Ocean Vuong – On Earth We’re Briefly Gorgeous (Buch)


Penguin

“On Earth We’re Briefly Gorgeous” bietet eine komplexe Geschichte

Je mehr ich mit Menschen in Kontakt komme und mich von meinen Erfahrungen um mich verändern lasse, desto mehr erkenne ich, dass wir nicht einfach Wesen sind, die in den Tag hineinleben und hin und wieder Ziele haben, sondern wir ein Ergebnis aus Schmerz, Trauer und Verlust aber auch Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit sind. Dieser komplizierte Mix, der uns als Menschen formt und prägt, macht uns unglaublich schön – gerade dann, wenn diese Schönheit hinter schweren Schicksalsschlägen und harten Fassaden verborgen zu sein scheint.

Diese Schönheit zeigt Ocean Vuong mit seinem Roman “On Earth We’re Briefly Gorgeous”, in dem er über das Aufwachsen von Little Dog erzählt, dessen Mutter und Großmutter gepeinigte Opfer des Vietnamkrieges sind und in den USA ein neues Leben aufgebaut haben.

Ocean Vuong hat keine Geschichte geschrieben, die leicht zu verdauen ist. Er scheut sich nicht davor, hässliche Erfahrungen und Aspekte an seinen Figuren offenzulegen und Grauen in seiner Gesamtheit darzustellen. Ocean Vuong zeigt aber auch, wie komplex das Leben ist, indem er auch Vertrauen, Intimität und Zärtlichkeit in den unscheinbarsten, peinlichsten und verletzlichsten Momenten zeigt.

In “On Earth We’re Briefly Gorgeous” begleiten wir Little Dog in seinem Aufwachsen in den Südstaaten der USA. Sein Leben ist geprägt durch seine Mutter und Großmutter, die aus dem kriegszerrütteten Vietnam ausgewandert sind und ihre eigenen Erfahrungen mit Schmerz, Gewalt und Einsamkeit mit sich tragen müssen, ohne sie selbst formulieren zu können. So müssen sie sich prostituieren, um das Überleben ihrer Kinder und ihrer selbst zu sichern, und werden von US-amerikanischen Soldaten vergewaltigt. Sein Leben ist geprägt durch Alltagsrassismus, der Fürsorge zu seiner Mutter und Großmutter und seiner heimlichen Beziehung zu einem Farmerjungen, der durch starke Männlichkeitsideale mit seiner Homosexualität hadert.

Zwischen unterschiedlichen Zeiten hüpfend, lesen wir Little Dogs Briefe an seine Mutter, in denen er seine Erfahrungen und Gefühle schildert – ob die Briefe von seiner Mutter gelesen werden, erfahren wir nicht. Er verarbeitete, wie seine Mutter versuchte, ihn zu einem starken Mann zu machen, damit er nicht mehr in der Schule gemobbt werde. Wir erfahren, wie seine Großmutter mal kohärenter und mal verwirrter von ihren Erfahrungen während des Vietnamkriegs erzählte, sowie von ihren Vergewaltigungen und Arbeit als Prostituierte, um sich und ihre Tochter ernähren zu können. Wir erfahren, wie Little Dog sich in einen impulsiven und groben Farmerjungen verliebte, der später an einer Überdosis an Drogen starb, nachdem er durch das US-Amerikanische Gesundheitssystem als kleiner Jungen drogenabhängig gemacht wurde, sein erstes Mal mit ihm hatte und wie sehr ihre schwer in Worte zu fassende Liebe die beiden verband.

Ocean Voung erzählt eine Geschichte über das Überleben in einer Welt, die darauf ausgerichtet ist, Menschen zu schaden. Sei es das amerikanische Gesundheitssystem, das keine Suchtprävention betreibt und unzählige in die Drogenabhängigkeit drängt, Heteronormativität und Patriarchat, die Little Dog und seinen Freund in enge Geschlechterstrukturen drängen und für ihre Homosexualität diskriminieren oder Sexismus, Klassismus und Rassismus, die einen gesellschaftlichen Aufstieg und Überleben für seine Mutter und Großmutter schier unmöglich machen.

In all diesen Leiden und Ungerechtigkeit konnte Ocean Voung aber auch Verletzlichkeit, Zärtlichkeit und Intimität wie einen kostbaren Schatz herausblitzen lassen. Sei es in Little Dogs Namen, der aus der Tradition hervorgeht, Kindern hässliche Namen zu geben, um sie vor bösen Geistern zu schützen und damit ein Liebesbeweis sind, das Gefühl nach einer Sex-Panne trotzdem begehrt zu werden oder die Nächstenliebe, als Little Dogs Mutter einer Frau mit amputiertem Fuß das Gefühl gibt, eine Pediküre zu erhalten.

Ocean Voung gibt keine Lösungsvorschläge für die systematischen Probleme, die Little Dog und seine Familie erleiden müssen. Aber er appelliert daran, weiterzumachen – was auch immer das für die Einzelperson heißt. Zu keiner Zeit beschönigt er das Leiden oder versucht, plattitüdenhaft zu sagen: “Auch auf die kleinen Momente im Leben kommt es an!”, was eine typische Phrase privilegierter Menschen ist. Er zeigt einfach, dass Leben komplex ist und es trotz allem Leiden noch Schönheit gibt, die einen unerwarteterweise umringt.

Ich möchte das Buch empfehlen, weil es mich nicht nur durch seinen wunderschönen Schreibstil und der Empathie, mit der die Handlung und Figuren behandelt werden, zum Weinen gebracht hat, sondern auch, weil es ein Buch ist, das  bei dem (politischen) Chaos um uns herum Balsam für die Seele ist. Gerade weil Diskriminierung und diskriminierende Sprache salonfähig gemacht wurden, sozial wichtige Strukturen abgebaut werden und Isolierung zunimmt, sollten wir empathisch und liebevoll sein.

  • Autor: Ocean Vuong
  • Titel: On Earth We’re Briefly Gorgeous
  • Verlag: Penguin
  • Erschienen: 2020
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 256
  • ISBN: 978-1-5291-10685
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 14/15 dpt

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