Büchermenschen gegen Rechts – Interview mit Sonja Weichand

booknerds: Hallo Sonja, vielen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, mit deinen Antworten aktiv in unserer booknerds-Interview-Reihe „Büchermenschen gegen Rechts“ mitzumachen.

Wir kennen uns durch Insta und daher weiß ich inzwischen ein paar Dinge über dich:  Du bist Schriftstellerin. Du hast sechs Jahre lang als Regieassistentin und Regisseurin fürs Theater gearbeitet. Du hast vier Theaterstücke geschrieben und veröffentlicht sowie zwei Romane: 2020 ist dein Debütroman „schuld bewusstsein“ erschienen und 2023 „Die Eindringlichkeit der Welt“. Und neben deiner schriftstellerischen Arbeit bist du auch Dozentin für Literarisches Schreiben an der Universität Würzburg.

Wer dir auf Insta folgt, sieht bzw. liest was dich gesellschaftspolitisch umtreibt. Du bist Feministin und du setzt klare Kante gegen Rechts.

Mit deinem Roman „schuld bewusstsein“ hast du ein sehr deutliches Statement gesetzt in diese Richtung. Magst du kurz zusammenfassen, worum es in deinem Buch geht und wieso der Roman so ein eindeutiger Beitrag gegen die Politik der Extremen Rechten ist?

Sonja Weichand: Ich habe mit dem Schreiben begonnen, als die AfD 2015 groß wurde. Für mich war es damals unfassbar, dass eine rechtsextreme Partei wieder in einem deutschen Parlament sitzt. Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: 1944/45 wird er aus Sicht der 21-jährigen Rose-Marie erzählt. Sie ist überzeugte Nationalsozialistin und erlebt den Untergang ihrer Ideologie.

Auf der anderen Zeitebene steht Anna im Mittelpunkt der Geschichte, sie ist die Enkelin von Rose-Marie und recherchiert 2019 deren Geschichte. Besonders rätselhaft ist dabei, dass ihre Oma stets über die NS-Zeit gesprochen hat – jedoch nie über Annas Opa. Die beiden Geschichten verflechten sich mehr und mehr ineinander. Es geht um die Frage, was Erinnerung ist. Als Beitrag gegen die Politik der Extremen Rechten sollte das Leid der Deutschen am Kriegsende eigentlich Warnung genug sein (der Roman spielt in meiner Heimatstadt Würzburg), wenn man rein egoistisch denkt. Hinzu kommt natürlich, dass eine Figur wie Rose-Marie sehr klar zeigt, dass Schuld eben nicht bei den großen Täter:innen anfängt. Ganz besonders problematisch war für mich die unaufgearbeitete Schuld der Frauen in der NS-Zeit. Das sehe ich gerade vor dem Hintergrund, wer aktuell in Europa in rechter Regierungsverantwortung sitzt, als schweren Fehler an. Auch das Unterschätzen von Bösartigkeit und damit einhergegehender Bedrohung ist ein Problem des Feminismus.

booknerds: Letztes Jahr hast du eine Aktion gestartet, die mich sehr beeindruckt hat. Du bist ganz gezielt auf Schulen zugegangen und hast ihnen deine  Lesungen zu „schuld bewusstsein“ kostenlos angeboten. Wie kam es dazu?

Sonja Weichand: Ja, ich wollte aufgrund der Wahlergebnisse im Osten ein klares Statement setzen. Natürlich ist es für eine Autorin, die versucht, von ihrem Schreiben zu leben, eine schwierige Entscheidung, etwas kostenlos anzubieten. Ich hatte zu dem Zeitpunkt das starke Bedürfnis, etwas zu tun. Ich glaube, viele kennen aktuell das Gefühl der Hilflosigkeit. Das war mein Weg, dem etwas entgegen zu setzen.

booknerds: Wie ist das Angebot angenommen worden?

Sonja Weichand: Zurückhaltender, als ich angenommen hatte. Die Aktion lief von Oktober bis Dezember. Letztendlich war ich in diesem Rahmen nur an zwei Schulen. Terminlich wäre es aufgrund der Lesungen für mein zweites Buch auch schwierig geworden, aber es gab auch nicht mehr Anfragen. Ich vermute, dass die Lehrkräfte eher vorsichtig sind, was das Thema Politik angeht, und sich viele keine Feind:innen machen wollen.

booknerds: Welche Erfahrungen hast du gemacht? Was war deine krasseste Erfahrung? Was war die schönste Erfahrung?

