Intensive Einblicke in eine unwirkliche Welt
Der Papst ist tot. Ein Herzinfarkt, der allerdings Fragen offenlässt. Kardinal Jacopo Lomeli, Dekan des Kardinalskollegiums, hat die undankbare Aufgabe, das Konklave vorzubereiten, denn der Heilige Stuhl muss neu besetzt werden. Dabei hatte Lomeli erst kürzlich seinen Rücktritt angeboten, da er neben gesundheitlichen Gründen mit seinem Glauben im Zweifel liegt oder zumindest mit jener Institution, die diesen verkörpert. Die drei wichtigsten Kardinäle neben Lomeli gelten als klare Favoriten. Aldo Bellini aus Italien, Staatssekretär Seiner Heiligkeit; der Frankokanadier Joseph Tremblay, Camerlengo respektive Kardinalkämmerer der Heiligen Römischen Kirche und Kardinalgroßpönitentiar Joshua Adeyemi aus Nigeria, der oberste Beichtvater.
117 Kardinäle sind aufgerufen, einen neuen Papst zu wählen, der wiederum eine Zweidrittelmehrheit, sprich 79 Stimmen, benötigt. Enthaltungen sind nicht erlaubt, es wird solange gewählt bis ein neuer Papst feststeht. Dann steigt der berühmte weiße Rauch auf, auf den die angereisten Kommentatoren und Gläubigen warten.
„Der Papst zweifelte an Gott?“
„Nicht an Gott! An Gott niemals! Was er verloren hatte, war der Glaube an die Kirche.“
Die Kardinäle sind in der Casa Santa Maria untergebracht, die üblicherweise als Hotel für Geistliche dient. Nun ist das Gebäude komplett von der Außenwelt abgeschottet, selbst die Fenster sind so verdichtet, dass niemand rein-, aber vor allem niemand rausschauen kann. Die Kardinäle, zwischen sechzig und neunundsiebzig Jahre alt, sollen allein ihrem Gewissen folgen, sich nicht von Meldungen jedweder Art beeinflussen lassen.
Früher hat Gott alle Mysterien erklärt. Heutzutage erledigen das die Verschwörungstheoretiker. Das sind die Ketzer unserer Zeit.
Einer der größten Kritiker des verstorbenen Papstes, Kardinal Tedesco, sehnt sich nach der Zeit der lateinischen Liturgie zurück, was seine Chancen erheblich einschränkt, da er vielen als zu traditionell gilt. Daher hat Adeyemi als erster afrikanischer Papst vielleicht die besten Chancen, doch dann werden aus 117 plötzlich 118 Kardinäle, denn es gibt einen weiteren Kardinal, von dessen Existenz bisher niemand wusste: Vincent Benitez, Erzbischof von Bagdad, wurde vor geraumer Zeit vom Papst „in pectore“ ernannt.
Wird der unbekannte Benitez das ohnehin fragile Gefüge weiter verunsichern? Während ein Wahlgang dem nächsten folgt, erhält Lomeli zunehmend Informationen, die zeigen, dass nicht alle Kandidaten für das höchste Amt geeignet sind. Während die Kandidaten und deren Helfer um die Gunst der Kardinäle buhlen, blickt Lomeli gleich in mehrere Abgründe. Sollte das völlig Undenkbare geschehen und letztlich er selbst die Verantwortung übernehmen müssen?
Die Buchvorlage zum Film von Edward Berger
Im vergangenen Jahr (2024) lief im Kino der Film „Konklave“ unter der Regie von Oscar-Preisträger Edward Berger („Im Westen nichts Neues“) mit Starbesetzung. Ralph Fiennes, John Lightgow, Stanley Tucci und als einzige relevante Frauenfigur Isabella Rossellini. Warum im Film aus Kardinal Lomeli Kardinal Lawrence wurde, will man vermutlich nicht wissen. Immerhin wurden alle übrigen Namen aus dem Roman von Erfolgsautor Robert Harris (u. a. Cicero-Trilogie „Imperium“, „Titan” und „Dictator“) übernommen. Bereits 2016 erschien die deutschsprachige Ausgabe des Romans, der aus mehreren Gründen empfehlenswert ist.
Harris hatte Zugang zu den Räumlichkeiten, an denen sich ein Konklave abspielt und gibt diese – allen voran die Casa Santa Maria – detailverliebt wieder. Neben den Schauplätzen innerhalb der Vatikanstadt wird das Konklave selbst penibel beschrieben. So wird die heilige Eidformel, die bei der Stimmabgabe jeder Kardinal sprechen muss, mehrfach wiedergegeben, doch was als unnötige Länge erscheint, unterstreicht die Authentizität der Geschichte. Es ist, als wäre man live dabei, was man angesichts der Begleitumstände womöglich eher nicht sein möchte. Tagelang eingesperrt, von der Außenwelt rigoros abgeschottet, ein düsterer Vorgeschmack für den neuen Papst. Kein Wunder, dass einer der Topfavoriten (Bellini) von Anfang an darauf drängt, bloß nicht gewählt zu werden. Ein Problem für Lomeli, der seinem Gewissen verpflichtet ist und eben jenen Bellini für den Besten hält.
Sie werden beten wie wir alle. Und zu gegebener Zeit wird der Heilige Geist uns einen Namen eingeben. Es wird ein wunderbares spirituelles Erlebnis für uns alle werden.
In bester Thriller-Manier werden nach und nach die Kandidaten aus dem Spiel genommen, denn dunkle Geheimnisse kommen an die Oberfläche. Verfehlungen, teils Jahrzehnte alt, holen einzelne Bewerber ein, wobei die Konkurrenz gerne an deren Entdeckung mithilft. Ein undurchsichtiger Intrigantenstadl, christlich ist das keineswegs, aber gleichwohl spannend zu lesen. Allein das Finale, also die Ernennung des neuen Papstes wird nicht jedem gefallen, da sie sich dem allgemeinen Zeitgeist etwas zu sehr andient.
„Ernsthaft, mein Freund, ich werde für Sie beten.“
„Sehr gern. Solange Sie nicht für mich stimmen.“
Man muss kein bekennender Gläubiger sein, um sich der Faszination eines Konklave hingeben zu können. Die unzähligen Gebete und Rituale, die es immer wieder durchzuführen gilt, werden von Robert Harris eindringlich, aber trotzdem nie langatmig dargestellt. Die Kulisse ist großartig wiedergegeben und dank der einen oder anderen Intrige kommen selbst Thriller-Fans auf ihre Kosten, wenngleich die Bezeichnung Thriller etwas irreführend wäre. Ja, „Konklave“ ist – wie erwähnt – spannend, aber vor allem ein eindrucksvoller Blick hinter eine Kulisse, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Roman deutet an, warum.
- Autor: Robert Harris
- Titel: Konklave
- Originaltitel: Conclave. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
- Verlag: Heyne
- Umfang: 368 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: November 2017
- ISBN: 978-3-453-43903-0
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Wertung: 13/15 dpt