Ein Theaterstück zum Buch für die Stadt „Dschinns“ von Fatma Aydemir


Das Museum der Träume – Familie Yılmaz zwischen Tradition und Aufbruch

Bühne “Dschinns” Theater Buch für die Stadt © Ulla Wetterling

Auf der Bühne ist eine Wohnung in Istanbul zu sehen. Sie ist der Schauplatz des Romans „Dschinns“ von Fatma Aydemir, dem diesjährigen „Buch für die Stadt“. Im Hintergrund befindet sich eine Fensterfront mit einer Hochhaussilhouette vor strahlend blauem Himmel. In drei der weißen Wolken sehen wir beleuchtete Gesichter, mit ängstlichem, einsamem und hoffnungsvollem Blick. Im Vordergrund ist ein Wohnzimmer aufgebaut. Tisch und Sessel sind mit bunten Tüchern dekoriert, auf dem Tisch stehen ein Samowar und ein türkisches Tee-Service. Ein älteres Ehepaar sitzt dort, weit voneinander entfernt und abgewandt.

Das Theaterstück „Dschinns“ beginnt mit Stimmen aus dem Publikum. „Was ist ein Dschinn?“ fragt die eine und die andere erklärt, dass Dschinns weder gut noch böse sind, wenn man nach dem Koran geht. So wie Menschen eben. In den nächsten Minuten wird Hüseyin Yılmaz an einem Herzinfarkt sterben. Doch dies ist nicht das Ende der Geschichte, sondern erst ihr Anfang. Das Ehepaar Hüseyin und Emine, ihre Kinder Sevda, Peri, Hakan und Ümit erzählen aus ihrem Leben. Über Einsamkeit und Heimatlosigkeit, über Angst und Wut, über Scham, Lüge und Vertuschung und über verzweifelte Versuche, Lebensglück zu finden.

Das “Buch für die Stadt” kommt auf die Bühne

Seit über 20 Jahren ernennt eine Jury, bestehend aus Kulturredakteuren des Kölner Stadtanzeigers (KStA) und Verantwortlichen vom Literaturhaus, ein „Buch für die Stadt“. Für das Jahr 2024 wurde der Familienroman „Dschinns“ von Fatma Aydemir erwählt, einer Autorin mit türkisch-kurdischen Wurzeln. Der Roman stand nicht nur auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, sondern wurde mit dem Robert-Gernhardt-Preis und dem Preis der LiteraTour Nord 2023 ausgezeichnet. Eine kleine Gruppe literaturbegeisterter Menschen in Köln-Ostheim nimmt 2024 bereits zum achten Mal an der öffentlichen “Buch für die Stadt” Aktion teil und erarbeitete ein Theaterstück mit Texten aus „Dschinns”. Unterstützt wird sie von dem Verein „Lebensräume in Balance“, dem die meisten der engagierten Mitstreiter angehören.

Das Unrecht an den Gastarbeitern in Deutschland

Flyer “Dschinns” Theater Buch für die Stadt © Wilhelm Schwedes

In den 1970er Jahren boomte die Wirtschaft in Deutschland, doch es gab zu wenig Arbeitskräfte. In der Türkei wurden sie gezielt angeworben. Es kamen zumeist junge Männer, die von einem besseren Leben träumten. Doch in Deutschland behandelte man sie nicht wie Menschen, sondern, wie Emine es ausdrückt, wie „lästiges Ungeziefer“. Hüseyin schuftete sich körperlich und seelisch kaputt. Emine litt still vor sich hin und rutschte in eine tiefe Depression. Die älteste Tochter Sevda verblieb zunächst in der Türkei und kam als Jugendliche nach Deutschland. Die angeblich bessere Zukunft für die Kinder wurde ihr verwehrt, denn sie durfte nicht zur Schule gehen. Ihre Geschwister Hakan, Peri und Ümit besuchten deutsche Schulen, Peri schaffte es gar auf die Universität. Doch auch ihnen legte das „herzlose, kalte Land“ und ein dunkles Geheimnis ihrer Familie Steine in den Weg.

Kurden-Konflikt und Diversität

Dschinns © dtv

In einigen Kritiken zum Roman „Dschinns“ von Fatma Aydemir steht, dass die Autorin zu viele Themen angeschnitten hat. Neben Migration und Fremdenfeindlichkeit auch den Kurden-Konflikt, sowie die Themen Patriarchat und Feminismus, Homosexualität und Trans-Identität. Ich hingegen fand es spannend zu erfahren, welche Rolle diese Themen in der türkischen Gesellschaft spielen und wie sie von Menschen gelebt werden, die mit einer türkisch-kurdischen und der deutschen Kultur aufwachsen. (Rezension zu „Dschinns” auf Booknerds) Der Kurden-Konflikt spaltet viele türkische Familien, auch die fiktive Familie Yılmaz. Sind alle Menschen auf türkischem Staatsgebiet Türken, auch die die nach Hakans Worten „isoliert in den Bergen hocken“? Oder gehören diese einer verfolgten Volkgruppe an, die der türkische Staat unrechtmäßig zu Terroristen erklärt hat?