Sonja Weichand: Mein krasseste Erfahrung war, dass mir einige rechtsradikale Jugendliche nach der Lesung über Instagram mit neugegründetem Account unter dem Titel “Weichand verrecke” geschrieben haben. Das hat für mich die Grenze des Hasses, den ich gewohnt bin aus dem Netz, noch einmal verschoben. Ich habe das angezeigt.

Die schönste Erinnerung war allerdings aus der gleichen Schule: Schüler:innen, die mich nach der Lesung angesprochen haben und gesagt haben, dass sie geweint hätten beim Lesen und dass es so wichtig sei, dass endlich mal darüber offen diskutiert wird. Sie wollten dann Autogramme, das war für mich auch noch einmal etwas anderes als eine Widmung in einem Buch, woran man sich als Autor:in ja irgendwann gewöhnt hat.

booknerds: Welche Einwände hast du gegen eine aktive Erinnerungskultur zu hören bekommen und wie argumentierst du dagegen?

Sonja Weichand: Das Interessante ist, dass gegen Erinnerungskultur eigentlich nie offen Einwände kommen. Die meisten wollen gar nicht einsehen, dass die Zeit damals mit heute irgendetwas zu tun. Ich führe also vielmehr Diskussionen darüber, was Fakten sind und ob es z.B. in Deutschland ein Migrationsproblem gibt oder nicht. Die Debatte ist mittlerweile so stark nach rechts verschoben, dass Sätze wie “Die kommen alle hierher”  oder “Die vergewaltigen unsere Frauen” gängig geworden sind. Ich argumentiere, wenn ich sie habe, mit Zahlen. Ansonsten versuche ich, ruhig zu bleiben, zur Empathie aufzurufen. Aber das ist sehr schwierig bei Menschen, die schon so weit weg sind von der Realität.

booknerds: Warum ist Erinnerungskultur so wichtig?

Sonja Weichand: Es geht darum, wem die Erinnerung gehört. Dürfen Menschen sie umschreiben wie in 1984 von Orwell, also einfach behaupten, jemand anderes hätte den Krieg gewonnen oder Hitler sei beispielsweise Kommunist gewesen. Solche irrwitzigen Aussagen belegen, dass die Fakten gerade eine echt schlechte Zeit durchmachen. Erinnerungskultur darf deshalb nicht nur auf Fakten setzen. Kränze abzulegen reicht nicht aus.

Wir müssen uns überlegen, welche Geschichten wir erzählen wollen, welche Botschaften wir emotional senden möchten. Das kann Literatur z.B. sehr gut.

booknerds: Welche Rolle kann/soll Literatur in der Bildungspolitik spielen? Lehrer:innen unterstützen etc?

Sonja Weichand: In der Bildungspoltik stimmt so einiges nicht. Ein Problem sind die fehlenden Räume für aktuelle Literatur. Es ist schön, dass wir (meist männliche) Klassiker in Deutschland haben. Aber könnte man im Land der Dichter und Denker(:innen!) nicht auch Räume schaffen für aktuelle Literatur? Oft sagen mir Lehrkräfte, dass sie keine Zeit haben, mein Buch im Unterricht zu besprechen. “schuld bewusstsein” wird z.B. schon vom bayerischen Staatsinstitut für Schulqualität (ISB) als Lektüre empfohlen. Aber die Strukturen müssen eben auch da sein, um es wirklich in einer Klasse zu lesen. Dann kann Literatur Lehrkräfte auch unterstützen, gesellschaftliche Debatten aufzugreifen und mit den Schüler:innen ins Gepsräch zu kommen.

booknerds:Sind weitere Aktionen gegen Rechts von dir geplant?

