Isabelle Lehn – Die Spielerin

Die Nachrichtenagentur ddp suchte händeringend nach Geldgebern und erhielt von einer eigenen Mitarbeiterin aus der Telefonakquise einen Kontakt zu einem Investor – der allerdings niemals zahlte. Die Folge: Die Nachrichtenagentur meldete 2004 Insolvenz an. Als sich Jahre später herausstellt, dass eben diese recht unscheinbare Mitarbeiterin mit der kalabrischen Mafia eng zusammenarbeitete und festgenommen wurde, liegt der Verdacht nahe, dass der vermeintliche Investor ebenfalls über die Mafia ins Spiel gebracht worden war. So ist es tatsächlich geschehen – eine Geschichte, wie sie auch in einem Roman stehen könnte. Hat sich auch Schriftstellerin Isabelle Lehn gedacht und die Realität als Grundlage für ihren Roman „Die Spielerin“ genommen. Wie wird eine zierliche, unscheinbare Frau aus der niedersächsischen Provinz eine große Nummer bei der Mafia? Regelt deren Finanzen, betreibt Geldwäsche im richtig großen Stil?

Bei Isabelle Lehn heißt die unauffällige Frau kurz und sachlich A. Genau so kühl und distanziert wie diese Benennung ist, so kühl und distanziert erfahren die Leser:innen auch ihre Geschichte. Gleich mehrere verschiedene Menschen blicken von außen auf die Spielerin und schildern das Geschehen aus ihrer subjektiven und auch verzerrten Perspektive. Und wenn wir zu Beginn auch noch nicht wissen, wer in diesem Prolog spricht, so gibt dieser gleich einen Ratschlag mit:

Man muss die losen Fäden gut festhalten, um auch den Rest des Knäuels zu entwirren. Mehr als das Ende hat man nicht in der Hand, und rechts und links von uns ist man sich sicher: A. muss gewusst haben, was sie da tat.

A. fühlt sich im niedersächsischen Einbeck und ihrer unspektakulären Beziehung mit ihrem Freund eingeengt und geht nach Zürich, um dort bei einer deutschen Großbank im Investmentbereich zu arbeiten. Gnadenlos unterschätzt von ihren durchweg narzisstischen, lauten männlichen Kollegen und Vorgesetzten, passt sie sich den Gegebenheiten an und nutzt diese geschickt für sich. Führt brav Protokolle, arbeitet viel und eignet sich dabei aber unbeobachtet das Fachwissen an, dass sie später zu erfolgreichen Investmentbankerin werden lässt. Eine Tätigkeit, bei der dann irgendwann – wie bei allen in diesen Bankgeschäften – die Moral über Bord geht.

Die Eltern, ein entfernter Kollege, der Besitzer der Nachrichtenagentur, ein Journalist, sie alle werfen einen Blick auf A. und interpretieren, was geschehen ist und wie A. gehandelt hat. Dabei sagen die Schilderungen auch sehr viel über die jeweiligen Erzählenden aus. Den direkten Blick in die Gedanken von A. wird den Lesenden verwehrt. So bleibt man seltsam weit entfernt von ihr und erkennt dennoch das System, mit dem sie die Strippen zieht: Sie nutzt die Unterschätzung, den Egoismus und die Dummheit ihres Umfelds, um sich die Kontakte zu verschaffen, die ihr bei ihrer Karriere hilfreich sind. Auch wem die Welt der Banken und Finanzen, der Hedgefonds und der Derivate fremd ist, versteht, wie manipulativ A. sich ihren Weg bahnt.

Fazit:

Isabelle Lehn schreibt in einem präzisen, sachlichen Stil, entlarvt mit kleinsten Sätzen und Nuancen die Eitelkeiten der Banker und die fehlende Moral in der Finanzwelt der 90er und 2000er Jahre. Teilweise schleicht sich ein angenehm trockener Humor in ihre Beschreibungen. Ganz einfach macht es einem der Roman mit seinen vielen, teilweise schwer einzuordnenden Perspektiven, wechselnden Orten und Zeitsprüngen dennoch nicht – aber die Kombi aus Porträt, feministischem Roman und Bankenwelt hat einen eigenen Reiz. Erst recht, wenn man sich bewusst ist, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht.

Vielen Dank an den Fischer-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Wertung: 12/15 dpt

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