Ryan La Sala – Die Honeys (Buch)


Tradition ist ein interessantes Ding. Tradition ist Grund für Stolz und Identität, romantisiert die Vergangenheit und wird gerade als Rechtfertigung dafür genutzt, dass Frauen in Borkum beim Klaasohm-Fest am Vorabend zum Nikolaustag geschlagen werden dürfen.

Habt ihr das mitbekommen? Funk, Spiegel, Tagesschau und DW haben das Thema aufgegriffen und zeigen, wie perfide diese Tradition so lange unbekannt sein konnte: An dem Tag gab es Foto- und Aufnahmeverbote, die Polizei hielt sich aus diesem Gewaltakt heraus und Leute (hauptsächlich Frauen), die sich dagegenstellten, wurden sozial geächtet. An einem Tag im Jahr ist es normal und gut, Frauen zu demütigen, grün und blau zu schlagen, in ihr Zuhause einzudringen, um ihnen anschließend Lebkuchen in den Mund zu schieben. Kinder spielen dieses Spiel scheinbar die ganzen zwei Wochen vor dem Nikolaustag – früh werden sie zu Akzeptanz und Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen erzogen.

Obwohl das Fest ein Skandal ist, zeigt dieser Fall exemplarisch, wieso Sexismus, Heteronormativität und Rassismus noch immer unseren Alltag bestimmen: In dem sie als normal angesehen werden und ihre Opfer zum Schweigen gebracht werden.

Diese gleichen Strukturen greift Ryan La Sala in seinem Jugend-Mysteryroman “Die Honeys” auf, in dem er zeigt, wie strenge Geschlechternormen von klein auf glorifiziert und durch Rituale normalisiert werden. In dem Buch geht es darum, wie Geschlechternormen Jugendliche schon von früh an prägen und gerade von Mädchen und Queeren viel abverlangen, es aber auch selbst geschaffene Räume gibt, in denen man Banden bilden und sich wehren kann.

Stell dir vor, deine Schwester reißt eines Nachts aus ihrem Sommercamp aus und steht mitten in der Nacht neben dir, während du schläfst und versucht, dich umzubringen. Du kannst dich wehren, aber deine Schwester stirbt. Später heißt es, dass deine Schwester angeblich an einem Gehirntumor gestorben sei – und deine Eltern sind nicht so erschüttert, wie man es erwarten würde. Du erinnerst dich daran, dass deine Schwester zunehmend Angst davor hatte, wieder zum Sommercamp zu fahren und machst dich auf, herauszufinden, was ihr angetan wurde.

Jupiter entscheidet sich deswegen, herauszufinden, was mit deren Schwester passiert ist und reist zu dem Sommercamp, dem dey als Kind wegen Queerfeindlichkeit den Rücken gekehrt hat. Dort angekommen erinnert Jupiter sich daran, wie es war, als Kind dort gewesen zu sein – dass es Spaß machte, als dey noch mit den Mädchen spielen durfte, aber je näher die Pubertät rückte, Jupiter immer mehr daran gemessen wurde, wie männlich dey war. Damit nahm auch der Performanzdruck zu. Sei es dabei, sich über Mädchen lustig zu machen, ihren Körper zu sexualisieren oder Kraft und aggressive Impulsivität zu beweisen.

Jupiter sieht, dass diese Männlichkeit dauerhaft bewiesen werden muss, um nicht von den Männern um sich herum geächtet und ausgeschlossen zu werden – bei Sportwettbewerben oder bei geheimnisvollen Wanderungen. Aber das Versprechen auf Geheimhaltung unter den Männern bindet. Kein Wort zu niemandem, um die unsterbliche Loyalität zueinander zu beweisen – selbst, wenn es um sexuellen Missbrauch und Tod geht. Vertrauen unter Männern geht über alles.

Jupiter bricht im Sommercamp immer wieder und wieder mit diesen ungeschriebenen Regeln, die auf Tradition und Gruppenzwang aufbauen, während dey deren Schwester auf die Spur kommt. Dabei entdeckt dey, wie die Mädchen gelernt haben, sich gegen diese Strukturen zu wehren: Sei es durch Schwesternschaft und sogar okkulte Mittel, mit denen sie Täter zur Rechenschaft zwingen. Dabei lernt Jupiter, dass es im Camp nicht nur um den Geschlechterkampf geht, der zwischen Mädchen und Jungen ausgefochten werden muss, sondern dass dies auch den wirtschaftlichen Interessen der Erwachsenen um sie herum dient.

“Die Honeys” ist ein Buch, das unter die Haut geht. Nicht nur kriecht der Horror nach und nach beim Lesen unter die Haut, sondern wird durch die kaltblütigen Interessen der Antagonisten immer realistischer und greifbarer. Das ist auch die Stärke des Buches: Statt die Handlung und die fantastischen Aspekte als einzigen Antreiber zu haben, werden diese mit realen gesellschaftlichen Strukturen verbunden und dadurch greifbar gemacht. Dadurch kann man die Geschehnisse im Buch nicht immer vom eigenen Erleben trennen und wird so beim Lesen mitgerissen.

Deswegen möchte ich das Buch auch empfehlen: Nicht nur ist es spannend geschrieben, Jupiter als genderfluide Hauptfigur bietet einen analytischen Blick auf Heteronormativität und ihre grausamen Auswirkungen, was geschickt mit mysteriösen Ereignissen verbunden wurde. Das Buch liest sich schnell und thematisiert nicht allein durch Borkum ein noch immer aktuelles Thema.

  • Autor: Ryan La Sala
  • Titel: Die Honeys
  • Originaltitel: The Honeys
  • Übersetzer: Katrin Aust
  • Verlag: Cross Cult
  • Erschienen: 2024
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 384
  • ISBN: 978-3-9866665-0-7
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 14/15 dpt

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