweils aus der Sicht der Figur erzählt werden. Inhaltlich verbindende Elemente sind zum Beispiel die Hochzeit der Coronakrise, Reflexionen über das eigene Leben im Lockdown sowie ein Übergriff, der alle Frauen schockiert und in Solidarität vereint: Kadiatou wird in dem Hotel, in dem sie als Zimmermädchen arbeitet, von einem prominenten Mann vergewaltigt. In gemeinsamen Videocalls versuchen die Freundinnen, eine bestmögliche Strategie für Kadiatou zu finden, um sie vor der Öffentlichkeit zu schützen und Rechtsbeistand zu leisten. Angelehnt ist diese Episode an den Übergriff von Dominique Strauss-Kahn, der 2011 durch die Presse ging, wie die Autorin selbst in einem Nachwort erläutert.
Ganz besonders in Erinnerung bleibt neben Kadiatou die Figur der Omelogor: Sie hat sich im männlich dominierten Bankwesen Nigerias an die Spitze gekämpft und hilft ihrem Boss dabei, korrupte Geschäfte zu verschleiern. Nebenbei baut sie sich im Geheimen aus abgezweigten Geldern, die niemand vermisst, ein eigenes Business auf: „Robyn Hood“ ermöglicht Frauen in Nigeria, eigene Geschäftsideen zu verwirklichen. Sie schreibt ein Blog, das sich an Männer richtet und weibliche Sexualität thematisiert. Omelogor ist clever, mächtig, reich und doch manchmal verloren, was die Figur besonders authentisch und spannend macht. Chiamaka, die den Rahmen des Buches bildet, kommt im Vergleich zu den anderen Charakteren etwas naiv und süßlich daher: Fast alles in ihrer Story dreht sich um vergangene Liebschaften, was ihren Plot stellenweise etwas langatmig und einseitig macht. Aufgrund ihrer Fähigkeit, ihre Freundinnen wie Familie zu behandeln und bedingungslos für sie da zu sein, gewinnt man Chia beim Lesen allerdings doch recht schnell lieb.
Stärken & Schwächen des Buchs
Wer noch nie etwas von Chimamanda Ngozi Adichie gelesen hat, wird sicherlich von „Dream Count“ begeistert sein: Wie gewohnt überzeugt die Autorin mit starken Charakteren, berührenden Biografien und erzählt so, dass Leser*innen das Buch kaum aus der Hand legen können. Sprachlich wieder schnörkellos und leicht, manchmal messerscharf formuliert und mit einer Prise Humor verfeinert, findet Chimamanda Ngozi Adichie wieder ihren ganz speziellen Ton, der an alle Emotionen appelliert: Man lacht mit den Freundinnen, die Igbo-sprechend miteinander telefonieren, damit niemand im Supermakt lauscht, wenn sie sich über Hamsterkäufer amüsieren. Man fühlt mit Chia, die sich danach sehnt, „von einem anderen Menschen erkannt zu werden“ und leidet mit Omelogor, die sich beim Studium in Amerika einfach fremd fühlt.
Wer bereits andere Bücher von Chimamande Ngozi Adichie gelesen hat, wird vielleicht hier und da etwas Tiefgang vermissen. Die ersten Seiten des Buches führen direkt alle Figuren ein, was verwirren kann, und spielen im Lockdown, sodass zunächst der Eindruck entsteht, dass die Handlung recht banal verläuft. Nach dem Einstieg entspinnt sich der Plot allerdings gewohnt klug und filigran, sodass sich das Weiterlesen auf jeden Fall lohnt. Fraglich bleibt, ob deutsche Leser*innen mit dem Begriff „Dream Count“ etwas anfangen können, dessen Bedeutung am Ende des Romans doch noch aufgelöst wird.
Fazit
Wer Romane über Freundschaft mag, wird „Dream Count“ lieben. Wie bei Margaret Atwoods „Räuberbraut“ entwickelt sich beim Lesen schnell das intime Gefühl, Teil der Freundinnengruppe zu werden. Chimamanda Ngozi Adichies Figuren sind inspirierend, kraftvoll und bunt: Einfach phantastisch, wie ihre Charaktere wieder zwischen den Welten der nigerianischen Tradition und dem heutigen Amerika jonglieren. Ein Roman, der mit all seinen Sehnsüchten so gut in unsere Zeit passt, findet sich selten!
Wer mehr über die Autorin erfahren möchte, der kann sich die Folge des Podcasts “Autorinnen im Porträt” über Chimamanda Ngozi Adichie anhören, in der ich mit meiner Kollegin Mariann über die Schriftstellerin spreche: Hier geht es zum Podcast
Weitere Rezensionen:
Lest auch die Rezension zu “Americanah” von meinem Kollegen Philipp Hoffmann sowie zu “Liebe Ijeawele, …” von Ann-Sophie Ruf auf Booknderds.de.
- Autorin: Chimamanda Ngozi Adichie
- Titel: Dream Count
- Originaltitel: Dream Count
- Übersetzer: Aus dem Englischen von Asal Dardan und Jan Schönherr
- Verlag: S. Fischer Verlage
- Erschienen: 4. März 2025
- Einband: Hardcover mit Lesebändchen
- Seiten: 528
- ISBN: 978-3-10-397662-5
- Sonstige Informationen:
Produktseite

Wertung: 13/15 dpt