Homosexualität und Trans-Identität lehnt die türkische Regierung strikt ab, Präsident Erdogan bemüht gerne den Begriff „pervers“. Trotzdem gibt es eine lebendige queere Community. Ihre aufgrund einer widersprüchlichen Nähe zur Regierung umstrittene Gallionsfigur ist die trans-Frau und Sängerin Bülent Ersoy.

Was hat „Dschinns“ mit Deutschland 2024 zu tun?

Über die Gründe, warum ein bestimmtes Buch zum „Buch für die Stadt“ erklärt wird, äußert sich die Jury des Kölner Stadtanzeigers und des Literaturhaus nicht. Es werden keine Bücher mit einem direkten Bezug zur Stadt Köln ausgewählt, die Protagonist:innen der Bücher stammen in der Regel nicht aus Köln. Gereon Rath, der Protagonist des „Buch für die Stadt“ 2023 „Der nasse Fisch” von Volker Kutscher war eher eine Ausnahme. Ein Blick über die Textzeilen des Romans „Dschinns” hinaus offenbart dennoch Verbindungen zur Rheinmetropole.

“Dschinns” Theater Buch für die Stadt © Ulla Wetterling

Die Ford-Werke in Köln galten einst als drittgrößter Arbeitgeber für türkische Arbeiter, lediglich zwei Firmen in der Türkei beschäftigten mehr türkische Arbeitnehmer. Somit haben die türkischen Arbeiter am Montageband bei Ford maßgeblich zum Wohlstand der Stadt in den 70er und 80er Jahren beigetragen. Die Ford-Werke waren zudem Schauplatz eines beispiellosen Arbeitskampfs, in dem die IG Metall dafür kämpfte, allen Mitarbeitenden in der Montage gleiche Löhne zu zahlen. Die deutschen Monteure wurden nämlich bis dahin höher entlohnt als ihre türkischen Kollegen.

Und heute leben wir wieder in einer Zeit des Facharbeitermangels. Trotz einer wirtschaftlichen Flaute finden viele Betriebe nicht genug Mitarbeiter:innen. Zugleich werden die Grenzen der Europäischen Union immer schärfer bewacht und Migrant:innen abgewiesen und abgeschoben. Angst vor anderen Kulturen prägt Deutschland noch immer und bringt rechtsradikalen Parteien Wählerstimmen. Auch in Köln.

Ein fantastischer Erfolg und eine einzigartige Erfahrung

Das Theaterstück „Das Museum der Träume – Familie Yılmaz zwischen Tradition und Aufbruch“ wurde zwei Mal aufgeführt. Die Premiere fand in Köln Ostheim im Mehrgenerationenhaus statt, eine weitere Aufführung in den Agrippina Studios in der Kölner Innenstadt. Viele Besucher:innen nahmen gern das Angebot wahr, nach dem Stück bei Snack und Getränk mit uns zu reflektieren und ein wenig zu feiern. Beide Veranstaltungen waren sehr gut besucht und die Rückmeldungen aus dem Publikum ausschließlich positiv. Das Stück löste bei vielen Zuschauenden Betroffenheit aus, bot reichlich Stoff zum Nachdenken, Austauschen und Diskutieren. Für unsere Gruppe war die Auseinandersetzung mit „Dschinns“ ein intensives Eintauchen in einen weitreichenden interkulturellen Themenkomplex, betrachtet aus einer nicht-deutschen Perspektive.

Der Eintritt war gratis, es durfte jedoch wieder gespendet werden. Wir unterstützen in diesem Jahr den Verein „Colorido e.V.“ in Plauen/Thüringen. Der Verein setzt sich mit vielen Veranstaltungen und Bildungsangeboten unter dem Motto „Demokratie lebendig gestalten“ für demokratische Bildung und vielfältige Kultur ein und leistet so einen wichtigen Beitrag zu Demokratieverständnis und tolerantem, menschlichen Miteinander.

Das Projekt „Buch für die Stadt“ wird auch im Jahr 2025 stattfinden und eine weitere Gelegenheit für ein kulturelles Highlight in Köln-Ostheim sein und hoffentlich noch an weiteren Kulturorten in Köln. Wir sind jetzt schon sehr gespannt auf das nächste „Buch für die Stadt”.

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