Sonja Weichand: Aktuell biete ich wieder meinen Literarischen Stadtrundgang an, das ist eine Lesung an den Originalspielorten von “schuld bewusstsein” in Würzburg. Am 16. März jährt sich zum 80. Mal die Zerstörung der Stadt. Deshalb sind viele Aktionen geplant und mein Rundgang ist für Schulklassen ab der 8.Jahrgangsstufe buchbar. Grundsätzlich nehme ich aber auch unabhängig davon immer Lesetermine an.

booknerds: Wie wichtig ist das Vernetzen gegen Rechts in der Literaturbranche für dich?

Sonja Weichand: Sehr wichtig. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen auf Instagram befürchte ich, dass meine jahrelang aufgebaute Community mir sehr plötzlich entzogen werden könnte. Deshalb versuche ich jetzt schon, auf Bluesky aktiv zu werden. Allerdings ist es für unbekanntere Autor:innen wirklich schwierig. Das Vernetzen gegen Rechts hat zwei wesentliche Gesichtspunkte für mich: Zum einen kann man sich gegenseitig unterstützen, z.B. eine Autorin aus dieser Bubble einladen etc., zum anderen ist es aber auch eine emotionale Stütze. Ich verzweifle momentan sehr oft, wenn ich Nachrichten sehe, mein Netzwerk hilft mir, daran zu glauben, dass es noch normale Menschen gibt.

booknerds: Braucht es so etwas wie ein kollektives Bewusstsein für die demokratische Verantwortung, die die Literatur trägt?

Sonja Weichand: Ehrlich gesagt, war ich mal der Überzeugung, dass wir dieses Bewusstsein längt erstritten haben. Gerade die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts, als mehr und mehr auch Stimmen aus queeren Kontexten, von Menschen mit Migrationshintergrund oder von fianziell Benachteiligten hörbar wurden, hat mich darin bestärkt, dass Literatur ein Ort für alle ist. Nun wird – wie überall in der Gesellschaft – klar, dass diese Orte gefährdet sind. Auch als 40jährige Frau muss man fürchten, dass die eigenen Bücher bald als “Frauenliteratur” abgestempelt werden und mir empfohlen wird, mich an den Herd und zu den Kindern zu begeben. Unfassbar immer noch! Ich hoffe, das kollektive Bewusstsein für Demokratie und ihre ständige Gefährdung kommt schneller zurück, als ich es fürchte.

booknerds: Du lebst und unterrichtest in Würzburg. Das liegt in Bayern. Vor ein paar Tagen erst ist einer Referendarin die Zulassung verweigert worden, weil sie sich aktiv in der Klimaschutzbewegung engagiert hat. Zeichnet sich da ein Trend ab, Andersdenkende abzustrafen?

Sonja Weichand: Die kurze Antwort lautet: Ja. Neu ist der allerdings nicht. Schockierend am aktuellen Beispiel war die Gleichzeitigkeit mit einem Münchner Fall, bei dem ein junger Mann eine geringere Strafe für seine Vergewaltigungstat erhalten hatte, da er “Lehrer sei”. Das macht mich wütend und ratlos. Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der Frauen, die für unser aller Zukunft kämpfen, eingesperrt werden und Männer, die anderen Gewalt antun, geringfügig bestraft werden, weil sie ja ein ach so wichtiger Teil der Gesellschaft sind?

booknerds: Brauchen wir überpolitische Standards, um die Meinungsvielfalt von Lehrenden zu schützen/unterstützen?

Sonja Weichand: Wir haben sehr gute Standards. Ich sage das auch auf Lesungen immer wieder: Sie heißen Grundgesetz. Es muss nur eingehalten werden. Falls dir das Grundgesetz allerdings zu politisch ist, wüsste ich nicht, auf welche Standards man bei Meinungsvielfalt hoffen sollte. Ich persönlich setze ja auf gesunden Menschenverstand und Empathie, aber ich glaube, viele empfinden das mittlerweile als links-grün-versifft, verweichlicht, woke und, was uns sonst noch so für Schimpfwörter einfallen. Ich wünsche diesen Menschen von Herzen gute Besserung!

booknerds: Vielen Dank für deine Antworten!

Das Gespräch führte Britta Röder.

Der Roman “schuld bewusstsein” von Sonja Weichand
ist als Taschenbuch erschienen bei BoD – Books on Demand; 1. Edition (15. Oktober 2020)
300 Seiten
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3750498952

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