Tom Sacher – Der Fotograf der Kaiserin (Buch)

Intrigen, Spionage, Anarchisten und ein Mord

Ende Oktober 1882. Seit rund drei Monaten arbeitet die siebzehnjährige Liesel aus Bayern am Wiener Hof und soll nun im Auftrag der Kaiserin Sisi mit der Kutsche nach Mayerling reisen, um dort Erzherzog Ludwig einen geheimen Brief zu überreichen. Dass Liesel, die zuvor überwiegend als Kuhhirtin arbeitete, eine Analphabetin ist, prädestiniert sie für die Aufgabe. Als sie eine Unterbrechung der Kutschfahrt für einen Ausreißversuch nutzt und dabei einen römischen Tempel entdeckt, stolpert sie geradewegs in die Arbeit des kaiserlichen Hoffotografen Viktor Angerer hinein, der Tatortfotos für die Gendarmerie von Alland machen soll. Kein Geringerer als Ernst Fácánkert, Schauspieler und Geliebter des Erzherzogs, wurde erschossen. Schnell kommt es zu einem Kompetenzgerangel zwischen Gendarmerie-Major Vösenhuber und Graf Oberst Lilienfeld von der militärischen Geheimpolizei.

Ein Täter ist rasch gefunden. Ein Ungar, der mit einem Gewehr in der Nähe des Tatorts aufgeschnappt wurde, soll es gewesen sein. Dieser, so die Vermutung, gehört zu jenen Anarchisten, deren Anführer Ferenc László erst vor wenigen Tagen verhaftet wurde, nachdem er Gräfin Tolna, der Lieblingshofdame von Sisi, in Bad Ischl wertvollen Schmuck stahl. Als sich Angerer und Sisi später am Tag noch einmal die Umgebung des Mordschauplatzes ansehen, entdecken sie einen Uniformknopf, der jenem entspricht, der Oberst Lilienfeld an seiner Uniform fehlt.

„Das ist Goethe. Faust.“

Ich kenne keinen Goethe.“

„Der ist auch schon sehr, sehr lange tot. Das war lang vor deiner Geburt, dass er verstorben ist.“

„Dann ist es ja auch kein Wunder, dass ich noch nie von ihm gehört habe.“

Am nächsten Tag nimmt Liesel an einer Jagd teil und wird durch eine vermeintlich verirrte Kugel getroffen. Sie und Angerer vermuten einen gezielten Angriff und ermitteln auf eigene Faust, denn im Schlangennest des Wiener Hofes ahnt niemand, wer auf wessen Seite steht und welche Interessen verfolgt. Schließlich gehen sich ja selbst „Engelchen“ Sisi und „Eselchen“ Franz Josef so gut es geht aus dem Weg.

Fundierter Einblick in die Welt am Wiener Hof

Tom Sacher alias Michael Seitz glänzt mit großem Wissen über die Kaiserzeit der 1880er Jahre. Das eigentliche Drama von Mayerling respektive Kronprinz Rudolf ereignete sich erst 1889 und bleibt somit selbstredend außen vor, gleichwohl nehmen der Kronprinz und Mary Vetsera hier Nebenrollen ein. Zunächst müssen sich „Unkundige“ im Gestrüpp zahlreicher Namen und Kosenamen am Kaiserlichen Hof zurechtfinden. So wird Erzherzog Ludwig, der jüngste Bruder von Franz Josef, aufgrund seiner bekannten Homosexualität oft „Luziwuzi“ genannt, Liesel hört derweil auf „Lieselliesel“, was auf Dauer ein wenig anstrengend ist. Ein Personenregister wäre hilfreich und die Abbildung eines Stammbaums schön gewesen. Außerdem wird der Pluralis Majestates verwendet, was wiederum eher unterhaltsam, denn gewöhnungsbedürftig ist. Amüsant ist auch die Rede vom allerhöchsten Kaiser von Österreich und König von Ungarn. Gab es zeitgleich noch weitere Kaiser?

„Ich denke, du hast schon von ihr gehört, Kaiserin Elisabeths Liesel, daher die Lieselliesel.“

Liesel, wie erwähnt Analphabetin, findet sich nur schwer mit dem Leben am Hofe und den strengen Regularien inklusiver züchtigender sprich schlagender Methoden zurecht. Sie ist als einfache Bauerndirne die harte Arbeit am Hof und mit den Tieren gewohnt, lief meist barfuß durch die Gegend, ein eigenes Kleid hatte sie nie. Nun darf sie immerhin ein altes Kleid von Sisi tragen, wobei das dazugehörige Korsett ihr den Atem raubt. Ihre nicht vorhandene Bildung gleicht sie durch Kühnheit und Bauernschläue aus, wobei sie gern verbal in das eine oder andere Fettnäpfchen tritt. Zunächst unbemerkt wird sie auch zu einer wichtigen Figur in einer Verschwörung respektive Spionagegeschichte gewaltigen Ausmaßes. Der vermeintliche Attentäter ist bekanntlich ein Ungar, vermutlich gar ein Anarchist mit Umsturzgedanken. Was, wenn er den Erzherzog, der das eigentliche Ziel gewesen sein dürfte, getroffen hätte? Gäbe es dann einen Krieg zwischen Österreich und Ungarn? Und wie würden sich dann Russland und Deutschland verhalten?

„Die einzige von uns beiden, Frau Gräfin, die Angst davor hat, tief zu fallen, sind Sie. Eine Kuhhirtin hat nämlich immer ein Auskommen. Sie kann als Dirne arbeiten und als Kellnerin in einer Poststation, weil sie sich für keine Arbeit zu schade ist. Aber eine Dame … Was kann eine Dame schon? Außer Kleider vorführen und über alles und jeden lästern, der sich nicht an die spanische Etikette hält?“

Man darf den Roman mit unterhaltsamen Augenzwinkern lesen, denn das Gespann Liesel/Angerer sorgt für kurzweilige Unterhaltung. Man muss aber aufmerksam lesen, denn die Intrigen, welche zu Tage treten, sind kaum auf Anhieb zu durchschauen. Ein guter Mix, nicht nur für Sisi-Fans.

  • Autor: Tom Sacher
  • Titel: Der Fotograf der Kaiserin
  • Verlag: Gmeiner
  • Umfang: 320 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Februar 2025
  • ISBN: 978-3-8392-0763-5
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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