Susanne Jansson – Winterwasser (Buch)

Ein Kind verschwindet, aber nicht zum ersten Mal

Martin betreibt eine Muschelzucht auf der Insel Orust, wo er im einstigen Ferienhaus seiner Eltern lebt. Finanziell könnte es besser laufen, doch in der Vergangenheit gab es Drohungen gegen die Zuchtanlage, für die die Brüder Johansson verantwortlich sind. Der Strand, an dem Martin seine Zuchtleinen errichtet hat, befindet sich auf deren Grundstück, was die Gemeinde bei der Genehmigung der Zucht ignorierte. Auch die Ausrüstung und Netze wurden bereits beschädigt, allerdings wurde es in den letzten Monaten ruhiger. So könnte es also ein schönes Inselleben sein, denn Martin ist glücklich mit Alexandra verheiratet, die ihrem drei Jahre alten Sohn Adam unlängst eine Schwester gebar.

Dann jedoch kommt der 11. Januar, der das Leben der Familie zum Einsturz bringen soll. Alexandra ist mit dem Säugling bei ihrer Schwester in Kopenhagen, während Martin mit Adam ein Picknick am Meer verbringen möchte. Ein Anruf seines Vaters führt dazu, dass Adam für kurze Zeit unbeaufsichtigt ist, danach fehlt jede Spur von ihm. Am Strand findet Martin den Plastikeimer seines Sohnes, wenig später finden Polizeitaucher im Meer einen Stiefel von Adam. Zwar gibt es pro forma noch eine große Suchaktion an Land, doch der Junge bleibt verschwunden. Mangels Leiche wird der Fall zwar nicht zu den Akten gelegt, gleichwohl geht die Polizei von einem Unfalltod durch Ertrinken aus und Martin muss sich unangenehme Fragen anhören. Dabei weiß er ja selber, dass er seine Aufsichtspflicht kurzzeitig verletzt hat beziehungsweise von dem Anruf abgelenkt wurde. In den folgenden Monaten zieht er sich komplett von allen zurück, seine Ehe scheint in einen Abgrund zu stürzen. 

Die Fotografin Maya hat ihr Haus in Dalsland vorübergehend gegen ein Haus auf Orust mit deren Besitzerin getauscht. So erfährt sie über ihren Nachbarn Thomas, Martins bestem Freund, von dem tragischen Vorfall. Während Alexandra mehr und mehr Zeit bei Ihren Eltern auf dem Festland verbringt, versucht Maya zu Martin durchzudringen, was anfangs unmöglich ist. Doch ihre Neugier ist geweckt, schließlich hat sie als Fotografin über zwanzig Jahre für die Polizei gearbeitet. Monate vergehen. Dann macht Martin eine beunruhigende Entdeckung. 1965 ertrank ein junges Mädchen, 1975 verschwand ein kleiner Junge. Beide wohnten mit ihren Eltern als Vorbesitzer in dem Haus, in dem nun Martin wohnt und alle Kinder verschwanden jeweils am 11. Januar.

Zweiter Fall für Fotografin Maya

Nach „Opfermoor“ ist „Winterwasser“ der zweite Fall für die Fotografin Maya, die im Gegensatz zum ersten Band nun nicht mehr für die Polizei arbeitet. Erstaunlich ist, dass durch den Ortswechsel auf Orust, nach Gotland und Öland übrigens die drittgrößte Insel in Schweden, das Personaltableau in Gänze runderneuert wurde. Neuer Freund, neue Nachbarn und dennoch, na klar, wieder ein Unglücksfall. Maya ist freiberufliche Künstlerin, finanziell längst unabhängig und hat somit viel Zeit, die sie Martin widmet, wobei sie zunächst lange nicht zu ihm durchdringen kann. Martin gibt sich die Schuld an Adams Tod und kapselt sich vollständig von der Außenwelt ab. Dies führt, wenn man es so sehen möchte, zu einigen Längen, gleichwohl aber ist die Schilderung seiner Trauer und seiner Selbstaufgabe ein wesentlicher Schwerpunkt des Romans. Susanne Jansson hat ein beeindruckendes wie bedrückendes Psychogramm erstellt, so dass man tief in die Figur des leidenden Vaters eindringen kann. Erst nach rund der Hälfte des Plots, wenn die beiden anderen Vorfälle „entdeckt“ werden, kommt ein bisschen Tempo in den Krimiplot.

Maya kann das Schnüffeln nicht lassen, bringt sich einmal mehr selber in Gefahr und erkennt parallel zu Martin, dass es sich womöglich doch nicht um einen Unfalltod handeln könnte. Die Spannung steigt und am Ende gibt es eine Auflösung, für die man ein wenig Fantasie benötigt, wenngleich es eine umfangreiche Erklärung gibt.

Das Inselleben, die Landschaft und vor allem das Meer mit seiner ganzen Wucht, seiner Faszination ebenso wie die von ihm ausgehende Gewalt bilden eine düstere Kulisse. Was, wenn die Vorfahren aus alter Zeit Recht hatten und die Toten der Meere die Lebenden zu sich rufen? Warum sonst gehen so viele Menschen ins Wasser? Vielleicht folgte auch der schlafwandelnde Adam einem solchen Ruf?

Wer ruhig angelegte Plots mit starken Figurenzeichnungen mag und dabei vor umfangreichen Einblicken in private Lebensbereiche nicht zurückschreckt, kann hier durchaus zugreifen.

  • Autorin: Susanne Jansson
  • Titel: Winterwasser
  • Originaltitel: Vintervatten. Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger, Holger Wolandt
  • Verlag: Penguin
  • Umfang: 304 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Dezember 2024
  • ISBN: 978-3-328-10913-6
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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