Schauspieler, Freiheitskämpfer und Nationalheld in “Linges Mission”

Dezember 1991. Im Norske Teatret in Oslo wird ein Stück über den Nationalhelden Martin Linge vorbereitet, doch Theaterchefin Gerd Hovden ist mit dem Skript nicht zufrieden. Daher soll Bjørn Sjøvåg dem Stück einen letzten Feinschliff geben, denn Bjørn war ein enger Gefolgsmann von Linge im Kampf gegen die Deutschen vor fünfzig Jahren.
Ende April 1940 wird Linge bei der Bombardierung von Åndalsnes schwer verletzt. Ein Lazarettschiff bringt ihn nach England, wo ihn der Seemannspastor Alf van der Hagen „entdeckt“ und den Kontakt zu Oberst Colin Gubbins herstellt. Gubbins leitet eine streng geheime Abteilung der Spezial Operations Executive, SOE, und Linge soll für ihn eine norwegische Spezialeinheit aufbauen und führen. Diese soll vor allem Sabotageakte durchführen, so auch im März 1941 bei der Operation Claymore. Zunächst wird eine Heringsölfabrik und deren Tanker in Svolvaer vernichtet, da das Öl für die Dynamitproduktion in Deutschland von großem Wert ist. Als sich Linge entgegen seinem Befehl zudem auf den Weg nach Kabelvag macht, trifft er den erst siebzehnjährigen Bjørn, der ihn fortan begleiten wird. In Kabelvag gelingt es Linge, in den Besitz einer Enigma-Chiffriermaschine nebst Coderädern zu gelangen, so dass England fortan die Meldungen der Deutschen entschlüsseln kann.
„Sie wissen, dass mir hier in der Kirche eine Menge völlig unterschiedlicher Menschen begegnen. Und ich habe mit den Jahren ein Gespür für die Gattung der notorischen Streithähne entwickelt. Linge ist der Einzige in der Riege, den ich mit dem Wort Querulant mit großem Q beschreiben und es als Kompliment meinen würde.“
In London lernt Linge die junge Krankenwagenfahrerin Rosemary Reed kennen, in die er sich unsterblich verliebt. Sie will jedoch nicht, dass ihr mehr als doppelt so alter Freund sich erneut in Gefahr begibt, doch Linge will Norwegen von den Deutschen befreien. Dabei liegt er im Dauerclinch mit seinem Vorgesetzten John Durnford-Slater, aus dessen Sicht Linge ein Querulant ist, der sich permanent über seine Befehle hinwegsetzt. Aber die Truppe hält fest zum „Chef“, dessen Erfolg bei der Enigma-Maschine ihm zudem Respekt von allerhöchster Stelle verschafft hat. Während der nächste Einsatz auf sich wartet, ergibt sich ein weiteres Problem. Die norwegische Exilregierung in London möchte über die Schritte der Englänger informiert werden, da die Sabotageakte die heimische Zivilbevölkerung gefährden. Aber darauf kann und will sich Linge nicht einlassen.
(Keinesfalls nur) für Fans von Mechthild Bormann ein Tipp
Øystein Wiik, von dem bereits Kriminalromane bei dtv erschienen sind, hat mit „Linges Mission“ einen packenden Spionageroman geschrieben. Dieser springt in den Handlungen zwischen den Jahren 1991/92 und 1940/41. In der Gegenwart des Jahres 1991 begegnet der inzwischen 67-jährige Bjørn der großen Liebe von Linge, Rosemary Reed, am Theater wieder. Beide ringen mit sich, wie sie ihrem Helden gedenken können und wie weit sie zu gehen bereit sind, um auch ihre Rolle öffentlich zu machen. Aus unterschiedlichen Gründen hielten beide diese bislang zurück. Doch eine Geschichte über Linge ohne Rosemary ist erscheint nicht möglich; und auch nicht ohne Bjørn.
Als Krankenwagenfahrerin ist Rosemary ehrenamtlich tätig und sammelt während der deutschen Luftangriffe unter großer Gefahr die Verletzten ein. Auf diese Weise lernt sie Linge kennen, den sie versehentlich anfährt. Danach entwickelt sich eine außerordentliche Liebe, die allerdings von Linges Tätigkeit bei der SOE überschattet wird. Immer wieder bekniet Rosemary ihren Freund, kein Risiko einzugehen, er möge bitte vor allem an sie respektive ihre gemeinsame Zukunft denken. Operationen könne er zudem gefahrlos von London leiten. Aber Linge will bei seinen Männern sein und sucht den Kick. So nimmt er im Dezember 1941 an einem Angriff auf Måløy teil, der ihn – inzwischen 47 Jahre alt – das Leben kosten wird. Kein Spoiler: Damit beginnt der Roman.
„Es ist kein Verrat, mit Norwegens Regierung zusammenzuarbeiten.“
„Wenn meine Jungs sterben, weil Informationen durchsickern, ist das schlimmer als Verrat.“
Martin Linge war zunächst Schauspieler, geriet aufgrund seines Temperaments schon früh mit seinen Chefs aneinander. Später folgt seine Tätigkeit beim SOE, über den der vorliegende Roman erzählt. Große Erfolge, hohe Auszeichnungen und Kameraden, die ihm blind vertrauen, aber immer wieder Konflikte mit den Vorgesetzten und der Disput mit der Exilregierung. Es sind diese Konflikte neben jenen des Privatlebens, die den Roman tragen. Die Loyalität zur SOE und den Kameraden gegen Vorgesetzte, die zweifelhafte Befehle erteilen. Die Englänger wollen mit gezielten Sabotageakten die Deutschen empfindlich treffen, wobei ihnen die Konsequenzen für die Einheimischen, die anschließend brutalsten Racheaktionen zum Opfer fallen, egal sind. Und dann wäre da noch die lang ersehnte Invasion in Norwegen, denn allein dafür leben und trainieren seine Männer.
Dem Krieg und der Entschlusskraft seines Helden setzt Wiik die Liebe entgegen. Dies gilt nicht nur für Rosemary, auch Bjørn empfand ähnlich für ihn. Wiik, der ebenfalls ein bekannter Schauspieler ist, was ihn mit seinem Helden verbindet, zieht in seinem Nachwort den Bogen zu einem weiteren Schauspieler, der in unserer Zeit fest entschlossen für die Freiheit seines Landes kämpft: Wolodymyr Selenskyj.
Im herausgebenden Pendragon-Verlag erscheinen die sehr lesenswerten Romane von Mechthild Borrmann, die nach einem ähnlichen Muster komponiert sind. Auch bei ihr wechseln sich Gegenwart und Vergangenheit (oft 1930er und 1940er Jahre) ab bis am Ende der große Paukenschlag kommt. Im vorliegenden Fall ist es die Antwort auf die Frage, wie Martin Linge starb.
- Autor: Øystein Wiik
- Titel: Linges Mission
- Originaltitel: Flammer og Regn. Übersetzt von Maike Dörries und Günther Frauenlob
- Verlag: Pendragon
- Umfang: 384 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Februar 2025
- ISBN: 978-3-86532-899-1
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Wertung: 12/15 dpt