Alexander Meining – Der alte Mann vom Main (Buch)

Die letzten Stunden von Würzburg

Walter Gänslein, ehemaliger Staatsanwalt von Würzburg, sinniert über den Sinn seines Lebens, dessen er müde geworden ist. Eine Familie war ihm nie vergönnt, seine Frau ließ sich vor weit über vierzig Jahren von ihm scheiden, woran er aufgrund einer kurzen Affäre mit dem Hausmädchen selber schuld war. Jetzt ist sein Rauhaardackel gestorben, den er oberhalb vom Käppele in einem kleinen Waldstück begraben möchte, so wie schon die beiden Hunde vor ihm. Es ist Freitag, der 16. März 1945, an dem die Geschichte Würzburgs einen verheerenden Verlauf nimmt. Der in Bayern geborene Gänslein blickt vom Käppele auf seine Stadt als es plötzlich Luftalarm gibt. Nicht unüblich in diesen Tagen, doch dann folgt Vollalarm und kurz darauf ein nie für möglich gehaltener Luftangriff der Amerikaner. Wenige Minuten später sind rund achtzig Prozent der Stadt zerstört.

In den Ruinen der Stadt gelingt Gänslein zum Hotel Rebstock, bei dem zumindest der gut gefüllte Weinkeller unversehrt geblieben ist. Auf dem Rückweg trifft er auf die vornehm gekleidete Henriette Kerstan, die in einem der beiden noch erhaltenen Hotelzimmer gastierte. Man trinkt gemeinsam Wein und kommt sich ein wenig näher. Henriette will sich am nächsten Tag zu ihrer Cousine nach Randersacker durchschlagen, doch die Beiden werden von zwei Jugendlichen der HJ, die nun das Armband des Volkssturms tragen, angehalten. Hitler hat die totale Mobilisierung befohlen, Würzburg muss unbedingt gehalten werden. So werden selbst Kinder und Greise, aber eben auch Männer wie Gänslein zwangsverpflichtet. Man soll im Häuserkampf geschult werden, die 42. Infanteriedivision, die Rainbow-Division, der US-Armee aufhalten. Rund 3.500 meist unerfahrene Zivilisten gegen 5.000 gut ausgebildete und bestens ausgerüstete Soldaten.

“Wenn sich die 42. Infanteriedivision der US-Armee in der gleichen Geschwindigkeit wie bisher weiterbewegt, kann es schon Ostern so weit sein.“

„In zwei Wochen soll ich aus Kindern und Zivilisten eine Armee aufgestellt haben?“

[…]

„Herr Oberbürgermeister, unterschätzen Sie nicht den Mut und den Kampfeswillen des deutschen Volkes.“

Gänslein will dem sicheren Tod entgehen, beschließt, sich bei erstbester Gelegenheit zu ergeben und erlebt als Gefangener der US-Armee, nach der Bekanntschaft mit Henriette, ein zweites, ebenso unfassbares Wunder.

Eindringliche Geschichtsstunde

Alexander Meining, durch die Georg-Hiebler-Krimis (u. a. „Würzburger Dynamit“ und „Die Käppele-Verschwörung“) dem ein oder anderen Krimileser vertraut, entführt uns erneut in seine Heimatstadt. Allerdings ist der vorliegende Roman kein Krimi der Gegenwart, sondern eine detaillierte Schilderung des Bombenangriffs vom 16. März 1945, der wenige Tage andauernden „Schlacht um Würzburg“ bis hin zur Aufgabe der letzten deutschen – sagen wir lieber nicht – Kämpfer. Verblendete trifft es eher.

Die Schrecken und Gräuel des Krieges werden schonungslos aufgezeigt und dabei die Geschehnisse wechselnd von beiden Seiten geschildert. Hier die gut ausgestattete Rainbow-Division, in der man sich über die – nun ja – kämpfenden Kinder und Alten auf der Gegnerseite schockiert zeigt; dort mitunter fanatische Nazis, die dem Führer bedingungslos in den Untergang folgen.

„Ich kenne die Deutschen. Sie sind Opportunisten. Leichtgläubig und immer bereit, sich einen Vorteil zu suchen. So wie Hitler ihnen Macht, Wohlstand und Ansehen versprochen hat, verspreche ich Nahrung, Zigaretten, warme Decken und saubere Verbände für ihre Wunden. Nur kann ich im Unterschied zu ihrem Führer diese Versprechen sogar einhalten.“

Auf der deutschen Seite stehen Oberbürgermeister Theo Memmel, ein strammer Gefolgsmann der ersten Stunde, der seinen jugendlichen Sohn Theo Jr. in den Volkssturm schickt, um mit ihm die Amerikaner zu besiegen. Der Sohn wird nicht überleben, der Vater hingegen fliehen und erst 1973 sterben. Den Volkssturm organisieren Wehrmacht-Oberst Richard Wolf und Gauleiter Otto Hellmuth, letzterer mit besonders viel Eifer. Diesen zeigt er insbesondere bei seiner Flucht, noch bevor sein Aushang zur Mobilisierung veröffentlicht wird. 

Menschen als Kanonenfutter in einem sinnlosen Kampf der längst verloren ist. Die Macht der Verführung, die Verblendung williger Helfer, sind altbekannte Themen, die Alexander Meining am Beispiel Würzburgs aufgreift. Den dramatischen Ereignissen setzt der Autor – wie sollte es anders sein – die Liebe entgegen. Eine menschlich zutiefst anrührende Sidestory erwischt den Protagonisten, der innerlich ja schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte.

  • Autor: Alexander Meining
  • Titel: Der alte Mann vom Main
  • Verlag: Gmeiner
  • Umfang: 224 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Februar 2025
  • ISBN: 978-3-8392-0759-8
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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