Martina Hefter – “Hey guten Morgen, wie geht es dir?” (Buch)


Martina Hefters Roman “Hey guten Morgen, wie geht es dir?”, welcher in diesem Jahr bei Klett-Cotta erschien, entführt uns in eine faszinierende Welt voller Poesie und Eskapismus. Im Zentrum steht Juno, eine einfühlsame Frau, die als Tänzerin arbeitet und sich hingebungsvoll um ihren kranken Gefährten Jupiter, einen preisgekrönten Schriftsteller, kümmert. Es ist ein Künstler-Paar, das immer wieder mit seinem Alltag kämpft, der aus finanziellen Engpässen und nicht selten auch aus emotionaler Erschöpfung besteht. Um diesem Alltag für ein paar Stunden zu entfliehen, flüchtet sich Juno vor allem nachts in eine digitale Parallelwelt und knüpft absichtlich Kontakt zu Love-Scammern, die als eine Art Online-Version des Heiratsschwindlers verstanden werden können. Juno erwidert neckisch, die meist von Komplimenten zu gesäuselten Nachrichten mit Lügen oder auch überzogenen poetischen Ausschweifungen. Das hat meist zur Folge, dass sie keine Antworten mehr erhält oder direkt von den Accounts blockiert wird. Als sie auf Benu trifft, einen nigerianischen Mann mit undurchsichtigen Absichten, verschwimmen jedoch die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Schnell entspinnt sich ein Austausch, der länger als zwei Chat-Nachrichten anhält und Juno wird mit Fragen und Aussagen konfrontiert, die sie überraschen und die es schaffen ihre Neugierde auf die Lebensrealität eines Menschen zu wecken, die ihrer eigenen sehr fern erscheint.

Das Glas wird nachts nicht plötzlich klirrend auseinanderbersten, weil in der Nähe eine Bombe einschlägt. Das Wasser fließt perlig aus den Hähnen, morgens, mittags, abends. Juno ist satt und hat (auch in diesem Winter) eine Heizung. Das alles wahrscheinlich noch für den Rest ihres Lebens, das statistisch gesehen noch etwa dreiundzwanzig Jahre dauert. (S.45)

Was an „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ sofort auffällt ist die markante Erzählstruktur des Romans. Die kurzen (Video-)Chat-Gespräche sind immer sehr prägnant, poetisch und oft auch humorvoll gehalten. So wird nicht nur inhaltlich, sondern auch anhand der Textform das Ausbrechen aus dem Alltag sowie das gedankliche Innehalten von Juno erkennbar.

Dann sagte er noch etwas. Du siehst so lieb aus. 
Du kannst gar nicht böse sein. 
Sagte er. (S.151)

Ebenso auffällig sind die Namen, Juno und Jupiter, die Hefter ihren Figuren gibt. Während Juno, in der römischen Mythologie als Schutzgöttin der Ehe in Erscheinung tritt, ist sie in der Astronomie eine Sonde, die den Jupiter, welcher der größte Planet des Sonnensystems ist, stetig umkreist und erforscht. Poetisch schildert Hefter das Leben von Juno und Jupiter, die sich wie diese zwei Himmelskörper immer wieder aufeinander zubewegen aber auch voneinander entfernen, etwa wenn sie sich in ihr eigenes kreatives Schaffen zurückziehen. Dabei gelingt es ihr, Charaktere zu kreieren, die auch in ihrer Not nicht den Mut verlieren und an ihrem Traum festhalten, sich über ihre Kunst, ob nun im Schreiben oder im Tanz, mitzuteilen.

Dass die Bedeutung der beiden Namen sich vor allem über die Astronomie entfaltet, lässt sich durch Junos häufige Auseinandersetzung mit dem Film Melancholia von Lars von Trier erschließen, den sie auch in ihren Gesprächen mit Benu immer wieder aufgreift. Wie die Figuren in von Triers Film, die mit einer unausweichlichen Katastrophe konfrontiert sind, erlebt auch Juno das Gefühl, dass ihr Leben von Kräften bestimmt wird, die sie nicht wirklich kontrollieren kann. Dennoch zeigt sie eine erstaunliche innere Stärke, die von Hefter auf eine feinfühlige und zugleich scharfsinnige Weise präsentiert wird.

Martina Hefters Roman “Hey, guten Morgen, wie geht es dir?”, der in diesem Jahr den Deutschen Buchpreis erhielt, erzählt nicht nur die komplexe Geschichte eines Paares am Rand der gesellschaftlichen Belastbarkeit, sondern greift auch auf tiefgründige Überlegungen zum Sein des Menschen als solchen zurück. Das macht diese kurzen 224 Seiten zu einer ebenso kurzweiligen Lektüre, die auf poetische, aber nicht sentimentale Art den Alltag hinterfragt und es versteht die Komplexität moderner Beziehungen und Lebensentwürfe einzufangen. Wer das nicht nur in Textform auf sich wirken lassen will, sondern auch dem Theater zugetan ist, hat zudem aktuell die Möglichkeit Hefters Performance-Inszenierung mit dem Titel Soft War am Schauspiel Leipzig zu erleben, in welcher sie auch als Tänzerin mitwirkt und in der man so direkt erleben kann wieviel ihrer eignen Biografie in dieser Erzählung steckt

 

  • Autorin: Martina Hefter
  • Titel: Hey guten Morgen, wie geht es dir?
  • Verlag: Klett-Cotta
  • Erschienen: 2024
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 224
  • ISBN:978-3-608-98826-0
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten

 


Wertung: 14/15 dpt


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