Ein merkwürdiger Vorfall

Basel. Juni 1939. Überraschend gibt Professor Merian seinem Hausmädchen Henriette den Sonntagabend frei. Später beobachtet diese einen Streit im Gartensaal, den ihr Dienstherr mit einem kleineren Mann hat. Am nächsten Morgen darauf angesprochen, will Merian davon nichts wissen. Es gab keinen Besuch, gleichwohl ein fremder Fedora noch an der Garderobe hängt. In der Confiserie Schiesser berichtet Henriette ihrer Tante Rosa den Vorfall. Dabei sind auch Rosas Chef Max und dessen Freund Simon anwesend. Den Dreien ist schnell klar, dass hier etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein muss, was man womöglich untersuchen sollte.
„Wer nichts waget, der darf nichts hoffen.“
„Schiller, das hab ich erkannt.“
„Du kennst Schiller?“
„Nicht persönlich.“
Am nächsten Tag besucht Kommissär Staehelin seinen Neffen Max und fragt diesen, ebenso wie Rosa und Simon, über den Besuch von Henriette aus, denn nach deren Rückkehr fand sie den Professor niedergeschlagen in seinem Haus vor. Einbruchspuren gab es keine und nur Henriette und Merian selbst hatten einen Schlüssel. Gestohlen wurde offenbar nichts, allein der Hut ist weg.
„Ich hab’s!“, entfuhr es Simon so laut, dass sich am Nebentisch zwei ältere, kadaverblasse Damen, die einen unangenehm aufdringlichen Kampfergeruch verströmten, agassiert umblickten.
Merian kommt ins Spital und kann sich an nichts erinnern, während das ungewohnte Quartett in die „Ermittlungen“ einsteigt. Als wenige Tage später an der Uferstraße eine Leiche eines kleineren, jüdischen Mannes angespült wird, der offensichtlich erschossen wurde, scheint die Sache klar. Da muss es ja wohl einen Zusammenhang geben. Allerdings passt hier gar nichts zusammen. Schon bald geht es um geflüchtete Juden in der Schweiz, Kunstwerke und Kunstraub sowie ein Verbrechen, welches beinahe unaufgeklärt bleibt.
Das chaotische Ermittler-Quartett sorgt für Heiterkeit
Nach „Ausgespielt“ ist der vorliegende Roman der zweite aus der Reihe um ein höchst ungewöhnliches Quartett. Tante Rosa, die ihre Küchenweisheiten zum Besten gibt; Germanist Simon, der gerne Zitate aus der Weltliteratur einfließen lässt; Max, der es nicht lassen kann, seinen Freund, einen jüdischen und homosexuellen Emigranten, der auf ein Visum für Amerika wartet, zu frotzeln und – last but not least – Kommissär Staehelin, der in kaum messbarer Geschwindigkeit eine Erkenntnis nach der anderen raushaut, selbst wenn diese noch so absurd erscheint.
„Würden zwei Leinwandhelden so sinnlos im Nebel stochern wie wir beiden Hübschen, würdest du ohne Rücksicht auf die anderen Zuschauer enerviert vor dich hin stöhnen oder lautstark auf diesen dämlichen Krimi schimpfend das Kino verlassen.“
Staatsanwalt Häberli, der sich wöchentlich mit zwei weiteren Freunden bei Merian zum Jassen traf, macht Druck, wodurch die Kartenspieler selbst ins Visier der Ermittlungen geraten. Es stellt sich heraus, dass Merian einen Tag vor dem Streit im Gartensaal, stolze vierhunderttausend Franken abgehoben hat. Doch wofür und wo ist das Geld geblieben? Wie erwähnt geht es um Kunstwerke, die hier ebenfalls eine Rolle spielen.
„Abgehängt“ ist als Kriminalroman tituliert. Allerdings sind die „Ermittler“ und auch ausdrücklich der Kommissär nicht die allerhellsten Kerzen auf der sprichwörtlichen Torte. Es wird zitiert, gefrotzelt und fantasiert, was die wirren Gedanken halt so hergeben. Folglich artet selbst das Finale in ein ungeahntes Desaster aus. Wer also einen „richtigen“ Krimi, sprich einen Krimi mit nachvollziehbarer Ermittlungsarbeit sucht, welche den Gesetzen der Logik wenigstens ansatzweise folgt, ist hier falsch. Wer hingegen einen Krimi der Marke Kluftinger und Co sucht, kann zugreifen und wird sich köstlich amüsieren. Nicht zuletzt, weil Autor Thomas Blubacher ein großer Sprachkünstler ist.
Ohne sich merkliche Mühe zu geben, eine hämische Grimasse zu unterdrücken, eilte Wachtmeister Gelzer voran, öffnete die Tür und liess mit dem gewohnten Byzantinismus den beiden Höherrangigen den Vortritt.
- Autor: Thomas Blubacher
- Titel: Abgehängt
- Verlag: Zytglogge
- Umfang: 216 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Februar 2025
- ISBN: 978-3-7296-5187-6
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